Realtime-Informationen über das Unfallgeschehen am Gigathlon 2007

01. November 2007



Swiss Olympic, Dachverband der Schweizer Sportverbände organisierte den Gigathlon 2007. Für den Sanitätsdienst war das Spital Davos zuständig. Die vorliegende Fallstudie beschäftigt sich mit der Nutzung des zentralen webbasierten Einsatz- und Informationssystems (IES), das mit Hilfe der couniq consoulting GmbH und intelligence AG umgesetzt wurde. Unfallprotokolle wurden mit einem Digital Pen elektronisch erfasst und per GSM/GPRS ans IES übermittelt. Die Telefon-Hotline erfasste Meldungen direkt im IES. Dank IES standen den Beteiligten sämtliche relevanten Daten zur Information und Weiterverarbeitung zur Verfügung. Die Entscheidungssituation aller Beteiligten wurde dadurch stark verbessert, da sie ständig mit aktuellen Informationen versorgt waren.


1. Gigathlon 2007

Der Gigathlon ist eine Mischung aus Sportveranstaltung, Abenteuerreise, Teamerlebnis und persönlicher Grenzerfahrung. Als Single, im Couple (Zweierteam) oder als Team of Five (Fünferteam) gilt es Berge, Schluchten, Seen und Ebenen zu überwinden.

Als Weltpremiere im Jahre 1998 unter dem Motto “Der ultimative Gigathlon“ lanciert und 2000 bei der zweiten Austragung perfektioniert, hat der Gigathlon während der Expo.02 als „The great Challenge around Switzerland“ in der Schweiz ein ganz besonderes Feuer entfacht. Es standen plötzlich nicht mehr wie üblich die Zeiten und Ränge im Brennpunkt, sondern das Besondere, das Neue, das Abenteuerliche, die gemeinsamen Erlebnisse, die spektakulären Geschichten und die unauslöschbaren Erinnerungen. Auch 2007 fand der Gigathlon statt: vom 8. bis am 14. Juli 2007 durchquerten knapp 6'000 Sportler die Schweiz.


„Dank der zentralen Datenquelle waren wir stets
über das aktuelle Unfallgeschehen auf dem Laufenden
und konnten die Sanitätsressourcen entsprechend
optimal koordinieren und schnell auf Unfälle reagieren.“
Walter Kistler


Verantwortlich für die Organisation des Gigathlon ist seit der ersten Durchführung Swiss Olympic, der Dachverband der Schweizer Sportverbände. Für den Sanitätsdienst war im Jahr 2007 das Spital Davos zuständig. Besondere Herausforderung für gute medizinische Versorgung von Verunfallten war die Mobilität des Grossanlasses. Die Gigathleten legten pro Tag zwischen 188 und 237 km zurück. Die Allokation der Rettungsressourcen (Ärzte, Fahrzeuge, Material etc.) war entsprechend aufwändig. Diese Fallstudie berichtet, wie die Einsatzzentrale dank der Nutzung einer zentralen Datenquelle für alle Beteiligten und dank der Digitalisierung der Unfalldaten mittels Digital Pens stets auf dem Laufenden über das Unfallgeschehen war und die Ressourcen in allen Fällen zum Wohle der Patienten koordinieren konnte.


2. Quer durch die Schweiz

Der Gigathlon ist ein einzigartiger Sportanlass. Er sprengt Grenzen in verschiedenster Hinsicht:

  • Teilnehmerzahl: Insgesamt 5’684 Gigathleten (alle Kategorien) sind im 2007 gestartet, 4’840 haben das Rennen beendet. Vom Spitzen- bis zum Hobbysportler waren alle Levels vertreten. Dies führte zum Teil zu einer Distanz von über 100 Kilometern zwischen dem ersten und dem letzten Gigathleten an einem Tag. Die Entourage der Gigathleten bestand aus 1'000 persönlichen Betreuern.
  • Organisation: Für die Organisation waren im Vorfeld und während des Gigathlons rund 5'000 Personen verantwortlich. Insgesamt waren damit rund 13'000 Personen in irgendeiner Art am Grossanlass involviert.
  • Geographische Ausdehnung: Der Anlass führt die Gigathleten durch die ganze Schweiz. Anders als andere sportliche Anlässe ist der Gigathlon nicht nur strassengebunden sondern führt zum Teil auch durch unwegsames Gelände. Garstige Wetterbedingungen zu Wochenbeginn haben zudem nicht nur den Gigathleten zu schaffen gemacht, sondern auch die Organisation stark gefordert. Bei sechs Originalstrecken musste aufgrund von kalten Wassertemperaturen und Schnee in hohen Lagen auf die Ersatzrouten im Schwimmen und Laufen ausgewichen werden.
  • Disziplinen: Die Strecke wird in fünf Disziplinen bewältigt Inline Skaten, Laufen, Schwimmen, Bike und Velo.
Abb. 1: Gigathlon-Strecke

Abb. 1: Gigathlon-Strecke

Diese Gegebenheiten machten dem Sanitätsdienst die Arbeit nicht leicht. Das Rettungsteam unter der Leitung von Walter Kistler war für die medizinische Versorgung entlang der Strecke zuständig. Sie waren unterwegs mit Ambulanzen, Motorräder und Quads. An neuralgischen Streckenabschnitten wurde jeweils ein Rettungsteam stationiert. Die Rettungssanitäter waren entsprechend über verschiedene Standorte verteilt oder den ganzen Tag mit den Gigathleten unterwegs. Die Aufgabe der Rettungssanitäter war die Erstversorgung. Musste der Patient verlegt werden, wurde der lokale Rettungsdienst über die Einsatzzentrale durch die Vermittlung der Sanitätsnotrufzentrale (SNZ) 144 beigezogen. Die Koordination der Ressourcen über die Einsatzzentrale war entsprechend essentiell. Die gesamte Koordination des Sanitätsdienstes erfolgte über zwei mobile Einsatzzentralen, die sich mit dem Gigathlon-Tross verschoben. Zeitgerecht über Unfälle und Verletzungen informiert zu sein, war wichtig für die Führungs- und Einsatzkräfte. Nur so konnte eine optimale Versorgung der Patienten durch die Koordination der vorhandenen Mittel sichergestellt werden.


3. Aktuelle Information aus verschiedenen Quellen

Verschiedene Stellen des Sanitätsdienstes waren in die medizinische Versorgung der Patienten am Gigathlon 2007 involviert:

  • Die Einsatzzentrale koordinierte den Einsatz der medizinischen Ressourcen.
  • Rettungssanitäter begleiteten die Gigathleten oder waren an neuralgischen Punkte stationiert, übernahmen die Erstversorgung der Patienten am Unfallort und holten über die Einsatzzentrale lokale Rettungsdienste wenn nötig.
  • Bei der Telefon-Hotline gingen Hilferufe ein. Die Meldungen wurden über die Einsatzzentrale an die nächst gelegenen Rettungssanitäter weitergeleitet.
Abb. 2: IES - Zentrale Datenablage


Abb. 2: IES - Zentrale Datenablage

Rettungssanitäter: Erfassung der Unfallprotokolle
Für jeden Patienten musste ein Unfallprotokoll ausgefüllt werden. Am Gigathlon wurden die Sanitätsmitarbeitenden statt mit herkömmlichen Formularen und Kugelschreiber mit einem speziellen Formular und einem Digital Pen ausgerüstet. Mit diesem Stift konnten sie das Protokoll wie gewohnt ausfüllen. Zusätzlich „filmt“ der Stift die Eingaben und digitalisiert diese. Die erfassten Daten werden über das Mobiltelefonnetz (GSM/GPRS) über den Clearing-Gateway in das IES (Informations- und Einsatz-System) übermittelt. Falls das Mobilnetz nicht zur Verfügung steht, können die Daten über eine Docking-Station ins IES übertragen werden. Das IES basiert auf einer Service orientierten SAPNetWeaver-Technologie, welche den hohen Ansprüchen an die IT-Infrastruktur bezüglich der Verfügbarkeit und insbesondere der Datensicherheit gerecht wird.

Eine Schrifterkennungssoftware sorgt dafür, dass die Daten strukturiert in einer Datenbank zur Verfügung stehen. Zudem steht das Protokoll sofort auch als PDF-Datei (wie eingescannt) zur Verfügung. Die PDF-Dateien können entsprechend archiviert werden.

Telefon-Hotline: Erfassung telefonischer Meldungen
Während des gesamten Gigathlons hatte der Sanitätsdienst eine Telefon-Hotline eingerichtet, an die sich die Gigathleten oder die Betreuer in medizinischen Notfällen wenden konnten. Die Telefon-Hotline nahm Hilferufe entgegen, erfasste jede Meldung direkt über den Webbrowser im IES, organisierte den Rettungsdienst und informierte die Einsatzzentrale. Musste ein lokaler Rettungsdienst alarmiert werden, wurde dies ebenfalls im IES protokolliert. Damit konnte jeder Unfall und die gesamte Patientenversorgung zeitlich genau nachvollzogen werden. Dies war insbesondere bei Nachfragen oder Beanstandungen von Patienten hilfreich, weil es die Auskunftsbereitschaft der Einsatzzentrale erhöhte.

Einsatzzentrale: Ressourcenkoordination
Im Vorfeld des Gigathlons plante die Einsatzzentrale jeden Tag bis ins Detail im IES, erfasste die geplanten Tagesstrecken, sammelte Kontaktkoordinaten der lokalen Spitäler, informierte sich über die vorhandenen Ressourcen in den Spitälern. Alle diese Informationen wurden im IES gepflegt und standen damit allen anderen Beteiligten zur Verfügung.

Währenddem die Gigathleten unterwegs waren, war die Einsatzzentrale verantwortlich für die Koordination der medizinischen Ressourcen. Über das IES waren die Standorte der medizinischen Ressourcen und deren Verfügbarkeit stets ersichtlich.

Anlässlich des abendlichen Reviews und Briefings wertete die Einsatzzentrale mittels IES jeweils das Tagesgeschehen kurz aus und vermittelte diese Informationen an das Organisationskomitee des Gigathlons. Diese Informationen konnten auch als Frühwarnindikatoren für die Planung des nächsten Tages einfliessen.

Zentrale Informationsquelle: IES
Im IES standen sämtliche Daten ohne Zeitverzögerung für die Weiterverarbeitung zur Verfügung. Das IES ist eine webbasierte Informatikplattform, die die Prozesse der Führungs- und Einsatzkräfte unterstützte. Seit dem Sommer 2005 stellt der Koordinierte Sanitätsdienst – eine Bundesstelle - die Informatik-Plattform den Einsatz- und Führungskräften in der Schweiz zur Verfügung (vgl. CNO-Case 2005 „Koordinierter Sanitätsdienst: Optimale Allokation von Patienten dank IES.“) Das IES bietet u.a. Funktionalitäten zum Personen- und Patientenmanagement zur Kommunikation und Alarmierung, zur elektronischen Führung und Lagedarstellung. Durch die webbasierte Lösung ist IES rollenbasiert über gesicherte Internetverbindungen, ortsunabhängig von überall zugänglich.

Im Journal war protokolliert, wer wann was veranlasst hatte, wer wann was gemeldet hatte. Der Eingang der Unfallprotokolle wurde automatisch protokolliert. Neben einer Kategorisierung und Chronologisierung der Einträge standen umfangreiche Zusatzfunktionalitäten wie das Anhängen von Dokumenten, das Protokollieren von Massnahmen oder das Führen eines Status zur Verfügung.


4. Verbesserte Entscheidungssituation zum Wohle der Patienten

IES diente allen im Sanitätsdienst engagierten Personen als zentrale Auskunftsplattform mit Telefonnummern, relevanten Informationen zu den Kapazitäten der umliegenden Spitäler etc. Die Entscheidungssituation aller Beteiligten wurde stark verbessert, weil sie stets mit aktuellen Informationen versorgt waren.

Die Einsatzzentrale hatte stets aktuelle Informationen zum Standort und zur Verfügbarkeit der medizinischen Ressourcen und konnte so die Versorgung bei Unfällen innert kürzester Zeit koordinieren. Rettungssanitäter wurden nicht gleichzeitig zu zwei verschiedenen Unfällen gerufen. Damit gab es keine Zeitverzögerung bei der medizinischen Versorgung der Patienten, weil im IES stets ersichtlich war, welcher Rettungssanitäter sich zurzeit wo befindet und wer bereits einen Patienten versorgt.

Zusätzlich konnte die Nachvollziehbarkeit von Unfällen deutlich gesteigert werden. Ohne die Unfallprotokolle mühsam abtippen zu müssen, stehen die Informationen dank den Digital Pens im IES für Auswertungen unmittelbar zur Verfügung. Der grosse Vorteil war, dass sich am Arbeitsablauf für die Rettungssanitäter nichts geändert hatte. Sie konnten ihre Arbeit gewohnt verrichten und wurden bei der Versorgung ihrer Patienten nicht durch ungewohnte Arbeitsschritte gestört. Das eingesetzte Verfahren bringt entsprechend grosse Zeitersparnisse, da Patientendaten nicht mehrmals erfasst werden müssen und für die Einsatzleitung sofort nach dem Erfassen zur Verfügung stehen. Der Umgang mit dem „Digital Pen“ erwies sich als praxistauglich.


„Die Arbeit der Rettungssanitäter an der Unfallstelle ist seit jeher von Papier und Stift geprägt. Mit dem Digital Pen haben wir eine effiziente Lösung gefunden, die sich nicht von der herkömmlichen Arbeitsweise unterscheidet.“

Walter Kistler

5. Erfolgsfaktor: Externe Projektkoordination

[Projektmanagement]

Der Zeitraum von der Vergabe des Sanitäts-Auftrags an das Spital Davos betrug drei Monate. Im zeitlich engen Projektplan wurde das Spital Davos von couniq consulting GmbH und itelligence AG unterstützt. couniq übernahm die Projektkoordination und band die verschiedenen Parteien (Rettungsdienst des Spitals Davos, Samaratierverein, lokale Spitäler, IT-Dienstleister etc.) ein, so dass sich der Rettungsdienst auf seine Kernaufgabe, die Vorbereitung der medizinischen Versorgung, konzentrieren konnte. Die neutrale Rolle von couniq und itelligence vereinfachte die Vermittlung zwischen den verschiedenen Involvierten erheblich.


Owner/s of the solution

Spital Davos
Walter Kistler, Leitender Arzt
Industry: Health/Medicine
Company size: Medium-sized enterpriseSpital Davos

Solution partner/s

Patrik Riesen, Geschäftsführer
couniq consulting GmbH

Case study author/s

Nicole Scheidegger
Sieber & Partners

01. November 2007
Nicole Scheidegger; Pascal Sieber; Marc André Hahn; Norman Briner; Alfred Bertschinger; Gerrit Taaks: Die Organisation des E-Business VII: Reengineering the Value Chain; Fallstudien über den Einsatz der Informatik und der Telekommunikation zur Neugestaltung der Business Value Chain. Dr. Pascal Sieber & Partners AG; Bern 2007

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2095
spitaldavos-couniq
https://www.experience-online.ch/de/9-case-study/2095-spitaldavos-couniq
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