Management und Organisation des E-Business bei Pestalozzi + Co.

01. Juli 2002



Diese Fallstudie beschreibt die Entwicklung der E-Business Strategie der Pestalozzi + Co. AG. Die Autoren gehen zunächst auf das Unternehmen und das Marktumfeld ein. In einem nächsten Schritt wird der schrittweise Einsatz von Informationstechnologie im Unternehmen dargestellt. Die Verankerung des E-Business innerhalb der Organsation steht im Mittelpunkt der Betrachtung.


1. Pestalozzi + Co. AG

Die Pestalozzi + Co. AG handelt mit Bau- und Baunebenprodukten und gehört zu den führenden Anbietern in der Schweiz. Die Firma hat sich mit einem einzigartigen Sortiment positioniert. Neben dem Stammgeschäft Haustechnik besetzt Pestalozzi Nischen mit besonderen Stahlprodukten sowie mit einem spezifischen Sortiment für Spenglereien und Dachdecker. Pestalozzi macht mit 300 Mitarbeiter/-innen 160 Millionen Franken Umsatz pro Jahr. (Für diese Fallstudie hat Fabian Engel, E-Business-Verantwortlicher von Pestalozzi, am 3. Juli 2002 die Fragen der Autoren beantwortet. Das Gespräch fand bei Sieber & Partnes statt und dauerte zwei Stunden)


Im Grosshandel mit Qualitätsstahl (Blankstahl, rostfreiem Stahl und Metallbausystemen) ist Pestalozzi eines der drei umsatzstärksten Unternehmen der Schweiz. Im Markt für Spenglereiprodukte ist Pestalozzi Marktleader. In den Märkten für Haustechnik sowie für Bau- und Betonstahl gehört das Unternehmen in der Deutschschweiz, insbesondere in der Region Zürich, zu den Marktleadern.


Diese Fallstudie beschreibt die Entwicklung der E-Business-Strategie von Pestalozzi. Dazu wurde bereits 2001 eine kurze Beschreibung im Rahmen desselben Forschungsprojekts veröffentlicht.


"E-Business ist die Vision, dass wir mit allen unseren Partnern so
kommunizieren und zusammenarbeiten können, wie sie es wünschen
und es Vorteile für alle bringt."
(Fabian Engel, E-Business-Verantwortlicher, Pestalozzi + Co. AG)

2. Organisation und Wettbewerb

Die Aufbauorganisation von Pestalozzi ist eine Mischform zwischen funktionaler und divisionaler Struktur. Die Divisionen sind teils als Profitcenters, teils als eigenständige Aktiengesellschaften organisiert. Die Funktionen stellen Dienstleistungsstellen für alle Divisionen dar. Zusätzlich sind Stabsstellen zur Unterstützung des Geschäftsführers mit Entscheidungsvorbereitung und Koordination beauftragt. Der E-Business-Verantwortliche ist gleichzeitig Kommunikationsverantwortlicher (vgl. Abbildung 2.1).


Die Wettbewerbsintensität ist in allen Teilmärkten sehr hoch. Neben drei grossen ausländischen Gruppen konkurrieren gegen hundert KMU mit regionaler Marktabdeckung miteinander. Bis Mitte der 80er-Jahre waren die Märkte ausschliesslich regional organisiert. Pestalozzi ist mit starkem internem Wachstum und Akquisitionen der wachsenden Konkurrenz aus dem In- und Ausland begegnet. In der Zwischenzeit haben viele kleine, regional tätige Unternehmen die Geschäftstätigkeit aufgegeben, oder sie haben fusioniert. Daneben haben sich zwei KMU-Netzwerke formiert, die heute mit den grossen aus dem In- und Ausland konkurrieren. Die ausländischen Anbieter dringen mit sehr tiefen Preisen in den Schweizer Markt ein. Beispielsweise sind die Margen im Handel mit Baustahl derart gering, dass es sich für Pestalozzi fast nicht mehr lohnt, diesen Markt zu bedienen. Um sich nicht dem Preiskampf aussetzen zu müssen, spezialisiert sich Pestalozzi zunehmend auf ausgewählte Gebiete (z.B. Spenglereien), baut das Dienstleistungsangebot aus, bietet einen guten Kundendienst an und liefert zeitpunktgenau auf Baustellen. Zu den Dienstleistungen gehört auch die Veredelung von Stahlprodukten. Den Kunden werden dadurch Arbeitsschritte abgenommen, und sie müssen weniger Anlagen bereitstellen. Dies fördert die Zahlungsbereitschaft.

Abbildung 2.1: Organigramm Pestalozzi + Co. AG.

Abbildung 2.1: Organigramm Pestalozzi + Co. AG.


Die Lieferanten von Pestalozzi sind die Innovatoren im Markt. Im Bereich Haustechnik werden schweizweit rund fünf Systeme angeboten. Pestalozzi und auch ihre Kunden müssen in der Lage sein, alle Systeme anzubieten, um im Markt konkurrenzfähig zu sein. Die wichtigsten Hersteller sind ohne Ausnahme sehr grosse Unternehmen, die über vergleichsweise starke Marktstellungen verfügen.


Die Kunden von Pestalozzi stammen aus dem Bau-, dem Baunebengewerbe und aus der Industrie. Die kleinsten Kunden sind Einzelpersonengesellschaften, die grössten sind weltweit tätige Konzerne wie die ABB. Kaufentscheidungen werden im Baubereich neben Metallbauern, Installateuren und anderen Gewerbebetrieben von den Bauherren und von Architekten beeinflusst. Über die grösste Marktmacht verfügen allerdings Generalunternehmer unterschiedlicher Spezialisierung.


In den nächsten Jahren erwartet Pestalozzi eine weitere Konsolidierung im Inland. Zudem dringen insbesondere im Armierungsstahlhandel neue Konkurrenten aus Deutschland und den ehemaligen Ostblockländern in die Schweiz ein, und im Bereich Qualitätsstahl nimmt die Zahl der Werksvertretungen ausländischer Unternehmen zu (vgl. Abbildung 2).


Die Differenzierung über die Produkte ist schwierig. Qualitätsunterschiede sind kaum mehr vorhanden, und die Hersteller beliefern alle Absatzpartner gleichberechtigt. Die Wechselkosten der Kunden sind sehr gering. Pestalozzi verfolgt dennoch eine Differenzierungsstrategie. Kundendienst, Lieferbereitschaft und zeitgenaue Lieferungen sind wichtige Differenzierungsmassnahmen.


Abbildung 2.2: Wettbewerbskräfte Pestalozzi.

Abbildung 2.2: Wettbewerbskräfte Pestalozzi.


3. Umgang mit neuen Technologien

Neben dem Enterprise-Resource-Planning System (ERP), das auch als Managementinformationssystem nützlich ist, beginnt Pestalozzi mit dem Einsatz von CAD-Systemen. Daneben sind Individualanwendungen zur Unterstützung des Aussendienstes in Betrieb.


Mit der Nutzung von Webtechnologien hat Pestalozzi im Vergleich zu anderen Unternehmen der Branche sehr früh begonnen. Heute sind bereits diverse Anwendungen in Betrieb.
Pestalozzi sieht sich diesbezüglich als Early Adopter, im Branchenvergleich sogar eher als First Mover. Das Potential von Internet zur Veränderung der Arbeitsteilung innerhalb der Branche wird als gross erachtet. Pestalozzi ist nicht nur mit eigenen Projekten früh ins Internet eingestiegen, sondern beteiligt sich auch an Kooperationen mit Kunden, Lieferanten und sogar Konkurrenten, um durch den Einsatz von Internettechnologien die Effizienz und die Effektivität der gesamten Branche zu steigern.


Im Vergleich zum letzten Jahr ist die Rolle des E-Business-Verantwortlichen deutlich besser etabliert. Die Leiter der Geschäftsbereiche haben zudem das Potential für ihren jeweiligen Bereich erkannt und kooperieren mit dem E-Business-Verantwortlichen.


Die Kadermitglieder und die Mitarbeiter/-innen haben teilweise überraschend schnell mit dem Internet umzugehen gelernt und sind heute motiviert und befähigt zu investieren. Aber es gab auch Enttäuschungen. Insgesamt ist die Einstellung gegenüber den Informations- und Kommunikationstechnologien aber aufgeschlossen, und man ist sich einig, dass Pestalozzi mindestens zu den Early Adopters zählen sollte.


4. Stand und Visionen im E-Business

Pestalozzi engagiert sich in eigenen Projekten zur Unterstützung der Kunden mit Webtechnologien und in Kooperationen mit Kunden, Lieferanten und Konkurrenten zur Unterstützung der zwischenbetrieblichen Geschäftsprozesse. Eine Intranetlösung zur Unterstützung der Mitarbeiter/-innen ist geplant. Vorläufig können Daten über das firmeneigene Netzwerk auch zwischen den Standorten und von Heimarbeitsplätzen aus gesichtet und verändert werden.
Den Kunden steht die Website sowie eine Shoppinglösung zur Verfügung. E-Mail ist daneben ein wichtiges Instrument zur Kommunikation mit den Kunden geworden. Die stetige Verbesserung des Angebots bleibt die Strategie von Pestalozzi. Wie bereits 2001 lautet die Vision: Wir bedienen unsere Kunden immer so, wie es für sie am besten ist.


Im Herbst 2001 hat Pestalozzi mit drei führenden Schweizer Stahl- und Metallhändlern eine gemeinsame Vertriebs- und Logistikplattform gegründet. Primäre Zielgruppe sind grosse Abnehmer aus der Industrie. Ihnen soll die Plattform das gesamte Sortiment aller vier Partner sowie die gesamte Abwicklung (Transport, Rechnungsstellung etc.) aus einer Hand bieten. Die Integration der Plattform mit ERP-Lösungen ist ebenfalls geplant.


Im Markt für Haustechnik ist derzeit ein Projekt im Gang, das den Datenaustausch zwischen den Marktteilnehmern vereinfachen will. Die Interessengemeinschaft Datenverbund für die Haustechnik (IGH) wurde am 25. März 1994 von 10 Lieferantenfirmen der Heizungsbranche gegründet. Zum jetzigen Zeitpunkt zählt die IGH 66 Mitglieder, die sich zusammensetzen aus 64 führenden Händlern und Lieferanten der Bereiche Heizung, Lüftung und Sanitär, dem Schweizerischen Spenglermeister- und Installateur-Verband (SSIV) und dem Verband CLIMA SUISSE. Ziel der IGH ist, den Installateuren gute und günstige Hilfsmittel für ihre tägliche Arbeit anzubieten. Gleichzeitig soll die Datenaktualität jederzeit gewährleistet sein, mit einer Reduktion des wiederkehrenden Aufwands. Auch dieses Projekt trägt zur Rationalisierung und Automation der Geschäftsprozesse zwischen den Marktteilnehmern wesentlich bei


5. Organisation des E-Business

Die E-Business-Organisation von Pestalozzi hat sich zwischen 2001 und 2002 etabliert. Heute sind alle Bereichsleiter in die Ideenfindung und in die Realisierung eingebunden. Das Budget für E-Business-Projekte wird zu 80% vom Geschäftsführer (Verwaltungsratsdelegierter und CEO) direkt an den E-Business-Verantwortlichen vergeben. Zu 20% setzt sich das Budget aus eigenen Initiativen der Bereichsleiter zusammen. Da alle Geschäftsbereiche entweder als Profitcenters oder als eigenständige Gesellschaften organisiert sind, stammen letztlich 100% des Budgets von den Geschäftsbereichen. Die Entscheidung zur Finanzierung von strategischen Projekten wird Top-down gefällt. Dies ändert sich nach der Einschätzung des E-Business-Verantwortlichen in den nächsten Jahren. Immer mehr Projekte werden von den Bereichsleitern initiiert und aus eigenem Antrieb finanziert. Die Rolle des E-Business-Verantwortlichen bleibt bei diesem Wandel gleich. Er bringt eigene Ideen ins Spiel, motiviert die Bereichsleiter zur Finanzierung, und er setzt Ideen der Bereichsleiter und der Geschäftsleitung in Kooperation mit der eigenen EDV-Abteilung und mit externen Lieferanten um.


Das gesamte Budget ist derzeit sehr hoch. In den nächsten Jahren dürfte es sich auf tieferem Niveau stabilisieren. Immer öfter liefert die Webtechnologie zusätzlichen Nutzen. Beispielsweise werden dieses Jahr Kataloge und andere Printprodukte bereits kostengünstiger realisiert, weil die Shoppinglösung die Daten strukturierter und aktueller liefert.


Die E-Business-Strategie orientiert sich an der Unternehmensstrategie und an den Strategien der Geschäftsbereiche. Zur Koordination der Strategien werden an der Bereichsleiterkonferenz (ein Treffen aller Bereichsleiter) Informationen ausgetauscht. E-Business wird dort nach Bedarf traktandiert.


Der Geschäftsführer tauscht daneben monatlich Informationen mit den Bereichsleitern aus. In diesen bilateralen Treffen ist E-Business sehr oft ein wichtiges Thema.


6. Wirksamkeit des E-Business

Bisher sind die Auswirkungen des Internets auf die Wirtschaftlichkeit von Pestalozzi nur vage abzuschätzen. Die Anzahl der Besucher der Website, die Bestellungen im Onlineshop, die Reaktionen der Testkunden bei neuen Lösungen und die Kundenzufriedenheit mit bestehenden Lösungen deuten darauf hin, dass sich der Erfolg langsam, aber sicher einstellen wird.
Die E-Mail hat die Kommunikation zwischen den Geschäftsbereichen und zwischen den Mitarbeiter/-innen ganz allgemein zwar vereinfacht. Die Anzahl von E-Mails mit wenig geschäftlichem Nutzen ist aber ebenfalls bemerkenswert. Der Umgang mit der E-Mail ist bei Pestalozzi noch nicht optimiert. Wichtig ist für den E-Business-Verantwortlichen vorläufig, dass die Instrumente gebraucht werden, damit genügend Erfahrungen gewonnen werden können.
Würde man das Internet bei Pestalozzi abschalten, müssten zusätzliche Mitarbeiter/-innen eingestellt werden, um denselben Ausstoss zu produzieren. Das Internet hat also zu einer Produktivitätssteigerung geführt, die aber kaum berechnet werden kann.


7. Herausforderungen im E-Business

Die Herausforderungen des E-Business-Verantwortlichen von Pestalozzi haben sich nicht wesentlich verändert. In den kommenden Jahren stehen zwar neue Projekte im Vordergrund, und die Integration der Webtechnologien mit dem ERP-System wird vorangetrieben. Daneben bleiben die grössten Herausforderungen aber gleich:

  1. Weiterhin braucht es viel Überzeugungsarbeit, um auch ältere Mitarbeiter/-innen zu Nutzern und Ideenlieferanten zu machen.
  2. Die Vorteile müssen aufgezeigt und oft demonstriert werden, bevor die Geschäftsleitung Investitionen freigibt.
  3. Es gilt, die Offenheit aller Beteiligter zu bewahren, damit Pestalozzi erfolgreicher Early Adopter bleibt.
  4. Die Kooperation mit den Geschäftsbereichen ist zwar einfacher geworden, weil die Kommunikationswege etabliert sind, dafür ist mehr Kooperation gefordert, um mit dem Internet geschäftlichen Nutzen zu stiften.

8. Fazit

Pestalozzi ist in einer Branche tätig, die den neusten Untersuchungen zufolge zu den späten Einsteigern gehört. Erst zwischen 2000 und 2002 ist das Bau- und das Baunebengewerbe ins Internet eingestiegen. Noch immer ist die Zahl der Internetnutzer in dieser Branche unterdurchschnittlich gering. (Vgl. Sieber, P.: einsatz und Nutzung des Internets in kleineren und mittleren Unternehmen der Schweiz, im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft, Bern, 2002)


Betreiber der Lösung

Pestalozzi & Co. AG
Branche: Gross- & Einzelhandel, Bau- und Baunebenprodukte, Qualitätsstahl
Unternehmensgrösse: MittelunternehmenPestalozzi & Co. AG

Autoren der Fallstudie

Pascal Sieber, Nicole Scheidegger
Sieber & Partners

01. Juli 2002
Sieber; P. et al. (2002): Die Organisation des E-Business II; 22 weitere Fallstudien zu den Trends; den Herausforderungen und zum Berufsbild der Entscheidungsträger; Verlag Paul Haupt; Bern; Stuttgart; Wien 2002.

Zu dieser Fallstudie sind keine Anhänge verfügbar.
2003
pestalozzi
https://www.experience-online.ch/de/9-case-study/2003-pestalozzi
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