Börse Berlin: Web 2.0-Plattform zur Kundenkommunikation
Die folgende Fallstudie beschreibt den Einführungsprozess und den Betrieb eines virtuellen Expertennetzwerks an der Börse Berlin. Ziel des Projekts war es, einen neuartigen Kommunikationskanal zwischen der Börse und dem Kundensegment der Privatanleger zu etablieren. Hierdurch sollten Kenntnisse über deren Präferenzen gewonnen werden, die Kundenbindung erhöht und Ideen der Kunden aufgegriffen und in eigene Wertschöpfungsprozesse integriert werden. Die technische Grundlage bildeten ein Online-Diskussionsforum, ein Chatsystem sowie Weblogs.
1. Unternehmensprofil
Hintergrund, Branche, Produkt und Zielgruppe
Die in ihrer Gründung auf das Jahr 1685 zurückgehende Börse Berlin AG ist eine von acht deutschen Wertpapierbörsen. Neben dem traditionellen Handel auf Xontro, dem Handelssystem aller Parkettbörsen in Deutschland, betreibt das Unternehmen unter der Marke Equiduct die Handelsplattform ETS.
Rund 50 Prozent aller auf Xontro handelbaren Werte in Berlin sind Aktien. Der Schwerpunkt liegt dabei auf ausländischen Unternehmen. So werden in Berlin nahezu alle Nasdaq Werte gehandelt, darüber hinaus aber auch Unternehmen aus China oder Südafrika. An der Börse Berlin können internationale Blue Chips, Nebenwerte (Aktien von rund 15.000 Unternehmen aus 82 Ländern), Anleihen, Zertifikate und Optionsscheine und festverzinsliche Wertpapiere gehandelt werden. Daneben können Anleger in Berlin eine große Auswahl an Publikumsfonds und aktiv gemanagten Investmentfonds handeln. Außerdem können Exchange Traded Funds (ETFs) und Exchange Traded Commodities (ETCs) gehandelt werden.
Die Börse Berlin AG steht im Wettbewerb sowohl zu den anderen deutschen Regionalbörsen als auch zu bestehenden internationalen Handelsplätzen. Darüber hinaus bewegt sich die Börse in einem sich rasant verändernden Umfeld, in dem neue Handelsplattformen und –konzepte entstehen. Gründe hierfür sind bspw. die große Verbreitung des Internets und sich verändernde rechtliche Rahmenbedingungen.
Aufgrund der standardisierten Produkte ist die Erarbeitung von Alleinstellungsmerkmalen herausfordernd. Privatanleger (B2C) stellen für den auf ausländische Aktienwerte spezialisierten Handelsplatz der Börse Berlin eine besonders relevante Zielgruppe dar. Das Segment der Privatanleger umfasst sowohl intensiv agierende Händler (Heavy Trader, Day-Trader) als auch Personen, die nur vereinzelt Transaktionen vornehmen. Durch die systembedingte Intermediärstätigkeit der Banken und der daraus hervorgehenden geringen Kontaktfläche zwischen Börse und Privatanleger ist die Kommunikation zwischen diesen Gruppen jedoch erschwert.
Stellenwert von Informationstechnologie im Unternehmen
Die Börsengeschichte der Nachkriegszeit ist bis heute geprägt von technischen Neuerungen. Insbesondere die Computertechnologie revolutionierte den Wertpapierhandel. Nach Wegfall der Präsenzpflicht für Freimakler im April 1998 handeln die Marktteilnehmer heute zunehmend computergestützt von ihren Niederlassungen aus. Der IT kommt hierdurch für den Betrieb des Handelsplatzes eine wesentliche Bedeutung zu. Besondere Anforderungen ergeben sich aufgrund der stark schwankenden Handelsvolumina und damit verbundener volatil benötigter Rechenleistung (Skalierungsproblem) sowie den besonderen Datenschutz und –sicherheitsbedürfnissen. Aufgrund dieser Charakteristika hat der IT-Bereich einen hohen Stellenwert für das Unternehmen. Die Entwicklung einer IT-Strategie und deren Realisierung werden durch den Leiter der IT-Abteilung in Abstimmung mit dem Vorstand vorgenommen.
2. Ausgangssituation für das Projekt (ex-ante Sicht)
Ausgangslage
Die Börse Berlin AG beschäftigte vor Beginn des Projekts 26 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Aufgrund der spezialisierten Tätigkeiten und Anforderungen verfügt der überwiegende Teil über einen Universitätsabschluss. Das Durchschnittsalter der Belegschaft betrug etwa 42 Jahre.
Die Koordination der Arbeit erfolgt auf oberster Ebene durch den Vorstand. Die operative Organisation der Arbeit in einzelnen Abteilungen verantwortet jeweils ein Leiter bzw. eine Leiterin (IT, Rechtsabteilung, Unternehmenskommunikation, Customer Care und Handelsüberwachung). Sowohl die Führungsebene als auch die einzelnen Arbeitsgruppen, die zwischen zwei und sechs Mitarbeitern umfassen, treffen sich in regelmäßigen Jour-Fixes. Die geringe Größe der Abteilungen sowie die lokale Zentralität des Unternehmens erleichtert eine unmittelbare und persönliche Zusammenarbeit. Die Kommunikation und Kollaboration (KuK) wird durch gemeinsam genutzte Ordner unterstützt. Telefon und E-Mail werden als gängige Kommunikationsinstrumente sowohl intern als auch zu externen Stakeholdern genutzt.
Im Unternehmen herrscht ein deutliches Bewusstsein über die Abhängigkeit jedoch auch die Chancen von Informationstechnologie. Der Vorstand und die Belegschaft stehen Innovationen in diesem Bereich grundsätzlich positiv gegenüber. Für die Einführung von KuK-Technologien stellt jedoch der schwer zu monetarisierende Nutzen des Return on Investment (ROI) ein Hindernis für kostenintensive Entscheidungen dar.
Die Diffusion von Wissen findet innerhalb des Unternehmens primär durch die regelmäßigen Jour-Fixes statt. Es herrschen insgesamt klare Verantwortlichkeiten, die einen direkten Kontakt zwischen Mitarbeitern (ohne Umweg über Hierarchien) erleichtern. Informationen für externe Stakeholder (Anleger, Presse) erfolgen in erster Linie über die Website sowie einen regelmäßig erscheinenden Newsletter, der als Druck- und als Online-Version zugestellt wird. Die Börse Berlin unterhält darüber hinaus ein durch eigene Mitarbeiter besetztes Call Center, das der Annahme und Bearbeitung von Kundenanfragen dient. Zudem veranstaltet die Börse Berlin regelmäßig Informationsveranstaltungen und nimmt an kleineren Finanzmessen (Börsentage) teil. Zielgruppe dieser Aktivitäten sind die Privatanleger.
Motive und Ziele
Die in Deutschland existierende institutionelle Struktur im Wertpapierhandel sieht eine direkte Kommunikation zwischen Privatanlegern und Börsen nicht vor. Private Anleger geben Kauf- und Verkauforders mittels Onlinebanking oder schriftlichen Anweisungen an Geschäftsbanken weiter, welche die Aufträge ihrer Kunden an den Handelsplätzen ausführen. Ein unmittelbarer Kontakt findet lediglich auf der Ebene zwischen Privatanlegern und Geschäftsbanken sowie zwischen Geschäftsbanken und Börsen statt. Diese Trennung zwischen Privatanlegern und Börsen, in denen Banken als Intermediäre agieren, erschwert oder verhindert die Umsetzung zielgerichteter und auf die Privatanleger abgestimmter Customer-Relationship-Management-Ansätze. Der Wissensmangel über demografische Daten, Präferenzen und Wünsche der eigenen Kunden, den Privatanlegern, erschwert oder verhindert eine Anpassung des Angebots im Sinne dieses Kundensegments.
Social Network Software kann dazu beizutragen, die vorherrschende Kommunikationslücke, die im Börsenwesen existiert, zu überbrücken. Aus dieser Intention heraus entstand die Projektidee für den Aufbau einer virtuellen Kunden-Community an der Börse Berlin, die proaktiv durch den Vorstand vorangetrieben und unterstützt wurde. Für den Community-Betreiber (Börse Berlin AG) stand die Bildung eines Kommunikationskanals zum Privatanleger im Vordergrund. Daneben wurden jedoch weitere Ziele genannt, wie die positive Beeinflussung des Unternehmensimages oder die Erlangung von Informationen über Präferenzen der Anleger. Im Rahmen des Projekts wurden verschiedene Steuerungs- und Motivationsinstrumente sukzessive eingesetzt, um die Partizipation von Kunden zu intensivieren.
Als wesentliches operationalisiertes Ziel des Projekts wurde die Erlangung von kritischen Mengen an Mitgliedern und an Beiträgen definiert. Hierdurch sollte das Entstehen von Netzwerkeffekten gezielt beschleunigt werden.
Im Rahmen der Projektumsetzung war es daher von Bedeutung, Maßnahmen zu konzipieren und umzusetzen, die zum Erreichen dieser kritischen Masse beitragen. Ein Hauptinstrument hierfür waren die eingesetzten Moderatoren, die selber Beiträge und Antworten formulierten. Obgleich bestimmte Möglichkeiten der Mitgliedersteuerung identifiziert und angewandt wurden, sind insbesondere Finanzcommunities aktuellen Rahmenbedingungen unterworfen, welche die Aktivität von Mitgliedern maßgeblich beeinflussen. So zeigt z.B. eine Studie, dass die Anzahl der aktiven Nutzer in Finanzcommunities mit der Entwicklung bestimmter Indizes korrelieren und hierdurch den Möglichkeiten einer aktiven Steuerung Grenzen gesetzt sind [Schoberth et al. 2003]. Das Projekt wurde inhaltlich anhand eines Vorgehensmodells des Community-Engineerings umgesetzt [Stieglitz 2008]. Dieses umfasste die Phasen der Analyse, des Designs, der Implementierung und Betriebs, des Controllings und der Evolution. Die Untersuchungsmethodik beinhaltete verschiedene Datenerhebungen und auswertungen aus dem Spektrum der empirischen Sozialforschung.
Erwarteter Nutzen
Ausgehend von dem Problem einer schwach ausgeprägten Kundenkommunikation wurde die Etablierung einer direkten Kontakt- und Diskussionsschnittstelle zu den Endkunden (Privatanlegern) als Hauptnutzen identifiziert. Im Rahmen einer Analyse wurde evaluiert, in welchen Funktionsbereichen der Börse Berlin Mehrwerte durch das geplante Expertennetzwerk entstehen könnten. Unterschieden wurden hier die Bereiche der Marktforschung, der Kommunikationspolitik und der Markt- und Produktpolitik.
- Marktforschung: In diesem Bereich standen die Bildung von Nutzer- und Anlegerprofilen sowie die Analyse von Präferenzen der Community-Mitglieder im Vordergrund.
- Kommunikationspolitik: Durch das Angebot einer Kunden-Community sollte eine verstärkte Kundenbindung erreicht werden. Zudem sollten Produktinformationen an Kunden vermittelt und das Image der Börse Berlin als innovativer Handelsplatz gestärkt werden.
- Markt- und Produktpolitik: Die Handelsplatzgestaltung und Handelsbedingungen sollten auf Grundlage des durch Kunden generierten Inputs an deren Bedürfnisse angepasst werden. Reality Checks und Experimente sollen in späteren Stadien auf der Diskussionsplattform durchgeführt werden, um die Produktgestaltung zu unterstützen.
Der Vorstand hatte die Erwartung, dass die drei definierten Zwischenziele letztlich zu einer Steigerung des Umsatzes und des Gewinns führen sollten. Im Rahmen des Projekts konnten jedoch keine Instrumente entwickelt oder angewandt werden, die einen solchen unmittelbaren Zusammenhang bewiesen hätten. Als operationalisierte Kennzahlen wurden daher die Anzahl der registrierten Nutzer und die Menge der erstellten Beiträge gemessen. Der Hauptnutzen durch den Aufbau der Community (der sich in erster Linie aus detaillierten Informationen über Kundenpräferenzen und einer intensiveren Kommunikation darstellte) wurde in der Abteilung Unternehmenskommunikation erwartet. Durch diese Abteilung wurde auch ein Großteil der benötigten Personalressourcen bereit gestellt. Eine wesentliche Zuarbeit erfolgte durch die hausinterne IT-Abteilung sowie die in das Projekt integrierte Universität.
Entscheidungsprozess und Investitionsentscheidung
Die Initiative zur Durchführung des Projekts ging vom Vorstand der Börse Berlin aus. Impuls hierfür war eine bereits bestehende Kooperation mit der Universität Potsdam. Die Entscheidung für die Durchführung des Projekts erfolgte nach einer mehrmonatigen Evaluationsphase, in der relevante Abteilungen (Unternehmenskommunikation, IT, Recht) gemeinsam mit dem universitären Partner Ziele und Vorgehensweisen zum Aufbau der Kunden-Community entwarfen. Darüber hinaus wurden Lead-User-Treffen durchgeführt, auf deren Basis Informationen über die Akzeptanz der geplanten Plattform sowie geeigneter Inhalte und Funktionen gewonnen werden konnten.
Der universitäre Partner stellte wissenschaftliches Hintergrundwissen und Erfahrungen im Bereich des Community-Aufbaus bereit, das als Grundlage für die Projektumsetzung genutzt wurde. Da die Umsetzung des Projekts hausintern (unter Beteiligung der Universität) realisiert wurde, fand keine Ausschreibung statt. Eine umfassende strukturierte ROI-Betrachtung wurde aufgrund der nur unter sehr großer Unsicherheit messbaren Mehrwerte der angestrebten Plattform nicht durchgeführt. Die Budgetplanung orientierte sich an den zu erwartenden Kosten, die sich vorrangig aus Personal-, Lizenz- und Serverkosten für den Zeitraum von einem Jahr ergab. In der Projektplanung wurde vorgesehen, nach einer einjährigen Projektlaufzeit eine Evaluation durchzuführen, auf deren Basis der Vorstand über eine Verlängerung des Projekts entscheiden sollte.
Vorstellung der Partner
Das Aufsetzen und der Betrieb der Plattform wurden maßgeblich durch Mitarbeiter der Börse Berlin durchgeführt. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Kooperation wurde die Universität Potsdam (Wirtschaftsinformatik) an dem Projekt beteiligt. Ein Mitarbeiter der Universität wurde hierzu als Projektleiter eingesetzt. Die Finanzierung erfolgte je zur Hälfte durch die Börse und die Universität. Die Beteiligung der Universität war nicht auf Begleitung und Auswertung beschränkt, sondern beinhaltete die Generierung von Handlungsvorschlägen und die operative Steuerung des Projekts.
Projektpartner: Universität Potsdam
Kooperationspartner zur Umsetzung des Projekts war die Juniorprofessur für Corporate Governance und E-Commerce (Prof. Dr. Lattemann). Die aus vier Mitarbeitern bestehende Gruppe war bereits seit vielen Jahren wissenschaftlich auf dem Gebiet des Einsatzes sozialer Medien im Unternehmenskontext, insbesondere des Community-Engineerings, aktiv. In diesem Feld wurden an der Juniorprofessur bereits Projekte durchgeführt und zahlreiche Publikationen platziert.
3. Social Media in der Kundenkommunikation
Geschäftssicht und Ziele
Das Projekt hatte zum Ziel, einen unmittelbaren Kommunikationsfluss zwischen dem Handelsplatzbetreiber und den Endkunden (Privatanleger) zu etablieren. Bisher gab es eine solch direkte Interaktion aufgrund der besonderen Stellung der Banken im Handelsmodell nicht. Die kundenorientierte Kommunikation führte dazu, dass Innovationen durch den Endkunden artikuliert und nachfolgend in der Börse umgesetzt werden können. Dies wird durch eine Diskussion der Privatanleger untereinander sowie mit Mitarbeitern der Börse gefördert. Die Schaffung einer sozialen Bindung zwischen den Beteiligten (Community-Bildung) ist hierfür ein essentieller Parameter. Weitere angestrebte Mehrwerte sind die Erzeugung einer höheren Kundenbindung und Bekanntheit des Handelsplatzes. Durch die auf der Web 2.0-Plattform angelegten Nutzerprofile erhält die Börse darüber hinaus aktuelle und umfassende Informationen zu den Präferenzen der Privatanleger.
Abb. 1: Geschäftssicht der beteiligten Akteure und Verantwortlichkeiten
Wie Abb. 1 zeigt, stellt die aufgebaute Web 2.0-Plattform eine Möglichkeit für die Kunden dar, um eine direkte Kommunikation mit der Börse zu realisieren. Moderatoren übernehmen die laufende Betreuung der Community-Mitglieder und werten die erstellten Beiträge aus. Darüber hinaus kommunizieren auf der Plattform Experten aus der Rechts- und IT-Abteilung sowie aus der Unternehmenskommunikation. Die Projektleitung und Steuerung der Anreiz- und Motivationsstrategie erfolgt durch den universitären Kooperationspartner. Die Wertschöpfung der Plattform findet durch die neu stattfindenden Informationsflüsse statt.
Prozesssicht
Abb. 2 zeigt den schematischen Ablauf eines Prozesses, der nach Eingang eines Kundenbeitrages abläuft.
Abb. 2: Prozess der Bearbeitung von Beiträgen auf der Web 2.0-Plattform
Ziel ist es, anhand vorab definierter Kriterien, sinnvolle und innovative Vorschläge und Rückmeldungen der Community-Mitglieder zu filtern und deren Realisierbarkeit zu prüfen.
Beginnend mit der Einstellung eines Beitrages erfolgt zunächst eine inhaltliche Analyse des Textes durch die Moderatoren der Plattform. Wenn möglich erfolgt eine direkte Beantwortung bzw. Stellungnahme durch den Moderator. In der Regel geschieht dies während der üblichen Geschäftszeiten innerhalb weniger Minuten. Fragen, die besonderes Fachwissen erforderlich machen oder auf einen hohen Innovationsgehalt schließen lassen, werden (in der Regel per Mail) an die jeweiligen Abteilungen weitergeleitet. Anschließend erfolgt eine Beantwortung bzw. Kommentierung durch den Experten auf der Plattform. Parallel sammeln die Mitarbeiter Beiträge, die ihrer Ansicht nach nützliche Hinweise für eine Verbesserung oder Neugestaltung von Unternehmensprozessen enthalten in einem Innovationsportfolio. Im Rahmen von Sitzungen mit dem Vorstand werden diese Ideen diskutiert und die Realisierbarkeit geprüft. Bei einer positiven Bewertung werden die Vorschläge umgesetzt und ansonsten verworfen.
Anwendungssicht
Die an der Projektumsetzung beteiligten Partner können über einen Webbrowser auf die Plattform zugreifen. Entsprechend eines Rechte- und Rollenkonzeptes sind die Möglichkeiten zur System-Konfiguration oder zur Bearbeitung von Beiträgen unterschiedlich. Abb. 3 zeigt die Anwendungssicht der Börse Berlin.
Abb. 3: Anwendungssicht auf die Web 2.0-Plattform
Die Web 2.0-Plattform besteht aus Sicht der Nutzer aus einem Diskussionsforum, in das verschiedene Inhaltsbereiche (bspw. FAQs, aktuelle Informationen) integriert wurden. Darüber hinaus wird ein Weblog veröffentlicht, in dem aktuelle Geschehnisse an den Börsen aus Sicht eines Experten kommentiert werden. Zweiwöchentlich wird ein einstündiger Expertenchat organisiert, während dessen Community-Mitglieder die Möglichkeit erhalten, eigene Fragen zu stellen. Im Sinne der Mitgliedersteuerung dient dieser regelmäßige Termin dazu, Community-Mitglieder regelmäßig zu einem Besuch der Plattform anzuregen.
Funktionsumfang
Der Funktionsumfang der Gesamtlösung liegt vor allem im Bereich der Communication und der Content Combination (vgl. Abb. 4). Die Plattform wurde als Portal aufgebaut, auf dem die Nutzer selbst die Inhalte der Startseite zusammenstellen können (bspw. Forenbeiträge, Termine des integrierten Kalenders, Börsenkurse). Für die Plattform wurde ein Glossar angelegt, das vergleichbar zu einem Wiki verschiedene Begriffe und deren Definitionen enthält. Diese Beiträge können durch die Mitglieder bearbeitet und ergänzt werden. Sämtliche Beiträge können durch andere Nutzer kommentiert und verlinkt werden. Es gibt eine Funktion, um die Beiträge anderer Nutzer zu bewerten und auf diese Weise qualitativ hochwertige Beiträge zu kennzeichnen. Mit Hilfe einer integrierten Umfragefunktion können die Mitglieder regelmäßig befragt werden. Damit sind z.B. Abstimmungen möglich, um das Thema des nächsten Expertenchats festzulegen.
Abb. 4: Funktionsprofil der Gesamtlösung der Börse Berlin
Technische Sicht
Für die Gestaltung des Online-Forums wurde eine Evaluation von zehn marktführenden Softwarelösungen für Web 2.0-Kommunikationsportale durchgeführt. Diese beinhaltete sowohl Open-Source als auch proprietäre Programme. Ausgewählt wurde IP.Board von der Firma Invision Power, ein für den Betrieb von Online-Foren häufig verwendetes Programm, das hohe Freiheitsgrade in der individuellen Gestaltung und Verwaltung aufweist. Diese Software enthält eine teilweise AJAX-basierte Benutzerschnittstelle, mit der komfortable Benachrichtigungsszenarien realisiert werden. Darüber hinaus unterstützt die Software RSS-Feeds, Schnittstellen zu anderen Programmen und komplexe Suchfunktionen. Am 28.09.2006 wurde die bestehende Software um das Zusatzprogramm „Parachat“ ergänzt, um einen zweiwöchentlichen einstündigen Expertenchat zu unterstützen. Die ausgewählte Chat-Software verfügt über direkte Schnittstellen zur eingesetzten Forum-Software. Hierdurch konnte ein Single-Sign-On-Verfahren realisiert werden, das es den Mitgliedern erlaubt, beide Programme mittels eines einzigen User Accounts zu nutzen.
Die grafische Oberfläche der Plattform orientierte sich am damaligen Corporate Design der Börse Berlin. Die Struktur der vorhandenen Inhalte konnte mit Hilfe der Software durch die Moderatoren jederzeit geändert und angepasst werden. Insbesondere wurden im Laufe des Projekts Themenzusammenfassungen notwendig, um ausreichende Übersichtlichkeit zu gewährleisten. Die Webseiten des Portals wurden in die bestehende Struktur der Internetpräsenz der Börse Berlin integriert und durch Hyperlinks miteinander verknüpft. Auf diese Weise wurde das Forum in einen klaren Zusammenhang mit seinem Betreiber (Branding) gebracht.
4. Einführungsprojekt und Betrieb
Konzeption, Entstehung und Roll-out der Lösung
Die Konzeption des Roll-outs wurde vorgegeben durch den universitären Kooperationspartner in Abstimmung mit den Abteilungen Unternehmenskommunikation, Recht und IT. Das technische Aufsetzen der Plattform erfolgte durch die hausinterne IT-Abteilung, die auch die fortlaufende Wartung und Datensicherung verantwortete.
Zu Beginn des Projektes wurde eine Analysephase durchgeführt, in der unter anderem die Zielgruppe der neuen Plattform durch den Community-Betreiber identifiziert wurde. Als Zielgruppe festgelegt wurden dabei Personen, die bereits Erfahrungen oder ein ausgeprägtes Interesse im Wertpapierhandel haben und daher potenzielle Kunden der Börse Berlin sind. Aufgrund der Notwendigkeit, die Plattform nutzen zu können, war zudem ein gewisser Grad an Technologieaffinität Bestandteil der Zielgruppendefinition.
Die Börse Berlin verfügte bereits über eine eigene Kunden- und Kontaktdatenbank, die für die Einführung genutzt werden konnte. Ziel der Analysephase war es, Informationen über die Zielgruppe zu erhalten, die in das Community-Design einfließen konnten. Nach der Identifikation der Zielgruppe, wurde zunächst eine Strategie entwickelt, um die benötigten Daten zu erheben. Insbesondere Fokusgruppeninterviews wurden hierfür genutzt. Mittels dieses Verfahrens konnten nicht nur die Präferenzen der Privatanleger zur Ausgestaltung der Community abgefragt, sondern auch im Dialog diskutiert werden.
Basierend auf den Ergebnissen der Fokusgruppeninterviews wurden Inhalte als Initialcontent erstellt und auf der Plattform veröffentlicht. Im Laufe späterer Anpassungen wurde die Struktur erheblich verändert und entsprechend der aktuellen Bedürfnisse im Forum umgestaltet. Die Mitarbeiter der Börse wurden im Umgang mit der Plattform geschult, um selbst Beiträge einstellen und auf Kundenfragen reagieren zu können.
Als vertrauensunterstützende Komponente wurden Verhaltensregeln auf der Plattform veröffentlicht. Diese formalisierten Regeln sollten den Umgang der Mitglieder untereinander steuern und darüber hinaus Kriterien nennen, die für das Erstellen von Beiträgen gelten.
Die Öffnung der Plattform wurde über den Newsletter der Börse Berlin, den Presseverteiler der Universität Potsdam sowie durch einen Zeitungsartikel kommuniziert. Von diesem Zeitpunkt an konnten sich Mitglieder unter Angabe ihrer E-Mailadresse im Forum registrieren und Beiträge verfassen. Darüber hinaus wurden in den folgenden Monaten Werbebanner bei anderen Finanz-Communities geschaltet. Ebenso wurde das Expertennetzwerk der Börse Berlin in Internetverzeichnissen registriert und durch Verlinkungen eingebunden.
Projektmanagement und Change Management
Die Durchführung des Projekts orientierte sich an einem zuvor aufgestellten Vorgehensmodell (vgl. Abb. 5).
In je zwei monatlich stattfindenden Statuspräsentationen wurden aktuelle Entwicklungen und der Grad der Zielerreichung diskutiert. Das Projekt war auf einen Zeitraum von einem Jahr begrenzt und wurde daraufhin auf zunächst unbestimmte Zeit verlängert. Einhergehend mit einem Wechsel der Geschäftsstrategie und einer Umstrukturierung des Vorstandes wurde gegen Ende 2007 beschlossen, die Plattform an die Universität Potsdam zu übergeben. Dort wurde sie bis Mitte 2008 weiter betrieben, jedoch schließlich aus Kostengründen eingestellt.
Der Change-Management-Prozess wurde durch Schulungen der Moderatoren und der beteiligten Fachabteilungen unterstützt. Wesentliche Promotoren des Projekts waren in den Abteilungen Unternehmenskommunikation und IT angesiedelt.
Abb. 5: Vorgehensmodell zum Aufbau der Web 2.0-Plattform [Stieglitz 2008]
Abb. 6: Ablauf der Projektumsetzung
Organisatorisch war das Projekt in der Unternehmenskommunikation angebunden. Entscheidungen wurden in direkter Absprache zwischen der Leiterin der Abteilung und dem Projektleiter getroffen.
Für die Einführung wurde eine feste Zeitplanung zu Grunde gelegt. Meilensteine und Verantwortlichkeiten wurden für wichtige Zwischenschritte (bspw. Eröffnungsdatum der Plattform) definiert (vgl. Abb. 6).
Laufender Betrieb und Weiterentwicklung
Der zu Grunde gelegte Projektmanagementplan sah eine laufende Anpassung des Systems an die Bedürfnisse der Community-Mitglieder und der Mitarbeiter der Börse vor. Konzeptionell wurde diese Umsetzung durch die beteiligte Universität und die Abteilung Unternehmenskommunikation erarbeitet. Die technischen Anpassungen sowie die laufenden Sicherungen (Backups) wurden durch die IT-Abteilung realisiert. Darüber hinaus wurden Updates der genutzten Software eingespielt, um die Plattform für eine größere Nutzerzahl zu skalieren und neue Funktionen bereit zu stellen.
5. Erfahrungen (ex-post Sicht)
Nutzerakzeptanz und faktische Nutzung
Die Erfassung der Anzahl der Registrierungen und der externen Beiträge im Zeitablauf wurden als Indikatoren herangezogen, um Aussagen über den Erfolg der Community im Hinblick auf eine langfristige Kundenbindung zu treffen.
Anzahl der Registrierungen auf der Plattform
Die Anzahl der im Internetforum der Börse Berlin registrierten Mitglieder wurde über den gesamten Betriebszeitraum erfasst und konnte mittels Datenbankabfragen laufend analysiert werden. In den ersten sechs Monaten war lediglich ein geringer Anstieg der Teilnehmerzahl um etwa 250 Personen zu beobachten. In den folgenden 4,5 Monaten stieg die Anzahl der Teilnehmer um 430 auf 680 Mitglieder.
Eine Betrachtung des Verlaufs zeigte zudem, dass ein besonders starker Anstieg an Registrierungen im Februar 2007 erfolgte. Ursachen für diese Entwicklung können zum einen in erfolgreichen Marketingaktivitäten des Community-Betreibers gefunden werden und zum anderen durch positive Entwicklungen auf den Aktienmärkten beeinflusst worden sein.
Anzahl Beiträge auf der Plattform
Neben der Analyse der Neuregistrierungen wurde auch die Anzahl der durch die Community-Mitglieder verfassten Beiträge laufend erhoben. Die durch Moderatoren oder andere Börsenmitarbeiter erstellten Beiträge wurden in dieser Erhebung nicht berücksichtigt. Abb. 7 zeigt eine Zunahme der Anzahl der eingestellten Beiträge im Analysezeitraum Juli 2006 bis Juni 2007. Ein Anstieg war insbesondere im Januar 2007 zu beobachten, der mit der der beschriebenen Zunahme der Mitglieder einhergeht.
Abb. 7: Kumulierte Anzahl von Beiträgen auf der Plattform
In der Grafik sind zudem die Zeitpunkte für die Hinzuschaltung neuer Funktionen dargestellt (zu Beginn: Initialer Content, Einführung der Moderatoren, später: Etablierung eines Reputationssystems, mit Hilfe dessen die Aktivität einzelner Mitglieder in deren Profil sichtbar wurde).
Während sich der Zuwachs der Mitglieder im März 2007 wieder abgeschwächte, ist dies hinsichtlich der verfassten Beiträge nicht der Fall, deren Anstieg sich im April 2007 deutlich verstärkte. Gründe hierfür können in dem Erreichen einer kritischen Masse an Beiträgen und dem Auslösen von Netzeffekten gefunden werden, die einen weiteren Anstieg begünstigt haben.
Gruppierung der Mitglieder anhand des Aktivitätsgrades
Im Rahmen der laufenden Analysen wurde auch die Aktivität der Mitglieder erfasst. Hieraus bildeten sich verschiedene Cluster: (1) aktive Mitglieder, die sich dadurch auszeichnen, eigene Beiträge zu verfassen und (2) passive Mitglieder, die zwar Beiträge anderer Mitglieder lesen, jedoch keine eigenen verfassen und als Lurker oder Zero-Poster bezeichnet werden.
Die erstgenannte Gruppe der aktiven Mitglieder kann zudem in Personen untergliedert werden, die häufig eigene Beiträge verfassen und solche, die nur gelegentlich Beiträge schreiben. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung erfolgte eine Differenzierung der Teilnehmer in diese beiden Gruppen.
Wie aus Tab. 1 ersichtlich ist, stellen die sehr aktiven Mitglieder mit nur 3,6 Prozent aller Mitglieder eine kleine Gruppe innerhalb der Community dar. Diese generierten jedoch 73 Prozent der durch Mitglieder verfassten Beiträge. Die Lurker, bzw. passiven Mitglieder, stellen mit ca. 74 Prozent die größte Mitgliedergruppe dar, verfassen jedoch keine Beiträge.
Tab. 1: Community-Mitglieder in Aktivitätsgruppen
Eine differenzierte Untersuchung, die aktive und passive Mitglieder getrennt betrachtet, ist im Hinblick auf verschiedene Faktoren relevant. Zum Einen können die im Rahmen der Analyse systematisch eingebrachten Steuerungsinstrumente unterschiedlich auf die verschiedenen Gruppen wirken. Zum Anderen können Netzeffekte hinsichtlich der Beitragszahl, die als essenzieller Bestandteil des Wachstums in einer Virtuellen Community identifiziert wurden, ausschließlich durch aktive Mitglieder ausgelöst werden. Aus diesem Grund kommt der Gewinnung und Motivation aktiver Mitglieder aus der Sicht eines Community-Betreibers eine besondere Bedeutung zu.
Realisierter Nutzen und bewirkte Veränderungen
In der Analysephase wurden drei Zielfelder durch den Community-Betreiber bestimmt, die durch den Aufbau der Plattform verfolgt werden sollten. Hierbei handelte es sich um: (1) Marktforschung, (2) Kommunikationspolitik und (3) Markt- und Produktpolitik. Als wesentliches Element für das Erreichen dieser Ziele wurde eine Zunahme der Mitglieder- und Beitragsanzahl in der Community erkannt, die grundlegend für das Erreichen der definierten Zielfelder ist.
Während der Anfangszeit des Portals zwischen Juli 2006 und Februar 2007 registrierten sich etwa 350 Mitglieder. Durch diese Mitglieder wurden in diesem Zeitraum etwa 420 Beiträge erfasst. Insbesondere zwischen Dezember 2006 und Januar 2007 nahm dieses Wachstum überproportional zu.
Basierend auf der beschriebenen Zunahme von Mitgliedern und Beiträgen in der professionell orientierten Virtuellen Community konnten folgende Ergebnisse in den drei definierten Zielfeldern erreicht werden:
- Marktforschung: Im Portal der Börse Berlin haben sich bis zum Februar 2007 350 Mitglieder registriert. Die Anzahl der Mitglieder verdoppelte sich in den folgenden drei Monaten und erhöhte sich auf 740. Durch eine fragebogenbasierte Erhebung konnten demografische Daten dieser Nutzer ermittelt und Aussagen über deren Präferenzstrukturen getroffen werden.
- Kommunikationspolitik: Durch den Aufbau des Portals wurde eine langfristige Kommunikationsbeziehung mit Kunden aufgebaut. Die im Forum geführten Diskussionen und angebotenen Serviceleistungen, wie RSS-Feeds und Expertenchats, stellen einen Kanal dar, um Kunden mit Produktinformationen zu versorgen. Darüber hinaus sind die Mitglieder durch die bei der Registrierung angegebenen E-Mail-Adressen erreichbar.
- Markt- und Produktpolitik: Durch einen ständigen Dialog über die geschaffene Community-Plattform sowie einer systematischen Analyse der durch die Mitglieder generierten Inhalte, konnten Präferenzen der Teilnehmer hinsichtlich der Handelsplatzgestaltung erkannt und analysiert werden. Beispielsweise wies ein großer Teil der Mitglieder ein besonderes Interesse an nachhaltigen Wertpapieranlagen auf. Diese Information konnte in die börseneigene Markt- und Produktgestaltung einfließen.
Auf Grundlage der dargestellten Bewertung der erreichten Ziele und Teilmaßnahmen, wurden in einem nächsten Schritt Entscheidungen über den weiteren Fortgang des Projektes getroffen. Die durchgeführte Bewertung von Teilmaßnahmen resultierte nachfolgend in einer inhaltlichen Umstrukturierung, erweiterter Einführungs- und Hilfebereiche sowie dem verstärkten Angebot von Expertenchats. Basis der getroffenen Entscheidung waren die im Rahmen des Community-Controllings erhobenen Ergebnisse. Von zentraler Bedeutung für die Bewertung war, neben der Analyse der Befragungsergebnisse, die durchgeführten Benchmark- und Umweltanalysen.
Der Community-Betreiber entschied auf diesen Grundlagen im Januar 2007 eine Verlängerung des Projektes. Eine Neuorientierung der Geschäftsstrategie Ende 2007 (insbesondere Expansion durch Unternehmensakquisen) führte jedoch zu der Entscheidung, die Plattform nicht selbst weiter zu betreiben. Bis Mitte 2008 wurde die Plattform an der Universität Potsdam betrieben, musste dann aber aus Kostengründen eingestellt werden.
Investitionen, Rentabilität und Kennzahlen
Eine Ermittlung des ROI für das beschriebene komplexe Projekt konnte nur auf Basis teilweise geschätzter Werte durchgeführt werden. Aus Sicht der Entscheidungsträger im Management ist die Ermittlung von ROI-relevanten Kennzahlen jedoch ein notwendiges Kriterium für die Bewertung des Projekts. Die nachfolgenden Tabellen zeigen die tatsächlich angefallenen Kosten sowie die monetarisierten Mehrwerte, die aus dem Projekt resultieren (vgl. Tab. 2 und Tab. 3).
Tab. 2: Kostenströme im Zusammenhang mit dem Projekt (in EUR)
Tab. 3: Monetarisierte Mehrwerte im Zusammenhang mit dem Projekt (in EUR)
6. Erfolgsfaktoren
Spezialitäten der Lösung
Das an der Börse Berlin durchgeführte Projekt stellt einen der ersten detailliert dokumentierten Fälle dar, in dem eine Web 2.0-Plattform durch einen Handelsplatzbetreiber zur Kundenkommunikation eingesetzt wird. Die definierten Ziele des Projekts gehen über das bloße Aufbauen von Kundenbeziehungen hinaus. Es wird angestrebt, durch Kunden vorgeschlagene Innovationen in die eigenen Wertschöpfungsprozesse zu integrieren. Diese ambitionierten Ziele haben die Entwicklung eines strukturierten Vorgehensmodells und die wissenschaftliche Begleitung erforderlich gemacht.
Die genutzten Funktionalitäten wurden kontinuierlich ausgebaut und erweitert (bspw. Hinzufügen des Chat-Angebots). Durch die Gewährleistung hoher Qualität der Beiträge und das Branding durch die Börse Berlin konnte eine Abgrenzung von vergleichbaren Angeboten im Internet erreicht werden.
Reflexion der Barrieren und Erfolgsfaktoren
Das Projekt war gekennzeichnet von hoher Innovation und Neuartigkeit. Innerhalb der Börse bestand keine Erfahrung mit vergleichbaren Projekten. Analysen zeigten, dass auch keine ähnlichen Fälle (bezogen auf die Finanzindustrie) in der Literatur dokumentiert waren oder an anderen Handelsplätzen eingesetzt wurden.
Die Chancen, die in der Implementierung der beschriebenen Web 2.0-Lösung bestanden, wurden an der Börse erkannt und eine Projektfreigabe erteilt, obgleich eine verlässliche ROI-Analyse nicht durchgeführt werden konnte (wie für KuK-Projekte typisch).
Die starke Unterstützung des Projekts durch das Management stellte einen wesentlichen Erfolgsfaktor für das Projekt dar. Darüber hinaus war die Kooperation mit einer Universität in diesem neuartigen Gebiet zielführend.
Als problematisch hat sich der Wunsch nach einer strukturierten Einbindung und Steuerung der Community-Mitglieder herausgestellt. Oftmals konnten die gewünschten Resultate nicht erzielt werden. Auch die Analyse der anfallenden Daten war manuell organisiert und stieß mit wachsendem Umfang an Grenzen. Die Einbindung von Instrumenten der sozialen Netzwerkanalyse hätte hier positiv unterstützend wirken können.
Lessons Learned
Die folgenden Lernerfahrungen wurden aus dem Projekt gezogen:
- Die Unterstützung des Managements und der involvierten Abteilungen ist ein starker Treiber für den Erfolg eines KuK-Projekts.
- Die Einbindung des wissenschaftlichen Partners hat die Flexibilität und Lösungsvielfalt im Projekt erhöht.
- Die laufende Dokumentation erleichtert eine fortlaufende Bewertung durchzuführen und nach Abschluss des Projekts aus den Erfahrungen zu lernen.
- Durch Projekte der Kundenintegration kann das Image positiv beeinflusst werden und Informationen über die Präferenzen der Teilnehmer gewonnen werden.
- Thematisch liegt das Hauptaugenmerk der Anleger auf Empfehlungen zum Kauf/Verkauf von Wertpapieren. Andere Themen lassen sich nur schwer erfolgreich platzieren.
- Als vermeidbare Fehler wurden identifiziert:
- Langfristige Projektlaufzeit: Im dargestellten Fall war die Laufzeit auf ein Jahr beschränkt (mit nachfolgender Verlängerung um ein halbes Jahr). Eine längere Planungssicherheit wäre ggf. sinnvoll gewesen.
- Eine engere Verzahnung zwischen bereits vorhandenen Kanälen und Kontaktstellen (Website, Call Center, Seminare) zu Kunden mit der realisierten Web 2.0-Plattform wäre sinnvoll gewesen.
- Letztlich wurde das Projekt aufgrund eines Wechsels der Unternehmensstrategie (Fokus auf Unternehmensakquisen und weniger auf Kundenbindung) eingestellt. In diesem Fall begünstigte die nur unter Unsicherheit mögliche Berechnung eines ROI diese Entscheidung. Ggf. hätte eine langfristig angelegte Strategie den dauerhaften Erfolg des Projekts gewährleisten können.