Ziehl-Abegg AG: Ähnlichkeitssuche und automatisierte Arbeitsabläufe

01. September 2008



Die auftragsspezifische Serienfertigung im Maschinenbau und in der Elektrotechnik bewegt sich im Spannungsfeld der sich widersprechenden Ziele Effizienz, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit. Dieser Beitrag beschreibt, wie die Ziehl-Abegg AG durch den Einsatz der Software proALPHA den damit einhergehenden Herausforderungen erfolgreich begegnet. Dabei wird insbesondere hervorgehoben, wie Ähnlichkeitssuche und durchgängig automatisierte Arbeitsabläufe die Anfrage-, Angebotsabwicklung und damit das Kundenbeziehungsmanagement verbessern. Die Ergebnisse geben anderen Unternehmen Hinweise, wie Prozesse der Einführung und des Einsatzes entsprechender Software gestaltet werden können.


1. Das Unternehmen

Die Ziehl-Abegg AG ist ein weltweit führender deutscher Hersteller von Ventilatoren für Luft- und Klimatechnik sowie von Antriebsmotoren für Aufzüge. Das Unternehmen wurde 1910 von Emil Ziehl unter dem Namen Ziehl-Abegg Elektrizitätsgesellschaft in Berlin gegründet. Der Wiederaufbau des Unternehmens Ziehl-Abegg nach dem zweiten Weltkrieg erfolgte 1949 durch die Brüder Günther und Heinz. 1960 begann die Produktion eines Aussenläufermotors als Ventilatorantrieb. 1973 begann die Internationalisierung und 2001 folgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft in Familienbesitz.

Mittlerweile bestehen Vertriebsniederlassungen in Polen, China, Russland, USA, Tschechien, Schweden, Grossbritannien, Finnland, Frankreich, Italien, Australien, Singapur, Schweiz, Österreich, Ukraine, Spanien, Benelux, Südafrika, Japan und der Türkei. Das Unternehmen hat über 2'450 Mitarbeitende weltweit, von denen etwa 1'600 in Deutschland tätig sind.

Die Ziehl-Abegg AG fertigt in auftragsbezogener Serienfertigung für über 3'000 Kunden Ventilatoren und Antriebsmotoren. In der Lufttechnik werden Axialventilatoren, Radialventilatoren, elektrische Antriebe und Regelgeräte hergestellt. In der Antriebstechnik sind es Aufzugsantriebe, Aufzugsmotoren und Regelgeräte. Der Bereich Lufttechnik macht etwa 85 % und der Bereich Antriebstechnik für Aufzüge entsprechend etwa 15 % des Jahresumsatzes aus. Europa und Asien sind derzeit die wichtigsten Märkte des Unternehmens. Die Expansion im amerikanischen Markt wird zunehmend intensiviert.
Die Konkurrenzsituation ist in den beiden Produktsparten unterschiedlich. Während Ziehl-Abegg aufgrund verschiedener Alleinstellungsmerkmale durch Hightech-Produkte im spezialisierten Aufzugsmarkt wenig Konkurrenz verspürt, ist die Wettbewerbssituation im Ventilatorenbereich hart und der Preisdruck deutlich spürbar. Die Marktführerschaft und der entsprechend hohe Marktanteil erschweren dem Unternehmen in einigen Bereichen die Expansion. Dies gilt insbesondere für den europäischen Markt. Hier sieht sich Ziehl-Abegg einem starken Verdrängungswettbewerb ausgesetzt.

Stellenwert von Informatik und E-Business
Da Ziehl-Abegg als auftragsbezogener Serienfertiger keine Standardprodukte herstellt und keine Lagerfertigung betreibt, ist das Unternehmen in starkem Masse auf die Unterstützung durch Anwendungssysteme angewiesen. Angesichts der Komplexität und Vielfalt ihrer Produktvariationen und -konfigurationen lassen sich Effizienz, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit in der Produktion, bei der Beschaffung und im Angebotsprozess nur durch eine ERP-Software erreichen, die automatisierte Arbeitsabläufe und die Ähnlichkeitssuche in Prozess- und Produktdaten unterstützt [Barth et al. 2007].


2. Der Auslöser des Projekts

In den folgenden beiden Abschnitten wird dargestellt, welche Beweggründe Ziehl-Abegg dazu veranlassten, die ERP-Software proALPHA einzuführen, und warum der Fokus bei der Auswahl darauf lag, wie diese Software Arbeitsabläufe geeignet automatisiert und durchgängig unterstützt.

Ausgangslage und Anstoss für das Projekt
Der Auswahlprozess für eine neue ERP-Software begann im Jahr 1993. Zu diesem Zeitpunkt stand Ziehl-Abegg vor dem Problem, dass viele Endprodukte zu einem Kundenauftrag neu definiert werden mussten – selbst dann, wenn es zu einem früheren Zeitpunkt schon einmal in dieser oder in einer ähnlichen Form produziert worden war. Ursache dafür war, dass sich infolge der Vielfalt der Produkte und der mangelnden Unterstützung seitens des Altsystems ähnliche Produkte, die bereits hergestellt wurden, nicht identifizieren liessen.
Das Altsystem war zudem in starkem Masse an die individuellen Prozesse von Ziehl-Abegg angepasst. Eine Aktualisierung auf eine neuere Version war daher ohne erheblichen Programmieraufwand nicht mehr möglich.

Darüber hinaus unterstützte das bestehende System die Automatisierung von Arbeitsabläufen nicht ausreichend.

Aus diesen drei Gründen sowie aufgrund steigender Produkt- und Prozesskomplexität bei gleichzeitigem Anstieg von Zeit- und Kostendruck fiel die Entscheidung, eine neue Software zur Unterstützung sämtlicher Geschäftsprozesse einzuführen.

Vorstellung des Geschäftspartners

Ziehl-Abegg beauftragte die Firma proALPHA Software AG mit der Einführung der neuen ERP-Software. Die proALPHA Software AG ist ein international agierender ERP-Software- und Dienstleistungsanbieter mit mehr als 350 Mitarbeitenden weltweit. Neben der Bereitstellung der Software, ist proALPHA bei Ziehl-Abegg auch für Anpassung und Wartung der Software zuständig.


3. Verbesserte Produktsuche und Automatisierung von Arbeitsabläufen

Ein zentraler Erfolgsfaktor für das Kundenbeziehungsmanagement (CRM) bei Ziehl-Abegg ist die effiziente Erstellung eines Angebots (vgl. Abb. 1). Effizient bedeutet hier, dass eine Kundenanfrage rasch beantwortet wird und dass gleichzeitig die Lieferzeiten und Herstellungskosten niedrig gehalten und zuverlässig ermittelt werden.

Abb. 1: Kauf eines Antriebs/Ventilators bei Ziehl-Abegg



Abb. 1: Kauf eines Antriebs/Ventilators bei Ziehl-Abegg

Bei jeder Kundenanfrage ist zu entscheiden, ob das gewünschte Produkt zu einem früheren Zeitpunkt in dieser Form oder in einer ähnlichen Variante schon einmal hergestellt wurde oder ob es neu entwickelt werden muss. Die Software proALPHA unterstützt die Ähnlichkeitssuche in historischen Daten unter anderem durch sogenannte Sachmerkmalleisten, die ähnliche Gegenstände zur vereinfachten Suche in grossen Datenbeständen zusammenfassen. Ein in proALPHA durchgängig integriertes Dokumentenmanagementsystem leistet darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zum CRM: Der Kundenberater kann zu jedem Zeitpunkt auf die komplette Kunden- und Auftragshistorie zurückgreifen und hat dabei unter anderem Zugriff auf den kompletten Schriftwechsel, der zwischen dem Kunden und Ziehl-Abegg bis dahin stattgefunden hat. Dank der Unterstützung durch die proALPHA-Software kann Ziehl-Abegg nach einer Kundenanfrage via Fax, E Mail oder Telefon oft noch am selben Tag ein entsprechendes Angebot an den Kunden versenden.
Ist nach eingehender Kundenberatung ein Auftrag an Ziehl-Abegg ergangen, so findet im Falle eines neuen Produkts die Produktentwicklung statt, ansonsten werden gemäss der Produktkonfiguration die benötigten Einzelteile gefertigt und zum Endprodukt zusammengefügt. Die Lieferung erfolgt über eine Fremdspedition.

Prozesssicht
Der Prozess der Anfrage- und Angebotsabwicklung ist in Abb. 2 dargestellt. Die Software proALPHA unterstützt diesen Prozess insbesondere durch das Modul „Workflow-Automation“ und das integrierte Dokumentenmanagement, indem für jeden Prozessschritt entsprechende Sachbearbeiter vorgesehen sind, denen für die Abarbeitung ihrer Tätigkeiten die notwendigen Dokumente direkt zur Verfügung stehen.

Der Prozess wird durch eine Kundenanfrage an Ziehl-Abegg angestossen, in der ein potenzieller Kunde dem Vertrieb seine Produktvorstellungen mitteilt. Der Vetriebsmitarbeitende prüft, ob das verlangte Produkt bereits in der Produktdatenbank in proALPHA vorliegt (1). Hier kommen zum ersten Mal die Sachmerkmalleisten zum Einsatz, die eine strukturierte Spezifikation von Endprodukten, Baugruppen und Einzelteilen über vordefinierte Merkmale mit vordefinierten Ausprägungen zur Verfügung stellen. Bei der Suche nach ähnlichen Produkten, die zu einem früheren Zeitpunkt bereits hergestellt wurden, können sowohl produkt- und prozessbezogene Daten (Angebote, Aufträge, Arbeitspläne, Stücklisten, CAD-Dokumente) als auch Unternehmensdaten (Ressourcen, Kostensätze) berücksichtigt werden.

Bei einer positiven Rückmeldung kann sofort ein Angebot basierend auf den hinterlegten Daten erstellt werden. Ist das Produkt jedoch nicht erfasst, wird vor einer Neuentwicklung zuerst geprüft, ob nicht Produktvarianten existieren, die bei leichter Modifikation den Wünschen des Kunden entsprechen. Bei der Suche nach Produktvarianten werden ebenfalls die Sachmerkmalleisten genutzt, um ähnliche Konfigurationen für das gewünschte Produkt zu finden (2).

Sollte die Suche nach Produktvarianten ebenfalls keinen Erfolg haben, so muss in Zusammenarbeit mit dem Kunden die Neuentwicklung des gewünschten Produkts stattfinden.

Abb. 2: Verkauf: Anfrage- und Angebotserstellung



Abb. 2: Verkauf: Anfrage- und Angebotserstellung

Nach Abschluss der Produktfindung erfolgt die Angebotserstellung basierend auf der Kundenanfrage. Das Angebot wird direkt aus proALPHA verschickt (via E Mail bzw. Fax) und zugleich im Dokumentenmanagementsystem archiviert (3).

In den Angeboten sind Gültigkeitsfristen hinterlegt, in denen sich der Kunde nach sorgfältiger Prüfung des Angebots für oder gegen einen Auftrag aussprechen kann. Gleichzeitig definiert der Angebotsersteller ein Wiedervorlagedatum für das Angebot. Falls die Frist bis zum Wiedervorlagedatum ohne eine Rückmeldung von Kundenseite verstreicht, initiiert proALPHA automatisch den Prozess „Angebot verfolgen“, der über das Modul Workflow-Automation dem Sachbearbeiter im Vertrieb zugeordnet wird (4). Dieser meldet sich erneut beim Kunden und versucht, den ins Stocken geratenen Prozess wieder aufzunehmen.

Hat der Kunde kein Interesse, wird das Angebot im System archiviert und steht für künftige Anfragen eines Kunden im Dokumentenmanagementsystem zur Verfügung. Wird hingegen der Auftrag vom Kunden erteilt (dieser Auftrag kann auch ohne den vorgelagerten Angebotsprozess erteilt werden, z.B. bei einem erneuten Auftrag für dasselbe Produkt (5)), so wird der nachgelagerte Prozess der Auftragsbearbeitung angestossen, der hier nicht mehr weiter vertieft wird.

Anwendungssicht

In der Anwendungssicht ist das Zusammenspiel der Anwendungssysteme bei Ziehl-Abegg dargestellt (vgl. Abb. 3).

Abb. 3: Systemlandschaft bei Ziehl-Abegg


Abb. 3: Systemlandschaft bei Ziehl-Abegg

Kunden können sich im Beschaffungsprozess via E-Mail, Fax oder Telefon direkt an die Hauptniederlassung oder an die Filialen von Ziehl-Abegg wenden. Die Mitarbeitenden der Filialen, die eine Version von proALPHA einsetzen, können sich über Internet-VPN-Verbindungen oder aber über hochverfügbare MPLS (Multiprotocol Label Switching)-Verbindungen mit ihrem proALPHA-System verbinden. Um die Anwendung auch bei geringerer Bandbreite performant auszuführen, werden für jede Filiale sog. Presentation Server. Die aktuellen Stammdaten, die im System der Hauptniederlassung definiert und gepflegt werden, gelangen nach klar definierten Regeln über entsprechende automatisierte Intercompanyprozeduren in die proALPHA-Systeme der Filialen, die zentral in Künzelsau administriert werden. So ist garantiert, dass die aktuellen Produktdaten für jede Filiale ohne Zeitverzögerung zur Verfügung stehen. Die proALPHA-Software wird dazu in unterschiedlichen Sprach- und Landesversionen eingesetzt.
Filialen ohne eine proALPHA-Anbindung müssen die aktuellen Produktdaten in regelmässigen Abständen manuell in ihr jeweiliges ERP-System einpflegen (auf eine Abbildung dieser Niederlassungen wurde in Abb. 3 verzichtet).


Technische Sicht

Abb. 4: Technische Infrastruktur bei Ziehl-Abegg


Abb. 4: Technische Infrastruktur bei Ziehl-Abegg

Die technische Sicht (vgl. Abb. 4) veranschaulicht die Anbindung der einzelnen Filialen. Zu beachten ist hier, dass alle Server am Standort in Künzelsau stehen und die einzelnen Filialen im Ausland jeweils über einen Citrix-Presentation-Server darauf zugreifen.
Diese Architektur hat den Vorteil, dass alle Server zentral gewartet und administriert werden können und keine Client-Installation von proALPHA notwendig ist. Diese Möglichkeit besteht für jede Filiale von Ziehl-Abegg, die proALPHA einsetzt (ungefähr die Hälfte der ausländischen Niederlassungen). Während die geographisch nahe gelegenen Standorte in Bieringen und Waldenburg über Richtfunkstrecken an das Stammhaus in Künzelsau angebunden sind, erfolgt der Zugriff der entfernten internationalen Filialen über eine VPN- oder MPLS-Verbindung.


4. Projektablauf und Betrieb

Die folgenden Abschnitte beschreiben, welche Faktoren die Investitionsentscheidung bestimmt haben, wie die Software entwickelt und eingeführt wurde und wie sich der weitere Einsatz gestaltet.

Investitionsentscheidung
Die Entscheidung über die Wahl des IT-Partners und der Software wurde von einem Gremium, bestehend aus drei IT-Verantwortlichen und jeweils mindestens zwei Schlüsselpersonen aus jedem der Werks- und Fachbereiche, gefällt. Die Projektleitung lag bei der IT-Abteilung. Das Gremium stand zu diesem Zeitpunkt vor dem Problem, dass eine Ablösung des Altsystems aus den genannten Gründen unumgänglich war aber keines der zum Auswahlzeitpunkt auf dem Markt befindlichen Konkurrenzprodukte eine wie oben beschriebene Automatisierung von Arbeitsabläufen und Unterstützung bei der Ähnlichkeitssuche leistete. Die Investitionsentscheidung fiel daher nicht, wie bei vielen Systemwechseln üblich, als Folge eines Auswahlprozesses zwischen ähnlichen Lösungen. Das Gremium suchte stattdessen einen Partner, mit dem die gewünschte Funktionalität über die nächsten Jahre hinweg entwickelt werden konnte.

Nach der Ausschreibungsphase standen zu Beginn des Auswahlprozesses 16 Systeme (und Anbieter) zur Diskussion, wovon schliesslich drei in die engere Auswahl gezogen wurden. Die Kosten für die proALPHA-Lösung beliefen sich auf etwa 820'000.- EUR [Projektaufwand]. In diesem Angebot waren die Software, Lizenzen für 200 Anwender für drei Jahre, Wartungskosten, Datenbank, Entwicklungsumgebung, Unterstützung bei der Umstellung, Unterstützung bei der Datenübernahme, Individualanpassung, Schulung und Hardware enthalten. Die beiden Alternativangebote der Konkurrenten beliefen sich auf 1.1 Mio. EUR bzw. 1.3 Mio. EUR.
Der im Vergleich niedrige Preis von proALPHA lässt sich darauf zurückführen, dass die beiden Konkurrenzlösungen zu dem Zeitpunkt ausgereifter waren und verschiedene Module bereitstellten, die bei proALPHA noch in der Entwicklung waren. Keine der drei Lösungen stellte jedoch die von Ziehl-Abegg für besonders wichtig erachtete Unterstützung automatisierter Arbeitsabläufe oder die Suche über Sachmerkmalleisten zur Verfügung. Die Entscheidung für proALPHA fiel auch nicht ausschliesslich aufgrund des Preises. Es war nach Auskunft der Beteiligten vielmehr das Gefühl ausschlaggebend, mit proALPHA einen IT-Partner gefunden zu haben, dessen Entwicklungskompetenz und dessen Ziele und Visionen am besten zur Ziehl-Abegg passen.

Projektmanagement und Changemanagement
Nach der Entscheidung für den Anbieter wurde das Projekt zur Einführung der Software auf der Seite von Ziehl-Abegg durch das Auswahlgremium unter Führung durch die IT-Verantwortlichen initiiert und durchgeführt. Im Verlauf des Projekts arbeiteten die Firma proAlpha und das Ziehl-Abegg-Projektteam nicht zuletzt aufgrund des Pilotcharakters der Lösung sehr eng zusammen. Am 01.01.1994 wurde die proALPHA-Basissoftware inklusive des Vertriebsmoduls und der Sachmerkmalleisten in (Echt-)Betrieb genommen. Es folgten die Module Einkauf (Echtbetrieb ab 01.07.1995), Controlling (01.01.1996), Materialwirtschaft und PPS (04.04.1996) sowie Anlagen- und Finanzbuchhaltung (01.11.1996). Das Altsystem, das während der Einführung der Software im Parallelbetrieb lief, wurde im November 1996 abgeschaltet. Das Dokumentenmanagementsystem wurde erst nach dem Jahr 2000 installiert.

Während der gesamten Projektphase wurde in regelmässigen Abständen der Status Quo gegen das zu Anfang erstellte Lastenheft abgeglichen, um so Diskrepanzen zwischen Soll- und Ist-Zustand frühzeitig aufzudecken. In dem Prozess wurden auch immer wieder die Schlüsselpersonen und Anwender hinzugezogen, um ihr Feedback aufzugreifen und dieses in die Weiterentwicklung einfliessen lassen zu können. Besonderes Augenmerk lag hierbei auf der Definition der Arbeitsabläufe, die in jedem Modul der Software abgebildet werden sollten.

Entstehung und Roll-out der Softwarelösung
Die Entwicklung und Einführung (Roll-out) der Software erfolgten jeweils mehrstufig (Step-by-step). Die Module der Software wurden nacheinander entwickelt, getestet und zeitlich versetzt frei geschaltet, um bei dem jeweils nächsten Schritt Feedback für die Entwicklung des nächsten Moduls sammeln zu können. In jeder Stufe waren sowohl die Projektverantwortlichen als auch die Anwender intensiv eingebunden. Dieser Prozess stellte sicher, dass Fehler frühzeitig erkannt, die Software auf die Wünsche der Fachabteilungen abgestimmt und Verbesserungsvorschläge über den gesamten Entwicklungsprozess hinweg berücksichtigt werden konnten.

Der Einführungsprozess dauerte etwa zweieinhalb Jahre. Das Altsystem blieb während dieser Zeit parallel in Betrieb. Damit wurden die Umstellungsschwierigkeiten der Mitarbeitenden reduziert. Jeder Mitarbeitende konnte das System nutzen, das er beherrschte. Einführungsbegleitende Schulungen und die bessere Funktionalität der neuen Software stellten dann sicher, dass im Zeitverlauf alle Mitarbeitenden auf die neue Software umstiegen. Der Einbezug der Mitarbeitenden aller Bereiche gewährleistete, dass es keine nennenswerten Widerstände im Projektverlauf gab.

Laufender Unterhalt
In den Jahren nach der Einführung veränderte sich die Rolle der Firma Ziehl-Abegg. Das Unternehmen ist mittlerweile vom Pilotkunden zu einem regulären Kunden geworden – wenngleich es immer noch von proALPHA aufgrund des langjährigen vertrauensvollen Verhältnisses der Partner bevorzugt bei der Entwicklung und Erprobung neuer Module einbezogen wird. Die Software wird derzeit über Wartungsverträge gepflegt. Der jeweilige Wechsel auf eine neue Version ist ebenfalls über den Wartungsvertrag gesichert.
Sowohl der laufende Betrieb als auch die Wechsel auf eine neue Version von proALPHA werden seitens Ziehl-Abegg weitgehend in Eigenregie vorgenommen. Neue Versionen und geänderte Programme werden dabei zunächst in einer Testumgebung installiert und eingehend geprüft. Nach einer Abschlussentscheidung, die von den IT-Verantwortlichen und den Schlüsselpersonen der Fachbereiche getroffen wird, erfolgt der Echtbetrieb. Ein grösserer Versionswechsel kann dabei sechs bis neun Monate Vorlauf haben.


5. Erfahrungen, Zielerreichung und bewirkte Veränderungen

Nutzerakzeptanz
Die Projekterfahrungen sind nach Auskunft beider Partner ausnahmslos positiv. Der durch die fehlenden Funktionalitäten des Altsystems induzierte Leidensdruck war zu Anfang des Projekts so gross, dass es kaum Widerstände oder Zweifel an der Notwendigkeit der Einführung einer neuen Software gab. Die Einführung der Software folgte einem idealtypischen Prozess [Ward et al. 2005] und die weitgehende Einbindung aller Mitarbeitenden in die Entwicklung und Einführung von proALPHA führte zu einer hohen Nutzerakzeptanz, die sich bis heute hält.

Zielerreichung und bewirkte Veränderungen
Die Ziele des Projektes wurden in vollem Umfang erreicht. Mit proALPHA gelang eine vollständige Integration und durchgehende Unterstützung der Arbeitsabläufe mit deutlichen Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen. So konnten die Durchlaufzeiten von der Auftragsannahme bis zur Auslieferung um 35 % bis 70 % reduziert werden. Vom Kundenauftrag bis zur Bestätigung des Liefertermins dauert es in der Regel nur noch wenige Stunden. Nach Einführung von proALPHA erfolgte ein Abgleich der bestehenden Produkte. Dabei stellte sich heraus, dass über 10 % der Produkte mehrfach im System vorhanden waren. Im neuen System gibt es keine Produktdoubletten mehr, teure Entwicklungsressourcen werden nicht unnötig für die nochmalige Entwicklung bereits definierter Produkte vergeudet.

Investitionen, Rentabilität und Kennzahlen
Die Rentabilität des Projektes ist vollauf gewährleistet. Eine Erhebung entsprechender Kennzahlen war bei Unternehmen der Branche und Grösse wie Ziehl-Abegg Anfang der Neunziger Jahre, also zum Zeitpunkt der Auswahl und Einführung der Lösung, jedoch unüblich, so dass hierzu keine Angaben gemacht werden können. Die aktuellen Gesamtbetriebskosten für Software, Hardware, Wartung und weitere Dienstleistungen belaufen sich auf etwa 300'000.- EUR pro Jahr. Darin enthalten sind Lizenzen für 352 Anwender im Inland und weitere 180 Anwender in den Auslandsgesellschaften.


6. Erfolgsfaktoren

Spezialitäten der Lösung
In der Software proALPHA wird die gesamte Auftragsabwicklung durch Automatismen unterstützt – vom Vertrieb über die technische Vorbereitung bis hin zur Fertigung und Montage. Die proALPHA Workflow-Automation basiert auf ereignisgesteuerten Vorgangsketten. Jedes Informationsobjekt wird nach der ihm zugeordneten Vorgangskette automatisch abgearbeitet. Die Abarbeitung kann durch Ereignisse angestossen oder abgebrochen werden.

Beim Einsatz von standort- und unternehmensübergreifenden Kommunikationsmedien (EDI, Internet, Webshop und VIS Offline) ist die Workflow-Automation wesentlicher Funktionsbestandteil und gibt der Gesamtlösung die entsprechende Breite in der Anwendung.

Der zuständige Mitarbeitende bekommt die für ihn relevanten Aufgaben (z.B. offene Angebote, Wiedervorlagen, Planabweichungen oder Sonstiges) angezeigt. Die Bearbeitung der Geschäftsvorfälle nimmt er direkt in seinem Aktivitätenmonitor vor. Bei Abarbeitung der einzelnen Prozessschritte verläuft der Workflow in Abhängigkeit der jeweiligen Ergebnisse. So kann ein Angebot abhängig vom Wert an unterschiedliche Stellen zur Freigabe geschickt werden. Zudem erlaubt der objektorientierte Ansatz die einfache Anpassung und Erweiterung der proALPHA Workflow-Automation an die spezifischen betrieblichen Anforderungen.
Das proALPHA Dokumentenmanagement-System bietet über normale Archivierungsfunktionen hinaus vielfältige Handhabungsoptionen. Dabei ist die Abwicklung identisch, ob es sich bei den Dokumenten um eingescannte Belege handelt (wie beispielsweise Lieferantenrechnungen, Handskizzen oder Prüfzeugnisse) oder um Briefe in MS Word oder eine Excel-Tabelle. Alle Dokumente können einfach mit einem beliebigen proALPHA-Objekt verknüpft und mit diesem verwaltet werden. Die Volltextrecherche sorgt für ein schnelles Aufspüren von Dokumenten.

So kann der Verkaufssachbearbeiter zum Beispiel die Notiz über ein Kundentelefonat an den betreffenden Kundenauftrag „hängen“. Die Notiz wird mit dem Auftrag archiviert und kann wie dieser jederzeit abgerufen werden.

Die strukturierte Ablage von Artikeln mit Sachmerkmalleisten beschleunigt die Suche nach Produktvarianten und erhöht somit die Wiederverwendung vorhandener Teile und Baugruppen. Bei der Verwendung vorhandener Komponenten spart man nicht nur einen Grossteil des Konstruktionsaufwands, sondern auch einen nicht unerheblichen Teil der Fertigungskosten. Der geringe Mehraufwand für die systematische Ablage eines neuen Artikels rechnet sich so von Anfang an.

Reflexion der Wettbewerbsvorteile
Der Mehrwert der Lösung liegt in einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Diese zeichnet sich aus durch
• die deutliche Reduktion des Zeitbedarfs zur Erstellung von kundenspezifischen Angeboten,
• die schnellere Reaktion auf individuelle Kundenwünsche,
• vollständige, einheitliche Angebote, unabhängig vom jeweiligen Anwender,
• die starke Reduktion des Zeitbedarfs für die kundenspezifische Konstruktion und Projektierung,
• die wesentlich schnellere Bereitstellung aller Produktunterlagen (3D-Modelle, Zeichnungen, Stücklisten, NC-Daten, Angebote usw.),
• die Reduktion von Fehlerkosten,
• die Wiederverwendung von Teilen und Komponenten.

Lessons Learned
Die Ergebnisse des hier vorgestellten Projekts bestätigen die These, dass eine ERP-Implementierung dann besonders erfolgreich ist, wenn ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Softwareanbieter und Kunde besteht [Gefen 2004]. Im Falle von proALPHA und der Ziehl-Abegg berichten beide Parteien, dass zu jedem Zeitpunkt ein sehr vertrauensvolles Verhältnis bestanden hat und dass in diesem Klima Probleme und Hindernisse gemeinsam gut bewältigt werden konnten. Ferner führten eine klar kommunizierte gemeinsame Vision der Lösung sowie ein stabiles Vertragsrahmenwerk zu einem erfolgreichen Projektverlauf und -abschluss. Das gesamte Projekt folgte damit dem idealtypischen ERP-Implementierungspfad für KMU, wie er in Ward et al. [2005] dargestellt ist.


Betreiber der Lösung

Ziehl-Abegg AG
Alfred Göttel, Leitung Organisation & IT
Branche: Maschinenbau/Feinmechanik
Unternehmensgrösse: GrossunternehmenZiehl-Abegg AG

Lösungspartner

Jürgen Skodda
proALPHA Software AG

Autoren der Fallstudie

Kai Fischbach
Universität Köln
Norbert Frick
Universität Koblenz-Landau

01. September 2008
Fischbach; Kai; Frick; Norbert (2008): Fallstudie Ziehl-Abegg AG; in: Wölfle; Ralf; Schubert; Petra (Hrsg.): Wettbewerbsvorteile in der Kundenbeziehung durch Business Software; S. 83 - 96; München: Hanser Verlag; 2008.
PDF zur Fallstudie, wie diese in der eXperience Buchreihe erschienen ist.
2207
ziehl-proalpha
https://www.experience-online.ch/de/9-case-study/2207-ziehl-proalpha
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