Variosystems: Anpassungsfähigkeit für die Zukunft sichern

07. septembre 2009



Als einer der grössten Elektronikdienstleister entschied sich Variosystems im Jahr 2006 dafür, ein neues, zentralisiertes ERP-System zur Unterstützung aller Prozesse im gesamten Konzern einzuführen. Durch ein klar definiertes und gut umgesetztes Einführungsprojekt gelang es dem Unternehmen, in kürzester Zeit Nutzen aus den neuen Prozessen zu ziehen. Dieser Beitrag beschreibt, wie mit diesem Projekt die Grundlage für künftige Anpassungen der Prozesse an die Unternehmens- und Marktentwicklung geschaffen wurde. Als ein wesentlicher Schlüsselfaktor wird dabei die Harmonisierung der Prozesse in einem gemeinsamen System gesehen.


1. Das Unternehmen

Die Variosystems AG gehört zu den weltweit grössten Elektronikdienstleistern in privatem Besitz und ist vor allem darauf spezialisiert, die Kunden von der Konzeption bis zur Bestückung von Leiterplatten zu unterstützen.

Hintergrund, Branche, Produkt und Zielgruppe
Die Firma mit Stammsitz im schweizerischen Steinach bei St. Gallen bietet im Elektronikumfeld Komplettlösungen von der Entwicklung über die Produktion bis hin zum Gerätebau und den Tests. Mit weltweit gut ausgerüsteten Produktionsstätten bietet sie ihren Kunden einen gesamtheitlichen Service, der bereits bei der gemeinsamen Produktentwicklung beginnt und in der Bestückung von Leiterplatten oder der Fertigung von ganzen Baugruppen endet. Dabei handelt es sich weniger um Massenware als um spezielle Produkte, die in Kleinserien gefertigt werden. Ziel ist es, mit aufeinander abgestimmten Services den gesamten Zyklus einer Kundenlösung abzudecken. Die Kunden – ihrerseits meist international tätige Unternehmen unterschiedlicher Branchen – schätzen eben diesen Full Service, den sie in ihre Wertschöpfungskette einbinden können.

Das Unternehmen wuchs sehr dynamisch von drei Mitarbeitenden bei der Gründung im Jahr 1993 auf rund 600 Mitarbeitende, die 2008 einen Umsatz von über 90 Millionen CHF erzielten. In den letzten drei Jahren konnte das Volumen gar verdoppelt werden. Der grösste Kunde hat weniger als 10 % Anteil am Umsatz.

Variosystems ist an Standorten in der Schweiz, den USA, Sri Lanka und China tätig. 60 % des Umsatzes werden mit rund 180 Mitarbeitenden in der Schweiz generiert, ein Grossteil des Restes in den USA. Die Produktionsstätte in Sri Lanka stellt eine verlängerte Werkbank für die anderen produzierenden Niederlassungen dar. In China wird der grösste Teil des konzernweiten Einkaufes getätigt.

Unternehmensvision
Die Variosystems-Gruppe [Produktlebenszyklus] unterstützt ihre Kunden weltweit bei der Fertigung und Bereitstellung ihrer Produkte durch Beistellen von Elektronikkomponenten mit ergänzenden System- und Logistiklösungen. Variosystems will nicht nur mit Teilaufgaben für die Kunden aktiv werden, z.B. mit der Bestückung von Leiterplatten, sondern ein lückenloses Gesamt-Outsourcing anbieten. Die Kernkompetenz von Variosystems beinhaltet das Managen der Kundenprodukte von der ersten Spezifikation über internationales Sourcing, Bestückungen, direkten Kundenlieferungen bis hin zu After Sales Services. Dabei werden die Daten zum Lebenszyklus der Kundenprodukte mit allen Änderungen im ERP-System festgehalten. Die daraus entstehende lückenlose Dokumentation unterstützt die angestrebte langfristige Zusammenarbeit. Als modernes Unternehmen setzt sich Variosystems an allen Standorten für den Umweltschutz und die Sicherheit der Mitarbeitenden ein.

Stellenwert von Informatik und E-Business
Für ein modernes und technologiegetriebenes Unternehmen stellt eine durchgängige Informatikstrategie einen wesentlichen Teil der Unternehmensstrategie dar. Die Abbildung aller Prozesse in einer global ausgelegten Systemlandschaft inklusive der Möglichkeit, sowohl Kunden als auch Lieferanten in die Abläufe einzubinden, stellt den Kern der Strategie dar.

Den Stellenwert der Informatik, die nicht zum Kerngeschäft der Unternehmensgruppe zählt, erkennt man auch an der Verankerung in der Geschäftsleitung. So ist der für die IT-Infrastruktur zuständige Chief Information Officer (CIO) in den USA auch Mitglied der dortigen Geschäftsleitung und der Konzernleitung, der für die Anwendungen in der Schweiz verantwortliche CIO gehört ebenfalls zur lokalen Geschäftsleitung.

Die Informatikstrategie zielt darauf ab, in allen Unternehmensbereichen Standard¬software zu nutzen. Durch Realisierung der darin vorgesehenen Standardprozesse soll so schnell wie möglich Nutzen aus den Programmpaketen gezogen werden. Aus der globalen Verteilung der vier Standorte ergaben sich zudem folgende Ziele:

  • durchgängige Produktions- und Kapazitätsplanung,
  • integrierter Informationsfluss im gesamten Konzern mit den Einheiten Verkauf, Produktion, Logistik, Technik, Einkauf und Buchhaltung sowie
  • vollumfängliches Abbilden der Waren- und Werteflüsse im Konzern.


Diese Ziele sind sehr wichtig und wurden daher im hier vorgestellten Projekt „Variolympia“ zur Einführung der neuen ERP-Lösung noch einmal als zentrale Forderungen für die neue Systemlandschaft aufgeführt.

Ausgangslage und Anstoss für das Projekt
Das dynamische Wachstum der Variosystems-Gruppe erforderte eine integrierte Sicht auf das Gesamtunternehmen und eine grösstmögliche Flexibilität bezüglich Anpassung und Erweiterung der ERP-Lösung. Die Ablösung der teilweise veralteten dezentralen Vorsysteme durch ein neues, zentrales ERP-System wurde als Projekt „Variolympia“ realisiert und ist Gegenstand dieser Fallstudie.

Vorstellung der Geschäftspartner
Die Partner von Variosystems sind zum Einen die SAP Schweiz AG als Anbieter der Business Software und die Resource AG als Implementierungspartner.

Anbieter von Business Software
Die SAP Schweiz AG ist eine Ländergesellschaft der SAP AG in Walldorf (DE). Diese wurde 1972 gegründet, beschäftigt weltweit mehr als 50'000 Mitarbeitende und bedient bei einem Umsatz von 11.7 Mrd. EUR (2008) mehr als 86'000 Kunden. Das Unternehmensziel ist es, umfassende Softwarelösungen im Bereich Geschäftsprozesse anzubieten.

Implementierungspartner
Das Einführungsprojekt wurde der Firma Resource AG aus Glattbrugg übertragen. Der SAP-Goldpartner und Generalunternehmer hat über zwölf Jahre Markterfahrung und verfügt über 170 Mitarbeitende mit ausgewiesenen SAP-Kenntnissen.


2. Effizienzsteigerung durch global integrierte Prozesse

Die gruppenweite Einführung einer neue Business Software wird in den folgenden Kapiteln aus verschiedenen Sichten dargestellt.

Geschäftssicht und Ziele
Variosystems ist ein internationales Unternehmen, das auch global agierende Kunden bedient. Deshalb sollten auch die Konzernstruktur und die Geschäftsprozesse mit allen Waren- und Werteflüssen in einem neuen, gruppenweit einheitlichen und standortübergreifend integrierten ERP-System abgebildet werden. Damit verbunden waren die Ziele, Intercompany-Prozesse durch weit gehende Automatisierung sehr effizient auszuführen und mit geeigneten Kennzahlen die Werteflüsse in der Unternehmensgruppe zeitnah und aussagekräftig abzubilden. Die Kostenstellenrechnung sollte neu über alle Unternehmensbereiche durchgängig geführt werden.

Weitere wichtige Anforderungen waren die Vor- und Nachkalkulation von Aufträgen, durchgängige Prozesse zwischen Verkaufsadministration, Fertigung und Einkauf, die Verwaltung von Konsignationslagern, eine globale Bedarfsermittlung und Beschaffung sowie eine unternehmensweit durchgängige Produktions- und Kapazitätsplanung. All diese Massnahmen zielen auf Kosteneinsparungen für Variosystems und die Kunden bei gleichbleibender Qualität ab.

Für die Betreuung global agierender Kunden ist es wichtig, dass der Kundenservice an allen Standorten die gleiche Güte aufweist und dass eine ganzheitliche Sicht auf den Kunden möglich wird. Als grosse Verbesserung schätzt man, dass neue Kunden nun an jedem Standort angelegt werden können. Das ERP-System stellt dabei unter Anwendung von definierten Vergleichsregeln sicher, dass Kunden nicht versehentlich doppelt erfasst werden.
Um die benötigten Kennzahlen erzeugen zu können, werden die operativen Geschäftsdaten nun täglich in ein Business-Information-Warehouse-System übertragen. Über diese kann die geforderte Gesamtsicht auf den Kunden hergestellt und die Grundlage für vielfältige Auswertungen geschaffen werden.

Abschliessend sind noch die Anforderungen in Bezug auf die Integrationsfähigkeit des neuen ERP-Systems zu nennen. Gefordert waren eine interne Integration mit dem bestehenden System zur Fertigungssteuerung sowie die Möglichkeit externer Anbindungen von Kunden und Lieferanten.

Abb. 1 zeigt die Organisation in der Variosystems-Gruppe schematisch. Darin wird deutlich, dass das ERP-System die Prozesse standortübergreifend integrieren muss. Z.B. werden in der Fertigung von den Standorten der Länderniederlassungen jeweils Teilaufgaben an die „verlängerte Werkbank“ nach Sri Lanka oder zum Einkauf nach China weitergegeben. Zwischen den Länderniederlassungen werden auch Lagerverschiebungen vorgenommen, was entsprechende Intercompany-Aufträge nach sich zieht.

Abb. 1: Arbeitsteilung innerhalb der Variosystem-Gruppe


Abb. 1: Arbeitsteilung innerhalb der Variosystem-Gruppe

Abb. 2: Prozess Disposition und Fertigung


Abb. 2: Prozess Disposition und Fertigung

Prozesssicht
Der Prozess „Disposition und Fertigung“ wird in Abb. 2 detaillierter dargestellt und zeigt, dass über mehrere Standorte zentral disponiert wird. Fertigungsaufträge werden von den Werken mit Kundenbeziehungen je nach Bedarf dem Werk in Sri Lanka zugewiesen. Die notwendigen Komponenten können anschliessend global, aber unter Berücksichtigung von genau definierten Regeln, aus unterschiedlichen Lagern oder durch Zukauf an die verarbeitende Stelle geordert werden. Alle diese Arbeitsschritte werden in einem ERP-System durchgeführt. Dabei hat jeder Standort seine eigene Sicht auf die Prozesse. So sieht der Einkauf in China z.B. automatisch den globalen Bedarf, der zu erfüllen ist, und kann die Disposition danach ausrichten.

Die Arbeitsteilung erlaubt ein kostenoptimiertes Arbeiten in der Gruppe. Ausserdem kann sie an neue Firmenstrukturen angepasst werden, z.B. bei Gründung einer neuen Länderniederlassung.

Anwendungssicht
Die Entscheidung für SAP als Hersteller des ERP-Systems gab auch die weiteren Systeme vor. Für die Aufbereitung des konzernweiten Reportings wird das SAP Business Information Warehouse (SAP BW) verwendet. SAP Enterprise Portal (SAP EP) wird für das Intranet mit dem eingebauten Management Cockpit genutzt – Anwender haben hier über den Browser Zugang zu Managementinformationen. Für die Anbindung von Drittsystemen kommt die SAP-Integrationsplattform Process Integration (SAP Netweaver PI, oder kurz SAP PI) zum Einsatz. Sie kann sowohl interne Systeme wie die mobilen Datenerfassungsgeräte (MDE) als auch externe Kunden- oder Lieferantensysteme einbinden. An das Steuerungssystem für die Fertigung AEGIS werden Materialstammdaten übermittelt.

Durch den Einsatz einer Integrationsplattform, wie sie SAP PI darstellt, werden alle Systeme auf diesem Kommunikationsbus zusammen geführt (vgl. Abb. 3). Dadurch existieren in den Systemen nur noch Schnittstellen von und zum Integrationsbus. Dies schafft eine wertvolle Entkopplung der verbundenen Systeme, so dass diese zum Beispiel leichter auf einen neuen Release-Stand gebracht werden können. Ausserdem können unterschiedliche Schnittstellen im Kommunikationssystem vereinheitlicht und dann über ein Standard-Interface weitergeleitet werden. Dadurch erhöht sich der Wiederverwendungsfaktor und damit verringern sich die Kosten in der Einführung, Überwachung und Wartung jeder Schnittstelle.

Durch die strategische Ausrichtung auf die Systemlandschaft eines Herstellers, die aufeinander abgestimmte Anwendungen garantiert, kann mit wenig Aufwand auf unternehmerische Veränderungen reagiert werden. Veränderte Anforderungen werden im jeweils dafür vorgesehenen System umgesetzt. Das heisst zum Beispiel, dass mögliche Erweiterungen des Unternehmens hinsichtlich der Standorte im ERP-System abgebildet werden, während eine neue Reporting-Anforderung im SAP BW oder eine neue Schnittstelle im SAP PI realisiert wird.

Abb. 3: Übersicht über die SAP-Anwendungslandschaft


Abb. 3: Übersicht über die SAP-Anwendungslandschaft

Die konsequente Umsetzung der Anforderungen mittels Anwendungen desselben Herstellers ermöglicht es Variosystems auch, sich auf die abgestimmte Weiterentwicklung dieser Systeme zu verlassen und zu geeigneten Zeitpunkten die neuen Versionen einzuführen. Da sowohl die aktuellen Anforderungen als auch das mögliche künftige Wachstum mit den aktuellen Versionen abgedeckt werden können, werden derzeit jedoch keine Upgrades geplant.

Weiterhin können die geplanten Schnittstellen zu Kunden und Lieferanten auf vielfältige Art und Weise über die Integrationsplattform gelöst werden [EDI]. Die dazu notwendigen Prozesse – z.B. Vendor Managed Inventory (VMI) Abwicklungen – können mit Hilfe von Standardfunktionalität im ERP-System abgebildet werden. Derzeit werden vor allem Materialstammdaten von Kunden und aktuelle Bedarfszahlen an Lieferanten über unterschiedliche Datenschnittstellen ausgetauscht.

Technische Sicht
Damit alle vier weltweit verteilten Standorte jederzeit Zugriff auf die Anwendungen haben, sind diese mit der Konzernzentrale in Steinach (CH) über ein virtuelles privates Netzwerk (VPN) verbunden. Dort werden die Server, auf denen die SAP-Anwendungen laufen, betrieben. Um einen unterbrechungsfreien Service auch im Falle einer grösseren Katastrophe sicher zu stellen, ist geplant, einen bereits bestehenden zweiten Server-Raum in den USA als Backup-Rechenzentrum zu nützen.


3. Projektablauf und Betrieb

Variosystems führte innerhalb kurzer Zeit im gesamten Konzern eine neue Systemlandschaft ein und verband damit eine Prozessharmonisierung über alle Standorte hinweg. Das Vorgehen dazu wird in den folgenden Kapiteln beleuchtet.

Investitionsentscheidung und Evaluation
Im Jahr 2006 stand eine Entscheidung über eine Versionsanpassung oder einen Ersatz des bestehenden, an allen Standorten separat betriebenen ERP-Systems an. Dabei ist zu erwähnen, dass infolge uneinheitlicher individueller Veränderungen an den Standorten ein problemloser Release-Wechsel nicht möglich war.

Für die Alternative des Wechsels auf ein neues System wurden einige Vorgaben definiert. In jedem Fall müsse es sich wieder um eine Standardsoftware handeln. Als Grundsatz wurde explizit definiert: „Wir passen uns dem Standard an, solange es keinen Wettbewerbsnachteil für uns darstellt.“ Damit wollte man den Aufwand sowohl für die Systemeinführung als auch für den laufenden Betrieb auf einem niedrigen Niveau halten. Die zu implementierende Gesamtlösung müsse von vorne herein zu den Prozessen von Variosystems passen.

Die Geschäftsleitung erteilte dem IT-Leiter den Auftrag, eine Analyse und Entscheidungsgrundlage zu erstellen, in der Funktionsumfang, Anforderungsabdeckung und Kostenrahmen für das Nachfolgeprodukt des damals lizenzierten Programmes und, als Alternative, SAP ERP verglichen werden. Die Beschränkung auf SAP erfolgte, um das Auswahlverfahren kosten- und zeitmässig schlank zu halten. Ausserdem war SAP bei sehr vielen Kunden und Lieferanten von Variosystems schon etabliert und man versprach sich Synergieeffekte beim Datenaustausch und bei der Durchgängigkeit von Prozessen. Für das SAP-System wurde die Funktionalität als Massstab herangezogen, die mit der SAP-ERP-Baseline-Auslieferung als Referenzmodell standardmässig zur Verfügung steht. Das für die Entscheidungen notwendige Wissen wurde bis zur Auswahl des Implementierungspartners von den Internetseiten von SAP bezogen.

Für die Kostenermittlung wurde vereinbart, dass die Gesamtkosten (Total Cost of Ownership, TCO) für eine Nutzungsdauer von zehn Jahren zu Grunde zu legen sind, das entspricht der Abschreibungsdauer. Es waren also nicht nur die reinen Lizenz- und Projektkosten, sondern auch die Kosten der notwendigen Infrastruktur, des laufenden Betriebes und der künftigen Release-Wechsel zu berücksichtigen. Neben den Prozessbeschreibungen gehörten die in Kapitel 1.2.1 genannten Ziele sowie die Anpassbarkeit in der Zukunft zu den Evaluationskriterien. Für die beiden zur Wahl stehenden Alternativen wurde eine Nutzenanalyse durchgeführt, bei der die Gewichtung der einzelnen Kriterien von mehreren Personen entwickelt und anschliessend gemittelt wurde. Aus dieser Gegenüberstellung ging schliesslich SAP ERP 6.0 als die bessere Alternative hervor.

Partnerwahl
Nach dieser Entscheidung für die Neueinführung eines SAP-Systems war vor Projektstart noch ein Implementierungspartner zu finden. Dieser sollte über grösstmögliches Know-how in allen SAP-Modulen verfügen. Zur Evaluation wurde eine Marktübersicht erstellt und in einer ersten Grobauswahl nach Informationsrecherchen im Internet wurden sechs Anbieter ausgesucht. Diese durften in der zweiten Phase eine Offerte für das Einführungsprojekt stellen. Die vier am besten platzierten Beratungsunternehmen wurden anschliessend eingeladen, einen genau definierten Business Case auf der Basis des gewählten Systems SAP ERP 6.0 auszuarbeiten und zu präsentieren. Neben einer objektiven Beurteilung mittels eines Kriterienkatalogs wurde auch auf emotionale und fachliche Aspekte bei der Präsentation geachtet. Unter anderem wurde dabei beurteilt, ob der Partner auch „die Sprache der Branche“ spricht und damit bei allen Projektmitgliedern die entsprechende Akzeptanz findet. Aus dieser Evaluierung ging schliesslich die Resource AG als Implementierungspartner hervor.

Projektmanagement und Change Management

Für das Projekt wurde folgende Projektorganisation aufgestellt:

  • Lenkungsausschuss mit projektverantwortlichen Geschäftsleitungsmitgliedern,
  • Projektleitung durch den IT-Leiter und
  • Projektmitarbeitende, die alle Standorte und alle Prozessgruppen wie Finanzen, Verkauf, Einkauf etc. repräsentieren können.


Der ambitionierten Projektleitung gelang es, mit Engagement, persönlicher Überzeugung und offener Kommunikation Begeisterung in das Team zu tragen und die Teilprojektorganisationen vor Ort für die neue Lösung zu gewinnen.

Die Mitglieder der lokalen Projektteams wurden Key User für die jeweiligen Standorte. Key User [Power-User] sind Führungskräfte, die im Projekt ihre Fachbereiche vertreten und an der Detailkonzeption mitarbeiten. Dabei erlangen sie viel Wissen über das System und die neuen Prozesse. Später erstellen sie Schulungsunterlagen, bilden die Benutzer in ihrer jeweiligen Landessprache aus und unterstützen diese anschliessend im laufenden Betrieb als erste Ansprechpartner. Den Key Usern fällt damit eine Schlüsselrolle beim Kompetenzaufbau in den Teilorganisationen zu.

Daneben war der Rückhalt der Geschäftsführung ein Schlüsselfaktor für das Erreichen der im Projektauftrag definierten Ziele. Hätte sie nicht für eine entsprechende Priorisierung und Bereitstellung personeller Ressourcen gesorgt, wäre ein termingerechter Projektabschluss im definierten Umfang nicht möglich gewesen. Da sich in den Ländergesellschaften in den Jahren zuvor auch organisatorische Eigenheiten herausgebildet hatten, war die Systemeinführung notwendigerweise mit einer Prozessharmonisierung und –umstellung verbunden. Auch das war nur machbar, weil alle Führungsebenen voll umfänglich hinter dem Projekt standen.

Das Projektteam übernahm die Aufgabe, innerhalb eines Jahres den gesamten Konzern weltweit mit dem neuen System auszustatten und alle Prozesse umzustellen und zu aktiveren. Hier spielte der erwähnte Grundsatz zur Ausrichtung am Standard des Referenzmodells SAP Business Baseline eine wichtige Rolle. Von ihm durfte nur abgewichen werden, wenn ein Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens gefährdet wäre. Den Beschluss dazu konnte nur der Lenkungsausschuss fällen. Diese Grundsatzentscheidung legte den Grundstein für die Prozessharmonisierung. Bei der Implementierung der ersten Landesgesellschaften Schweiz und USA wurde ein Prozess-Template erstellt, das dann an den Standorten China und Sri Lanka ausgerollt wurde. Künftige Standorte sollen ebenfalls anhand dieses Templates implementiert werden.

Die Orientierung am Systemstandard bewirkt eine klare und übersichtliche Prozesslandschaft, was für künftige Organisationsänderungen eine optimale Vorbereitung darstellt. Es ist gewährleistet, dass die verschiedenen Prozessgruppen nahtlos ineinander greifen. Ausserdem kann der Support des Herstellers uneingeschränkt genutzt werden. Bei programmtechnisch modifizierten Anwendungen ist dagegen bei Problemen zuerst immer eine Fehlerabgrenzung oder eine Rückführung in den Standard erforderlich, um nachzuweisen, dass nicht die eigene Veränderung für das Fehlverhalten verantwortlich ist.

Laufender Unterhalt
Im laufenden Betrieb werden alle Veränderungen am System von der Variosystems-internen IT-Abteilung erledigt. Die wesentlichen Aufgaben werden dabei von zwei Mitarbeitenden mit sehr hohem Wissensstand durchgeführt. Um deren Wissen aktuell zu halten, besuchen diese auch weiterhin Schulungen bei SAP.

Für die langfristige Absicherung der harmonisierten und global integrierten Prozesse wurde ein Steuerungsgremium geschaffen. Es besteht aus allen Prozessverantwortlichen und trifft sich zwei bis drei Mal im Jahr. Nur die von diesem „Global Process Harmonization Team“ freigegebenen Änderungen werden anschliessend zentral für alle Standorte im System vorgenommen.

Die Ausführung der Änderungen übernimmt die zentrale Informatikabteilung. Nur in seltenen Fällen muss auf externe Dienstleistungen der Resource AG zurückgegriffen werden. Resource ist zudem Wartungspartner für Variosystems und leistet Softwarepflege und Support. Der Support vom Implementierungspartner hat den Vorteil, dass an das im Einführungsprojekt aufgebaute Spezialwissen angeknüpft werden kann. Bezüglich eines Release-Wechsels wurden noch keine Pläne gemacht, da SAP als Hersteller einen Mainstream-Support bis Ende 2015 und eine eingeschränkte Wartung bis Ende 2017 garantiert.


4. Erfahrungen

Nach eineinhalbjährigem, regulärem Betrieb können die Verantwortlichen nicht nur auf ein erfolgreiches Implementierungsprojekt, sondern auch auf einen sehr guten Erfolg in der Unterstützung der täglichen Prozesse zurückblicken.

Nutzerakzeptanz
Nach der anfänglichen Umstellungsphase, die sowohl das Arbeiten mit einem völlig neuen System als auch mit zum Teil veränderten Prozessen mit sich brachte, stellte sich rasch ein produktiver und positiver Zustand ein. Die Akzeptanz der Lösung ist durchgängig über alle Abteilungen und alle Landesniederlassungen zu spüren und an der geringen Zahl an Veränderungsanträgen zu sehen. Dabei hat sich das Key-User-Konzept bewährt, da jeder Benutzer einen direkten Ansprechpartner für seine Prozesse in seiner Landessprache hat. Ausserdem sind für viele Beteiligte Prozessverbesserungen spürbar. Ein Beispiel dafür ist die nun hundertprozentige Wiederauffindbarkeit der Materialien als Folge des Einsatzes von Barcode-Lesegeräten, der automatisierten Etikettierung der Ware und der streng maschinengesteuerten Ein- und Auslagerprozesse.

Zielerreichung und bewirkte Veränderungen
Das engagierte Projektteam konnte die im Projektauftrag formulierten Ziele alle erreichen. Das beinhaltet die Harmonisierung der Geschäftsprozesse über alle Standorte und die Implementierung des neuen SAP-ERP-Systems mit den von SAP ausgelieferten Referenzprozessen. Die Anpassung der Prozesse an den Softwarestandard wird als Schlüsselfaktor sowohl für kurz- als auch für langfristigen Erfolg gewertet. Ein zweiter Erfolgsfaktor ist die klassische Methode des Template-Ansatzes. Dabei wurden die Prozesse bei der Einführung am ersten Standort definiert und ohne Veränderungen von allen anderen Standorten übernommen. Die Prozessdefinition, die ausgerollt wird, nennt man Template und darf sie nur in sehr gut begründeten Fällen verändern. Entscheidungen darüber trifft das „Global Process Harmonization Team“.

Veränderungen
Es hat sich eine positive Stimmung und eine ruhige Arbeitsatmosphäre eingestellt. Insbesondere verweist der IT-Leiter auf die hohe Prozessstabilität und die Erfolge, die in der Lagerbewirtschaftung erzielt werden konnten. Die Mitarbeitenden schätzen die durch die übergreifenden Prozesse und zentralen Daten hergestellte Transparenz und die Einfachheit der implementierten Prozesse.

Durch die Harmonisierung der Prozesse konnten auch Unstimmigkeiten in den KPIs (Key Performance Indicators) eliminiert werden. Und durch die Bündelung des Einkaufsvolumens kann einerseits ein besserer Einkaufspreis verhandelt und andererseits eine optimierte Disposition durchgeführt werden.

Investitionen, Rentabilität und Kennzahlen
Die Geschäftsleitung von Variosystems sieht in der zentralen Steuerung der konzernweiten Geschäftsprozesse einen nachhaltigen Erfolgsfaktor. Dieser besteht zum einen in der Transparenz und Performance der aktuellen Organisation, zum anderen aber auch in der schnellen Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Rahmenbedingungen.

Neben den üblichen Lizenzkosten für die Softwaremodule von SAP für ca. 150 Benutzer entstanden Variosystems Kosten für etwa 200 Personentage beim Implementierungspartner und interne Kosten für Aufwände und Stunden des Projektteams. Dazu kommen noch Kosten für die Infrastruktur, z.B. die Serversysteme und das Netzwerk. Erleichternd für das Projekt war, dass es fast zeitgleich mit einem Neubau der Konzernzentrale erfolgte, in dem das Rechenzentrum Platz fand.

Als einen Indikator für die Rentabilität sieht die Geschäftsleitung den Umstand, dass die grossen Umsatzsteigerungen im Jahr 2008 ohne Personalaufbau gemeistert werden konnten.


5. Erfolgsfaktoren

Spezialitäten der Lösung
An der Lösung von Variosystems ist hervorzuheben, dass die Prozesse aller Landesniederlassungen praktisch gleichzeitig auf dem neuen System implementiert wurden. Durch diese global angesetzte Strategie konnte die Variosystems-Gruppe die standortübergreifenden Prozesse auf eine neue Ebene heben und sofortige ökonomische Vorteile erzielen.

Das Einführungsprojekt startete mit einer klaren, genau definierten und schriftlich festgehaltenen Aufgabenstellung. Diese wurde durch das Projektteam konsequent umgesetzt und durch eine offene und von Argumenten getragene Kommunikation an alle Betroffenen vermittelt. Dies führte neben den Erleichterungen im täglichen Betrieb zu einer raschen und hohen Akzeptanz der Lösung bei den Benutzern.

Die Zentralisierung des ERP-Systems ermöglicht eine vollständige Sicht auf alle Kunden mit all ihren Aufträgen. Aufträge können nun über die gesamte Supply Chain verfolgt werden. Gekoppelt mit der zentralisierten Beschaffung und der global gesteuerten Fertigung konnten sehr rasch ökonomische Verbesserungen gemacht werden. Diese sind auch jederzeit im neu geschaffenen Management-Cockpit ersichtlich.

Reflexion der Faktoren für dauerhaften Erfolg
Durch die volle Integration aller Standorte und Prozesse wurden die hochgesteckten Projektziele erreicht. Durch die Optimierung der Abläufe und die neu gewonnene Transparenz wurde es möglich, Umsatzsteigerungen ohne personelle Veränderungen zu meistern. Gerade dieser Umstand zeigt, dass die gewählte Lösung eines zentralen Systems, das alle Prozesse für alle Standorte unterstützt und somit eine gemeinsame Sicht auf alle Daten ermöglicht, die richtige Wahl war.

Neben der gesamtheitlichen Sicht auf Kunden liefert die neue Lösung nun im Management-Cockpit alle Kennzahlen in einer Konzernsicht, aus der man mittels Einschränkungen in verschiedenen Merkmalsebenen (Drill-Down-Verfahren) zu detaillierten länderspezifischen Darstellungen wechseln kann. Durch die graphisch unterstützte Darstellung dieser KPIs in einer Weboberfläche, die aus den Zahlen aus dem Business Information Warehouse erzeugt wird, wurde eine intuitive und einfache Handhabung des Management-Informationssystems erreicht. Die Kennzahlen im Intranet erlauben eine zeitnahe Analyse des Geschäftsverlaufes und lösten alle gedruckten Reports und Tabellenkalkulationen ab.

Lessons Learned
Rückblickend sind sich die am Projekt Beteiligten einig, dass der ungeteilte Rückhalt durch die Geschäftsführung ein wesentlicher Bestandteil des Erfolges ist. So wurden schon der Auftrag zur Evaluation und natürlich der Projektauftrag von diesem Gremium verabschiedet. In weiterer Folge waren zwei Mitglieder der Geschäftsleitung im Steuergremium des Projektes vertreten. Somit war sichergestellt, dass keine Entscheidung ohne Wissen, aber vor allem auch ohne Unterstützung durch die Geschäftsführung erfolgte.

Zudem werden das frühzeitige Aufbauen der lokalen Projektteams und das Vertrautmachen mit dem neuen System als Erfolgsfaktoren genannt. Das Key-User-Konzept trägt zur Nachhaltigkeit des Erfolgs bei.

Sollte das Projektteam noch einmal so eine Aufgabe bewältigen müssen, dann würden die Mitglieder keine Veränderungen am Vorgehen vornehmen. Allerdings sollten aufgrund der räumlichen Entfernung nicht zwei Standorte wie Schweiz und USA gleichzeitig implementiert werden. Hier bietet sich dieselbe Vorgehensweise wie bei allen anderen Standorten an: das zeitversetzte Einführen des Templates der Zentrale.


Exploitant(s)

Variosystems AG
André Bättig, Leiter IT
Secteur: Equipements électriques/Equipements électroniques/Optique
Taille de l'entreprise: Grande entrepriseVariosystems AG

Partenaire(s) solutions

Paolo Strever, Sales Manager
Resource AG

Auteur(s) de l'étude de cas

Stefan Stöckler
Fachhochschule St. Gallen FHS

07. septembre 2009
Stöckler; Stefan (2009): Fallstudie Variosystems; in: Wölfle; Ralf; Schubert; Petra (Hrsg.): Dauerhafter Erfolg mit Business Software - 10 Jahre Fallstudien nach der eXperience Methodik; S. 81 - 94; München: Hanser Verlag; 2009

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