buch.ch: Kundenbindung im Internetbuchhandel
Die buch.ch AG, eine Tochter der buch.de internetstores AG, vertreibt Bücher, CDs, DVDs, Software und Computerspiele über das Internet. Die Konkurrenz ist nur einen Klick entfernt und sie erfüllt wie buch.ch die hohen Anforderungen an Performance und Verfügbarkeit der Systeme im Online-Handel. buch.ch hat früh die Notwendigkeit erkannt, sich von der Konkurrenz zu differenzieren und setzt bereits erfolgreich diverse Massnahmen zur Kundenbindung ein. buch.de betreibt eine Web-2.0-Community-Plattform mit dem Namen Alexandria. Erste Erfahrungen aus Deutschland liegen vor. Alexandria bietet den Kunden die Möglichkeit, ihre persönlichen Bibliotheken abzubilden, Meinungen zu Büchern bekanntzumachen und ihre Bücher mit Tags (Schlagwörtern) zu indexieren. Leser können sich so bei der Suche nach neuem Lesestoff an den Bewertungen und Klassifizierungen anderer Leser orientieren.
1. Das Unternehmen
Die buch.ch AG ging 1996 als erste Schweizer Buchhandlung online. Als Abteilung der Buchhandlung Schneebeli AG wuchs buch.ch zum Marktleader im Schweizer Internetbuchhandel. Seit 2001 ist buch.ch eine Tochtergesellschaft der buch.de internetstores AG, die wiederum zu 35 % zur Unternehmensgruppe der Thalia Holding GmbH gehört. Im Dezember 2002 wurde der Internetbuchhändler bol.ch übernommen und dessen Geschäftstätigkeit von München nach Winterthur verlagert. buch.ch kooperiert mit den stationären Buchhandlungen Thalia (Basel, Bern, Schaffhausen, Spreitenbach und Thun), Stauffacher (Bern), Meissner Bücher AG (Aarau) und ZAP (Zur alten Post, Brig), die ebenfalls zur Unternehmensgruppe der Thalia-Holding gehören.
Die Muttergesellschaft buch.de internetstores AG mit Hauptsitz in Münster/Westfalen ist auf den Onlineverkauf von Büchern, Musik, Filmen, Software und Spielen spezialisiert und bietet ausserdem Elektronik- und Büroartikel an. Mit ihrer Tochtergesellschaft buch.ch AG, Winterthur (Schweiz) betreibt sie derzeit 18 Webshops in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dazu zählen unter anderem die Marken buch.de, bol.de, alphamusic.de und flexist.de in Deutschland, buch.ch und bol.ch in der Schweiz, lion.cc in Österreich sowie die Internetauftritte der Thalia-Buchhandlungen thalia.de, thalia.ch und thalia.at.
Hintergrund, Branche, Produkte und Zielgruppe
Das Kerngeschäft von buch.ch besteht aus dem Vertrieb von Büchern, CDs, DVDs, Software und Computerspielen über das Internet. Ein ständig wachsendes Sortiment und der permanente Ausbau aller Online- und Offline-Prozesse sind die Antwort von buch.ch auf den Wunsch vieler Menschen, vermehrt im Internet einzukaufen. Als grösste Schweizer Online-Buchhandlung gehört buch.ch zu den Schnellsten in der Branche: Bücher werden in der Regel innerhalb von 24 Stunden nach der Bestellung versendet. Neben sicherem und bequemem Einkaufen bietet buch.ch auch viele Dienstleistungen wie Abholmöglichkeiten in Partnerfilialen, einen kostenlosen Geschenkservice und die Möglichkeit, mit UBS KeyClub-Punkten oder Miles & More Prämienmeilen zu bezahlen. Seit August 2003 erweitern E-Books das Angebot von buch.ch.
Stellenwert von Informatik und E-Business
Die Weiterentwicklung und der Betrieb individueller Systeme sind eine Kernkompetenz der buch.de internetstores AG. Es wird gezielt in die Entwicklung von individuellen Features investiert, die zur Differenzierung im Wettbewerb beitragen.
2. Der Auslöser des Projekts
Ausgangslage und Anstoss für das Projekt
Der Wettbewerb im Onlinebuchhandel wird fortlaufend härter. Die E-Shops der Buchhändler sind technisch auf einem guten Stand und unterscheiden sich auch optisch nur wenig. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, haben buch.ch und buch.de verschiedene Massnahmen intern und extern ergriffen. Dazu gehören:
• Fulfillment für mehrere Firmen
• Kundenbindungsmassnahmen
• Community-Plattform Alexandria
In der Geschäftssicht werden diese Massnahmen beschrieben. Um den Rahmen der Fallstudie nicht zu sprengen, liegt der Fokus in den darauf folgenden Kapiteln auf der Beschreibung der Entwicklung und der Prozesse der Community-Plattform Alexandria.
buch.de und buch.ch stehen der Nutzung neuer Web-2.0-Funktionlitäten sehr offen gegenüber. Im Februar 2007 zum Beispiel eröffnete buch.de mit dem BOL-Mediadome als erster deutscher Buchhändler eine stationäre Niederlassung in Second Life. buch.de testete darauf verschiedene Marketingmittel. So wurden Bücher ausgestellt, Gutscheine verteilt und es wurde ein Avatar-Wettbewerb durchgeführt. Zwischenzeitlich hat buch.de das Engagement in Second Life wieder beendet, da keine erfolgversprechenden Marketingmittel identifiziert werden konnten. Dennoch wurden sehr wertvolle Erfahrungen über das Kundenverhalten gewonnen.
Im Frühsommer 2007 startete buch.de die Entwicklung der Buch-Community „Alexandria“, die sehr stark mit dem E-Shop verknüpft ist und Kunden die Möglichkeit gibt, ihre eigenen Bibliotheken abzubilden. Die Betaversion von Alexandria ist seit September 2007 im Einsatz und wird zurzeit weiterentwickelt. Die definitive Version wird auch von buch.ch eingesetzt werden. Darüber hinaus bietet buch.ch bereits zahlreiche weitere Kundenbindungsmassnahmen an, wie Miles & More, UBS KeyClub, Gutscheinaktionen und Newsletter.
Vorstellung der Geschäftspartner
Anbieter von Business Software, Implementierungspartner
Die E-Commerce-Software für den Shop und das Katalogsystem stammen von freiheit.com technologies GmbH, Hamburg. freiheit.com entwickelt grosse, individuelle Softwaresysteme für die gesamte Wertschöpfungskette im elektronischen Handel – unter anderem auch für die Buchhändler libri.de und books.ch – sowie spezielle Unternehmenssoftware auf der Basis von Internet-Technologien. freiheit.com bietet Software, mit der sich Unternehmen differenzieren können oder mit der Spezialprobleme gelöst werden, für die es keine Standardsoftware gibt.
Werbeagentur
Die Full-Service-Agentur P.AD. Werbeagentur GmbH mit Sitz in Meinerzhagen und Köln ist für das Webdesign der E-Shops von buch.ch und buch.de zuständig.
3. Kundenbindung im Internetbuchhandel
Geschäftssicht und Ziele
Fulfillment
buch.ch ist ein reiner Onlinehändler. Neben den E-Shops der eigenen Marken buch.ch und bol.ch betreibt buch.ch die E-Shops für die stationären Buchhandlungen der Thalia Bücher AG, Basel. Dazu gehören die Stauffacher Buchhandlungen AG, Meissner Bücher AG und ZAP* Zur alten Post AG. Für Bestellungen, die über die E-Shops der stationären Buchhändler eintreffen, übernimmt buch.ch das gesamte Fulfillment.
Eine Ausnahme bilden Bestellungen, bei denen der Kunde eine Abholung im stationären Handel wünscht. Diese Bestellungen werden bei der Auftragsanalyse aussortiert und an die stationären Buchhandlungen weitergeleitet. Die Beschaffung der entsprechenden Artikel und die weitere Abwicklung der Aufträge übernehmen in diesem Fall die stationären Händler.
Die Zusammenarbeit zwischen buch.ch und den stationären Buchhändlern ist vertraglich geregelt. Die Zusammenarbeit mit buch.ch ermöglicht es den Händlern, eine Multi-Channel zu verfolgen, ohne einen eigenen E-Shop unterhalten zu müssen. Marketingmassnahmen sowie Layout und Inhalt der Shops werden von den stationären Händlern bestimmt. Die Shops greifen alle auf dieselben Katalogdaten und Systeme zurück (siehe Anwendungssicht).
Die Bestellungen aller E-Shops fliessen im Warenwirtschaftssystem von buch.ch zusammen, wo sie unabhängig davon, über welchen E-Shop die Bestellung eingetroffen ist, nach Bestelleingang abgearbeitet werden (vgl. Abb. 1). Der Kundendienst beantwortet Kundenanfragen aller E-Shops und ist für das gesamte Bestellwesen und die Disposition zuständig.
Abb. 1: Business Szenario: Fulfillment und Kundenbindung bei buch.ch
buch.ch bezieht die Artikel von Grossisten wie der Buchzentrum AG oder der Koch, Neff & Volckmar GmbH. Aber auch kleine spezialisierte Verlagsauslieferungen zählen zu den Lieferanten von buch.ch. Die grossen Sortimente liefern ihre Artikel in genormten Wannen aus. Eine Wanne fasst 30 bis 50 Artikel. buch.ch fasst die Bestellungen wannengerecht zusammen. Bestellungen die z.B. bei der Buchzentrum AG bis 17 Uhr eintreffen, werden am folgenden Arbeitstag ausgeliefert. In der Logistik werden die Rechnungen inklusive der Logos der verschiedenen E-Shops für jede Wanne ausgedruckt. Die Logistikmitarbeiter müssen dann pro Wanne die Rechnungen den Artikeln zuordnen. Die verpackten Artikel werden zweimal täglich von der Post abgeholt und ausgeliefert.
buch.ch beschäftigt neun Personen im Kundendienst und 14 Personen in der Logistik. Da buch.ch kein eigenes Lager führt, ist die Personalintensität der Fulfillment-Prozesse vergleichsweise gering.
Kundenbindung [Kundenmanagement]
buch.ch setzt online wie auch offline Kundenbindungsmassnahmen ein. Zu den Online-Massnahmen zählen Community-Programme wie Miles & More (nachfolgend M&M) und UBS KeyClub.
M&M ist das Kundenbindungsprogramm der SWISS/Lufthansa. Die Mitglieder des M&M-Programms können bei den M&M-Partnern Meilen sammeln, indem sie Produkte kaufen, Flüge buchen oder Meilen einkaufen. Die Meilen können wiederum für Produkte der M&M-Partner eingesetzt werden. Bei buch.ch und buch.de erhalten die Kunden zu einem fixen Kurs für jeden Einkauf Punkte. Kauft ein Kunde z.B. für 99.- CHF ein Buch, erhält er 99 Meilen gutgeschrieben. Es kann auch mit Meilen bezahlt werden. Die Fremdmeilen (Spend Miles), die M&M-Mitglieder bei buch.ch als Zahlungsmittel einsetzen, werden von M&M rückvergütet. Die gesammelten Meilen (Earn Miles), die den Kunden von buch.ch für Einkäufe gutgeschrieben werden, kauft buch.ch bei M&M ein.
Der Kunde muss seine M&M-Nummer nur einmal im E-Shop hinterlegen. Bei jedem neuen Einkauf werden ihm automatisch Meilen gutgeschrieben. Kunden können sich auch direkt auf der Website von buch.ch für das M&M-Programm anmelden, was wiederum für M&M interessant ist. M&M hat in der Schweiz bereits 750'000 Teilnehmer.
Im Schweizer Buchhandel sind buch.ch und bol.ch die exklusiven M&M-Partner. Mit der Teilnahme am Programm kann sich buch.ch deutlich von den Mitbewerbern abheben. Rund 10 % der Kunden nutzen M&M. Die Partnerschaft mit M&M wird durch verschiedene Aktionen unterstützt. Beispielsweise wird dreimal im Jahr eine 3-fach-Meilen-Aktion im Newsletter von M&M durchgeführt. So wird für eine bestimmte Periode bei Einkäufen der dreifache Meilenwert gutgeschrieben.
Neben M&M ist buch.ch auch Partner des UBS KeyClub. Der UBS KeyClub ist ein Kundenbindungsprogramm der UBS und hat in der Schweiz ca. 500'000 Mitglieder. Im E-Shop kann mit UBS KeyClub-Punkten bezahlt werden und die KeyClub-Mitglieder profitieren von für sie exklusiv ausgewählten Aktionen.
Als weitere Online-Kundenbindungsmassnahme werden Newsletter eingesetzt. Wöchentlich wird ein Standard-Newsletter an die Kunden verschickt und bis zu dreimal pro Woche werden Special-Interest-Newsletter versandt. Über Special-Interest-Newsletter werden z.B. Neuerscheinungen bestimmter Autoren beworben. Die Empfänger werden aufgrund ihrer Transaktionshistorie für diese Newsletter selektiert. So werden bei einer Neuerscheinung nur die Kunden angeschrieben, die bereits Bücher des gleichen Autors oder aus einem ähnlichen Themengebiet gekauft haben
Offline führt buch.ch regelmässig Kampagnen mit Gutscheinen und Produkt-Flyern durch, die den Kundenbestellungen beigelegt werden. Die Gutscheine können ab einen Mindestbestellwert von 50.- CHF eingelöst werden und verfügen über einen Code. Anhand des Codes können Gutscheinkampagnen ausgewertet werden. Die Einlösequoten liegen zwischen 10 und 15 %.
Alexandria
Die Community-Plattform Alexandria ist ein weiteres Instrument zur Kundenbindung. Sie bietet den Kunden die Möglichkeit, ihre Medien (Bücher, DVDs, CDs, Games etc.) in persönlichen Bibliotheken zu verwalten. Die Kunden können für ihre Medien Schlagworte frei vergeben und schaffen so eine unkontrollierte Sammlung von Schlagwörtern (Folksonomie). Diese Folksonomie ermöglicht den Kunden einen alternativen Zugang zu den Artikeln im E-Shop. Die Kunden können über Schlagwörter und Artikel schnell Community-Mitglieder mit ähnlichen Interessen identifizieren und in deren Bibliotheken neue Artikel entdecken. Die Community-Mitglieder erfassen mitunter auch Angaben zu ihrer Person, ihrem Lieblingsautor oder ihren Präferenzen und rezensieren Artikel. Die Community schafft damit eine umfassende Datenbasis, die zur Verbesserung der bestehenden Kundenbindungsmassnahmen, wie Produktempfehlungen und personalisierten Newslettern, genutzt werden kann.
Prozesssicht
Das Kapitel Prozesssicht und die darauf folgenden Kapitel konzentrieren sich auf die Beschreibung der Community-Plattform Alexandria.
Alexandria ist in den E-Shop von buch.de integriert. Besucher gelangen über die Startseite des E-Shops zu Alexandria, wo sie die Bibliotheken anderer Community-Mitglieder einsehen können. Nachfolgend wird der Prozess für die Eröffnung und Erweiterung einer Bibliothek in Alexandria beschrieben (vgl. Abb. 2).
Besucher des E-Shops können eine eigene Bibliothek eröffnen. Bestehende Kunden können ihr Kundenlogin verwenden und die Bibliothek ihrem bestehenden Kundenkonto hinzufügen. Beim Eröffnen der Bibliothek kann der Kunde einen Namen vergeben und auswählen, ob er die Artikel seiner bisherigen Einkäufe, die Artikel auf der persönlichen Wunschliste oder die von ihm rezensierten Artikel seiner Bibliothek hinzufügen möchte. Nutzer, die über kein Kundenkonto verfügen, können sich ein Benutzerkonto anlegen. Hierzu sind lediglich die Angabe einer E-Mail-Adresse, Benutzername und Passwort notwendig. Sobald eine Bibliothek eröffnet ist, können Artikel hinzugefügt und Schlagworte vergeben werden. Diese Schlagworte werden als Tags (Kennzeichnung, Etikett) bezeichnet.
Für jeden Artikel können beliebig viele Tags vergeben werden. Tags werden in der persönlichen Kundenbibliothek in Form einer Tag Cloud visualisiert, wobei häufig vergebene Tags hervorgehoben dargestellt werden. Den Usern steht es frei, welche Begriffe sie als Tags vergeben. Über so genannte Blacklists werden lediglich die eindeutig unerwünschten Begriffe von der Tag-Funktion ausgeschlossen. Die Tags werden vielseitig genutzt. Auf der Startseite von Alexandria werden die meistvergebenen Tags der Kunden zu einer gemeinsamen Begriffswolke (Tag Cloud) verdichtet (vgl. Abb. 3).
Abb. 2: Prozesssicht Alexandria
Die Begriffe der Wolke sind Links. Diese führen zu einer separaten Tag-Ansicht (vgl. Abb. 4), die wiederum eine Tag Cloud mit verwandten Tags enthält.
Abb. 3: Tag Cloud
Abb. 4: Tag-Ansicht zum Tag Fantasy
Die Tag-Ansicht zeigt ausserdem Artikel, die mit dem betreffenden Tag gekennzeichnet sind, und Bibliotheken, in denen der Tag verwendet wurde.
Abb. 5: Tag Cloud auf Artikelebene
Im E-Shop werden die zu einem einzelnen Artikel vorhandenen Tags auf der Artikelebene direkt neben den Produktempfehlungen („Das haben Kunden neben diesem Artikel gekauft“) aufgeführt (vgl. Abb. 5). Die Darstellung erfolgt wiederum in einer Tag Cloud und die häufig vergebenen Tags werden hervorgehoben.
Neben Tags können Alexandria-Nutzer zu den jeweiligen Artikeln fünf verschiedene Zustände erfassen: Besitze ich, Hätte ich gerne, Lese ich gerade, Habe ich gelesen, Habe ich verliehen. Diese Zustände sind ebenfalls öffentlich einsehbar. Verfügt eine Alexandria-Bibliothek über genügend Artikel, werden dem Nutzer ähnliche Bibliotheken angezeigt, d.h. Bibliotheken, deren Artikel eine Schnittmenge bilden. Die Bibliotheken sind beliebig erweiterbar, indem die Nutzer Artikel im Shop suchen und ihren Bibliotheken hinzufügen.
Anwendungssicht
Abb. 6 zeigt eine stark vereinfachte Skizze der Informationssysteme bei buch.ch.
Abb. 6: Anwendungsarchitektur bei buch.ch
Als Kernsysteme können das Katalogsystem TALK, das Shopsystem und das Warenwirtschaftssystem Storeways bezeichnet werden. Das Shopsystem und TALK wurden von freiheit.com entwickelt. Storeways ist eine Eigenentwicklung der buch.de internetstores AG. Neben den Kernsystemen ist eine Vielzahl von unterstützenden Systemen im Einsatz. In Abb. 6 ist eine Auswahl der Systeme, die für die Kundenbindung genutzt werden, aufgeführt. Alle Marken der buch.de Internetstores AG, inkl. der Marken der buch.ch AG sowie der stationären Buchhändler werden als Mandanten in den Kernsystemen abgebildet. Diese Mandantenfähigkeit ermöglicht die gemeinsame Nutzung der Systeme.
Kernsysteme
buch.ch bezieht die Artikeldaten von verschiedenen Datenlieferanten. Die Daten stammen teilweise von den Katalogen der Buchlieferanten, werden aber auch bei reinen Datenlieferanten eingekauft. In einer ersten Stufe (Genesis) findet das Matching der Artikeldaten aus ca. 15 Datenquellen statt. Zu einem Artikel wie z.B. Harry Potter Band 6 sind als Endresultat der ersten Stufe alle Rohdaten, wie Lieferanten, Preise, Produktbilder in einem Datensatz zusammengefasst. Die aggregierten Artikeldaten bilden die Grundlage für den zweiten Schritt (Katharsis), in der die Veredelung der Artikeldaten stattfindet. Für die Veredelung der Artikeldaten wurde ein komplexes Regelwerk entwickelt, das jeweils die passenden Attribute (Lieferant, Preis, Produktdaten) pro Mandant auswählt. Die veredelten Artikeldaten sind für die Nutzung im Shop optimiert und werden in die MyInfo Datenbank des Shopsystems exportiert. Im Durchschnitt verarbeitet TALK täglich mehrere 1'000 Aktualisierungen, die in die Datenbank des Shops einfliessen. Eine Aktualisierung kann z.B. die Meldung eines Lieferanten sein, dass ein Artikel nicht mehr lieferbar ist. Ein Ausfall des Katalogssystems führt unweigerlich zu veralteten Artikeldaten in den E-Shops.
Das Shopsystem von buch.de/buch.ch basiert auf einer redundanten Serverlandschaft. Die Anfragen der Kunden werden über einen LoadBalancer auf mehrere Apache Webserver verteilt, die wiederum auf mehrere Datenbanken zugreifen können. Damit ist sichergestellt, dass selbst bei einem Ausfall einzelner Geräte die Verfügbarkeit des Gesamtsystems gewährleistet ist.
Storeways ist das modular aufgebaute ERP-System von buch.ch. Über das System werden die folgenden Prozesse ausgeführt:
• Kunden- und Auftragsanalyse: Eingehende Aufträge werden überprüft und klassifiziert. Aufträge von Kunden mit auffälligen Merkmahlen, wie z.B. mehrere unbezahlte Rechungen, werden manuell auf Bonität geprüft. Ebenfalls werden Aufträge aussortiert, die einer manuellen Bearbeitung bedürfen, z.B. wegen einer Auftragsbemerkung des Kunden.
• Disposition mit Bestellverwaltung: Für die Aufträge werden Bestellungen bei den Lieferanten generiert. Über die Bestellverwaltung werden die Kundenaufträge zu lieferantengerechten Massenbestellungen zusammengefasst.
• Kommunikationsmodul: Die Bestellungen werden über verschiedene Schnittstellen übermittelt. Rückmeldungen der Lieferanten werden verarbeitet. Eine Rückmeldung kann eine Bestellbestätigung, Absage oder ein Meldebrief sein (d.h. die Bestellung ist eingetroffen, kann aber erst zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgeführt werden). Eventuell muss eine Bestellung neu disponiert werden.
• Wareneingangsmodul: Wareneingänge werden überwacht und gebucht.
• Rechnungsstellung und Debitorenbewirtschaftung erfolgen in Storeways.
• Outputmanagement: Storeways gibt Zahlen an die Finanzbuchhaltung weiter und gibt diverse Statistiken aus.
Für die Finanzbuchhaltung und Kreditorenbuchhaltung setzt buch.ch ABACUS ein, in Deutschland wird SAP verwendet.
Hilfssysteme zur Kundenbindung
In der Datenbank von Alexandria sind die Kundenbibliotheken und Schlagworte zu den Artikeln (Tags) abgespeichert. Das Shopsystem hat direkten Zugriff auf die Datenbank von Alexandria.
Odysseus ist das von freiheit.com entwickelte Empfehlungssystem von buch.ch. Es ist ebenfalls über einen direkten Datenbankzugriff mit dem Shopsystem verbunden. Basierend auf den Kundentransaktionen werden fortlaufend die Ähnlichkeiten von Artikeln berechnet (Item-based Collaborative Filtering). Artikel, die von Kunden gemeinsam gekauft wurden, erzielen eine hohe Ähnlichkeit. Diese Artikelähnlichkeiten werden in Pools zusammengefasst und stehen dem Shop auf separaten Servern zur Verfügung. Ruft der Kunde im Shop einen Artikel auf, werden dazu Produkte empfohlen, die eine hohe Ähnlichkeit mit dem angesehenen Artikel aufweisen.
Mit der Datenanalyse-Software PANOsight der Panoratio Database Images GmbH werden die Transaktionsdaten der Storeways-Datenbank ausgewertet. Ergebnisse von Kundengruppen-bezogenen Analysen werden z.B. als Datengrundlage für den Newsletterversand genutzt.
Für den Newsletterversand setzt buch.ch die Newsletter-Software Broadmail von Optivo ein. Für die Special-Interest-Newsletter werden mit PANOsight und manuellen Abfragen Kundengruppen selektiert, die anhand ihrer Transaktionshistorie zur Zielgruppe eines speziellen Newsletters gehören. Mit Hilfe der Software können Newsletterkampagnen erstellt und die Reaktionen der Kunden, wie das Öffnen des Newsletters, die Klicks auf Inhalte und weitere Rücklaufaktivitäten (Antworten, Bounces, Autoresponder) ausgewertet werden. Gelangt der Kunde über einen Link im Newsletter auf den Shop, so wird eine ProvID übermittelt, über die in Storeways zurückverfolgt werden kann, welche Bestellungen aufgrund des Newsletters generiert wurden.
Für die Analyse der Kundenbewegungen auf dem E-Shop setzt buch.ch die Software Webtrekk der Webtrekk GmbH ein. Die Artikel, die ein Kunde innerhalb eines Besuchs des E-Shops anklickt, werden in so genannte Sessions zusammengefasst und können als Grundlage für Artikelempfehlungen genutzt werden.
Technische Sicht
Die von buch.ch und buch.de gemeinsam genutzten Systeme, das Shopsystem, TALK, Storeways, Alexandria, Odysseus und die dazu gehörigen Datenbanken werden mehrheitlich in einem externen Rechenzentrum betrieben. buch.ch verfügt über eine Internetanbindung mit einer Standleitung. Die Systeme auf den Servern im Rechenzentrum werden von buch.de gewartet. buch.ch hat über eine VPN-Verbindung Zugriff auf die Server im Rechenzentrum (vgl. Abb. 7).
Die internen Server bei buch.ch arbeiten unter den Betriebssystemen Windows und Linux. Für die Webserver wird Unix verwendet.
Abb. 7: Technische Sicht buch.ch und buch.de
4. Projektablauf und Betrieb
Projektmanagement und Changemanagement
Die Investitionsentscheidung für die Entwicklung der Community-Plattform Alexandria wurde vom Vorstand der buch.de internetstores AG gefällt. Die Projektleitung übernahm der Einkaufsleiter von buch.de. Die Schritte des Entwicklungsteams wurden vom Projektleiter gemeinsam mit weiteren Mitarbeitenden von buch.de überwacht. Das Projekt gestaltete sich sehr aufwändig. Insbesondere der hohe Grad der Integration der Community-Funktionen mit Shop und Produktkatalog stellte hohe Anforderungen an die Systementwicklung. Schliesslich darf der Betrieb von Alexandria die Performance des laufenden Shops nicht beeinflussen.
Partnerwahl
freiheit.com ist langjähriger Partner der buch.de internetstores AG. Aufgrund der Kenntnisse der bestehenden Systeme, die unerlässlich für die komplexe Integration von Alexandria in das Shopsystem sind, fiel die Wahl auf freiheit.com. Die Entwicklung der Templates oblag der P.AD. Werbeagentur. Gegen die Entwicklung von Alexandria von einem Drittanbieter sprach somit auch der erhöhte Koordinationsaufwand, der durch die Zusammenarbeit mit drei Partnern entstanden wäre.
Entstehung und Roll-out der Softwarelösung
Nach der internen Projektierungsphase wurde freiheit.com mit der Entwicklung von Alexandria beauftragt. In einem ersten Schritt wurde ein Testsystem entwickelt, das intern von buch.de Mitarbeitenden getestet wurde. Über ein Bugfixingsystem konnten autorisierte buch.de-Mitarbeitende Fehler und Verbesserungsvorschläge an freiheit.com übermitteln. Diese Fehlermeldungen wurden sukzessive von freiheit.com abgearbeitet. Im September 2007, pünktlich zur Buchmesse, wurde die Betaversion von Alexandria auf dem E-Shop von buch.de veröffentlicht. freiheit.com ist für den Unterhalt von Alexandria zuständig.
Die bestehende Betaversion wird mit Community-Funktionen erweitert, die den Austausch unter den Community-Mitgliedern ermöglichen. Neu werden die Alexandria-Nutzer die Möglichkeit haben, private Nachrichten an andere Alexandria-Nutzer zu versenden. Über eine Shoutbox können, ähnlich einer Pinnwand, Nachrichten, Bemerkungen etc. in die Bibliothek eines anderen Nutzers eingetragen werden. Als weitere neue Funktion werden Nutzer die Möglichkeit erhalten, Gruppen zu eröffnen. Alexandria-Nutzer mit gemeinsamen Interessen können sich in Gruppen sammeln und austauschen (z.B. Krimigruppe, Kochgruppe oder Ähnliches). Der Austausch soll über Shoutboxes, einer Art Mini-Forum innerhalb der einzelnen Gruppen, erfolgen. Jedes Community-Mitglied kann eine Gruppe anlegen und zu einer Gruppe ausgewählte Mitglieder einladen oder die Gruppe für alle Alexandria-Nutzer öffnen. Über ein Widget, eine Mini-Anwendung auf der Basis von JavaScript und Ajax, wird dem Nutzer die Möglichkeit gegeben, seine Alexandriabibliothek in die eigene Website oder den eigenen Blog einzubinden. So kann der Alexandria-Nutzer über den eigenen Blog anzeigen, welche Bücher er gerade gekauft hat oder welche Bücher er zu einem bestimmten Thema empfiehlt.
5. Erfahrungen
Alexandria umfasst derzeit 583 Bibliotheken, in denen 18'815 Artikel eingetragen sind. Die Artikel sind mit 7'732 Tags versehen worden (Stand 06.07.08). User haben die Möglichkeit, direkt auf der Website von Alexandria über eine Feedbackschleife oder per E-Mail ihr Feedback zur Betaversion mitzuteilen. buch.de erhielt vorwiegend positives Feedback der Nutzer. Alexandria erfreut sich bei den bestehenden Kunden einer hohen Beliebtheit. Man erhofft sich von Alexandria allerdings eine Ausstrahlung, die über die bestehende Kundschaft hinausgeht. Die angestrebten Nutzerzahlen sind daher noch nicht erreicht. Die aktuellen Nutzerzahlen sind insofern zufriedenstellend, als die Betaversion von Alexandria nicht beworben wurde, ausser über die eigene Website und im Umfeld der Buchmesse 2007.
Sobald die definitive Version von Alexandria live geht, soll Alexandria offensiv beworben werden. Man wird versuchen, gezielt die Community-Szene anzusprechen, Community-Experten hinzuzuziehen und deren Gutachten einzuholen. Für die definitive Version von Alexandria werden die bestehenden Kunden per Newsletter angeschrieben, was bis anhin unterlassen wurde. In der Presse wurde die Betaversion von Alexandria ebenfalls aufgegriffen und es wurde bemängelt, dass Community-Funktionen fehlen, die den Austausch unter den Nutzern ermöglichen [Roebke 2008]. Die Entwicklung einer Community kann nur schwer kontrolliert werden, da eine Bevormundung der Mitglieder nicht geschätzt wird. Alexandria bietet den Nutzern viele Freiheiten, die bisher nicht missbraucht wurden.
Das Projekt Alexandria hat bei buch.de die Sichtweise auf eine neue Art von User und ein verändertes Kundenverhalten im Shop geschärft.
6. Erfolgsfaktoren
Spezialitäten der Lösung
Speziell an Alexandria ist die Einbindung einer Bücher-Community in den E-Shop eines kommerziellen Anbieters. Bei anderen Buch-Communities, wie z.B. LovelyBooks (www.lovelybooks.de) oder LibraryThing (www.librarything.com) stehen kommerzielle Partner, sofern vorhanden, eher im Hintergrund und werden nicht explizit kommuniziert, was auch zu Beginn des Projektes intern kontrovers diskutiert wurde. Es kann noch nicht abschliessend gesagt werden, wie sich diese Verknüpfung von E-Shop und Online-Community auf die Nutzerakzeptanz niederschlagen wird.
Reflexion der Wettbewerbsvorteile
Es gibt keine andere vergleichbare Community und keinen vergleichbaren Shop. Kunden von buch.de können vom Mehrwert der Community profitieren. Mit Alexandria können sich buch.de und buch.ch als eine Marke positionieren, die Buchkompetenz vermittelt und alles rund um Bücher und Medien auf einer Plattform vereint. Über das Verhalten der User lässt sich erkennen, was für die Kunden im Shop und im Marketing wichtig ist. So lassen sich Marketingmassnahmen gezielt planen und steuern.
Lessons Learned
Das Projekt Alexandria zeigt, dass die Entwicklung einer Community-Plattform im Dialog mit Mitarbeitenden und Kundschaft erfolgen muss, damit sie den Bedürfnissen der Nutzer entsprechen kann. Der Aufbau einer Community ist ein sehr dynamischer Prozess, der Offenheit gegenüber Kritik und die Bereitschaft erfordert, den Community-Mitgliedern bei der Nutzung der Plattform viele Freiheiten zu gewähren.