Das Spannungsverhältnis zwischen Autonomie und einheitlichem Onlineauftritt bei der Mövenpick Group

01. Mai 2004



Bei der Mövenpick Group sind alle Unternehmensbereiche operativ selbstständig. Dadurch haben sie ein hohes Mass an Autonomie und Entfaltungsmöglichkeiten. Die Holding führt die Unternehmensbereiche weitgehend über finanzielle und strategische Richtlinien und koordiniert gewisse gruppenübergreifende Themen wie zum Beispiel den Einkauf und die Markenführung. Wie Mövenpick das Spannungsverhältnis zwischen Autonomie und einheitlichem Onlineauftritt meistert, ist Gegenstand der folgende Fallstudie.


1. Mövenpick

Die Mövenpick-Gruppe konzentriert sich seit dem Jahr 2003 auf das Hospitality-Geschäft. Strategisch nicht zentral betreibt Mövenpick ein Markenlizenzgeschäft mit Fine Foods. In den zwei Jahren davor hat sich Mövenpick zu einer Holding-Organisation gewandelt mit operativ selbstständigen Unternehmensbereichen. Der Umsatz 2003 von 713 Mio. Franken stammt aus folgenden Unternehmensbereichen:

  • Die Bediente Gastronomie erzielte einen Umsatz von 135,6 Mio. Franken.
  • Die Verkehrsgastronomie erzielte einen Umsatz von 219,9 Mio. Franken.
  • Hotels & Resorts erzielte einen Umsatz von 165,8 Mio. Franken.
  • Das Weingeschäft leistete mit 112,5 Mio. Franken den kleinsten Beitrag zum Gesamtumsatz.


Mövenpick bedient in allen Unternehmensbereichen vorwiegend direkt die Endkunden. Das Schwergewicht der Marktaktivitäten liegt in Zentraleuropa und dem Mittleren Osten. Die eigentlichen Hauptmärkte sind die Schweiz und Deutschland. Insgesamt beschäftigt die Mövenpick-Gruppe 5'092 eigene Mitarbeiter/-innen. Im Management- und Franchisinggeschäft sind es weitere 8'529 Mitarbeiter/-innen.

Alle Unternehmensbereiche sind operativ selbstständig. Dadurch haben sie ein hohes Mass an Autonomie und Entfaltungsmöglichkeiten. Die Holding führt die Unternehmensbereiche weitgehend über finanzielle und strategische Richtlinien und koordiniert gewisse gruppenübergreifende Themen wie zum Beispiel den Einkauf und die Markenführung. Wie Mövenpick das Spannungsverhältnis zwischen Autonomie und einheitlichem Onlineauftritt meistert, behandelt die folgende Fallstudie.


2. Unterschiedliche Märkte, unterschiedliche Zielgruppen

Jeder Unternehmensbereich verfügt über eine eigene Organisation und ist in weitgehend selbständige Rechtsstrukturen eingebettet. Jeder einzelne ist selbst verantwortlich für sein Agieren am Markt. Damit trägt Mövenpick den unterschiedlichen Charakteristiken der Märkte und den unterschiedlichen Führungsstrukturen der Unternehmensbereiche Rechnung. Alle Unternehmensbereiche reagieren individuell auf die Bedürfnisse in ihrem Markt. Sie unterscheiden sich in ihren Zielgruppen, in ihren Märkten und damit auch in ihrer Customer Interaction:

Mövenpick Wein ist ein führender Importeur und Anbieter internationaler Qualitätsweine. In diesem Unternehmensbereich fokussiert Mövenpick auf die Märkte Schweiz und Deutschland. Der Weinhandel hat drei Hauptkanäle für den Vertrieb: 21 Weinfachgeschäfte, Direct-Mailings und der Online-Weinshop bilden seine Vertriebsinfrastruktur. Mit Direct-Mailings, Inseraten und der Teilnahme an Veranstaltungen wird auf die Angebote im Weinhandel aufmerksam gemacht. Ziel der Massnahmen ist, dass die Kunden ins Weingeschäft kommen und sich dort beraten lassen.

In der Bedienten Gastronomie wird die Kommunikation standortabhängig gestaltet und vorwiegend den Betrieben selbst überlassen, weil diese sich in ihren Angeboten stark unterscheiden. Die Angebotsplanung, die Öffnungszeiten und die betriebliche Organisationsstruktur müssen an die lokalen Verhältnisse angepasst werden. Mit Postkarten und Ausstellungsständern vor den Betrieben wird der Endkonsument direkt auf die Angebote aufmerksam gemacht. Inserate werden in lokalen Printmedien geschaltet. Die Bediente Gastronomie befindet sich in einer Phase der Sanierung und Neuausrichtung. Infolgedessen hat das Internet derzeit eine untergeordnete Bedeutung für die Promotion der Angebote und wird aus Prioritätsgründen lediglich als Plattform für Basisinformationen genutzt.

Die Verkehrsgastronomie richtet sich an Geschäftsreisende, Familien, Fernfahrer und Reisegruppen. Der Aufenthalt in der Raststätte an der Autobahn wird mit verschiedenen Zusatzleistungen wie Internetstationen oder Kinderspielplätzen für den Reisenden angenehmer gestaltet. Der Auftritt im Internet dient in erster Linie dazu, die Reisenden, die ihre Haltestationen planen, auf die Leistungen an der Raststätte aufmerksam zu machen.

Mövenpick Hotels & Resorts ist als Hotelmanagement-Gesellschaft mit der Führung von Pacht- und Managementbetrieben betraut. Insgesamt werden 49 Häuser in 15 Ländern betreut. Die Kommunikation von Hotels & Resorts wendet sich einerseits an Reisevermittler, andererseits direkt an Endkunden. Die aktive Marktbearbeitung läuft sehr oft über Reisebüros. Dazu werden strategische Partnerschaften geschlossen. Neben der direkten Grundkommunikation im Internet wird mit diversen situativen Instrumenten wie Messebesuchen, Broschüren, Prospekten, Inseraten in der Fachpresse und Plakatkampagnen sowie Mailings auf die Hotels aufmerksam gemacht. Das Internet ist für Hotels & Resorts ein strategisches Vertriebsinstrument. Der Kunde kann online in Echtzeit eine Reservation tätigen. Heute werden bei einzelnen Geschäftshotels über 20% der Buchungen über das Internet realisiert.


3. Unkoordinierte Markenkommunikation

Die Situation, die Lilly Frei bei ihrem Stellenantritt als Head of Corporate Communications bei Mövenpick vorfand, war eine Herausforderung:

  • Es herrschte eine unklare Abgrenzung von zentralen und dezentralen Zuständigkeiten bezüglich der Markenführung.
  • Die Marke Mövenpick war über Jahre nicht systematisch gepflegt worden. Sie wurde nicht mehr stringent geführt und das Kommunikationsbild war veraltet.


Die Verunsicherung in der Markenführung hatte zu einem Markenwildwuchs geführt. Es gab kaum zentrale Vorgaben für die Markenführung an die Geschäftsbereiche. Dies führte sowohl zu einer internen Verwirrung als auch zu einem unklaren Kommunikationsauftritt gegenüber bestehenden und potenziellen Kunden. Der Markenwildwuchs prägte auch die Online-Kommunikation von Mövenpick massgeblich. Die Neukonzeption der Website von Mövenpick war deshalb ein zentrales Projekt im Rahmen des Rebranding-Prozesses. Sie löste einen Definierungsprozess aus, der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in Bezug auf die Online-Kommunikation der Marke Mövenpick regelte.


4. Die Entscheidung zu mehr Integration

Lilly Frei war sich der Unterschiede in den Märkten wohl bewusst. Sie war sich aber auch sicher: Für eine erfolgreiche Online-Kommunikation am Markt ist die einheitliche Benutzeransprache für alle Unternehmensbereiche ein Erfolgsfaktor. Deshalb wurde ein ganzheitliches Website-Konzept mit einheitlicher Kommunikation der Marke Mövenpick entwickelt. Dieses reflektiert das hochwertige Image der Leistungen von Mövenpick. Es wahrt aber die Flexibilität für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Unternehmensbereiche und schafft trotzdem durch die einheitliche Verwendung der Marke eine Identität zwischen ihnen. Das Erlebnis des Kunden ist über alle Unternehmensbereiche hinweg konstant. Er nimmt überall ein gleichwertiges Qualitätsversprechen wahr. Dadurch erkennt er, welche Leistung er von Mövenpick erwarten darf. Gleichzeitig bietet das neue Markenkonzept den einzelnen Unternehmensbereichen die individuell passende Struktur für die eigene Zielerreichung.


"Wir streben nach dem Gleichgewicht
zwischen Autonomie und zentraler Führung.“
(Lilly Frei, Mövenpick Gruppe)


Das Ziel war, eine Balance zwischen der operativen Autonomie der Unternehmensbereiche und dem einheitlichen Markenauftritt zu finden. Dazu mussten aus der Vision operative Vorgaben abgeleitet werden. In diesem Prozess wurde die Mövenpick Gruppe von der aseantic ag unterstützt. Die aseantic ag gab Mövenpick ein Tool zur Entscheidungsunterstützung an die Hand, das es ihr ermöglichte, das Spannungsverhältnis zwischen Integration und Differenzierung zu lösen (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Entscheidungsunterstützung durch die aseantic ag.


Abbildung 1: Entscheidungsunterstützung durch die aseantic ag.

Das Tool enthält ein Kontinuum an Varianten von der totalen Zentralisierung bis zur totalen Dezentralisierung eines Webauftritts. In der dezentralen Variante (Option 1) wird lediglich die Markenführung zentral gehandhabt. Die Unternehmensbereiche sind in der Technik, dem Design und dem Inhalt frei. Diese Option eignet sich insbesondere für Mischkonzerne, deren Unternehmensbereiche in völlig unterschiedlichen Märkten tätig sind. In der zentralisierten Variante (Option 6) werden lediglich die Updates der Inhalte dezentral vorgenommen. Inhalte, Applikationen, Design, Software und Marke gibt die Holding vor. Dieses Vorgehen eignet sich besonders für Ein-Produkt-Unternehmen. Die Zielgruppen sind homogen, so dass der Auftritt einheitlich ausgerichtet werden kann.

Unter starkem Einbezug der einzelnen Unternehmensbereiche galt es, die für Mövenpick optimale Variante zu finden. Der Einbezug der Unternehmensbereiche stellte sicher, dass die neue Website den Anforderungen der einzelnen Geschäftsbereiche gerecht wurde und gewährleistete die Akzeptanz der zukünftigen Onlineverantwortlichen. Denn diese mussten die nötigen personellen Ressourcen für die Pflege der Website zur Verfügung stellen. Folgende Faktoren beeinflussten die Entscheidung:

  • Dezentralität der Unternehmensaktivitäten
  • Unterschiedlichkeit der Märkte der Unternehmensbereiche
  • IT-Know-how der Mitarbeiter/-innen in den Unternehmensbereichen
  • Kultur in den Unternehmensbereichen
  • Wirtschaftlichkeit
  • Technische und strukturelle Synergien


Das Projektteam entschied sich unter folgenden Überlegungen für eine Mischform der Optionen drei und vier: Die Markenführung, eine der Hauptaufgaben der Holding, wird zentral vorgegeben, um den Markenwildwuchs einzudämmen. Um eine wirtschaftliche Lösung realisieren und betreiben zu können, wurde die Vielfalt an Content-Management-Systemen (CMS) eingedämmt. Deshalb wurde zentral ein CMS für alle Unternehmensbereiche eingeführt. Eine einheitliche Navigationsstruktur und die Templates stellen den Wiedererkennungseffekt für den Benutzer sicher. Das Design gibt für alle eine gleiche Basis vor, lässt aber unterschiedliche Tonalitäten in Abstimmung auf die Marktbedürfnisse zu. Die Applikationen der einzelnen Unternehmensbereiche wie Hotelreservationssysteme, Weinshop und so weiter sind so individuell, dass diese dezentral geführt werden, ebenso wie die Inhalte und die Updates der Inhalte.

Dieses Konzept schlug das Projektteam den Unternehmensbereichen einzeln vor und diskutierte die neuen Rahmenbedingungen mit den Verantwortlichen. Die Reaktionen waren unterschiedlich: Einzelne hätten mehr Autonomie bevorzugt, andere hätten erwartet, dass von nun an alle Onlineaktivitäten zentral ausgeführt würden. Doch in der Diskussion konnten sich alle auf dieses Gleichgewicht zwischen Zentralität und Autonomie in Form der Option drei/vier einigen.

Abbildung 2: Einheitliche Markenkommunikation bei Mövenpick.


Abbildung 2: Einheitliche Markenkommunikation bei Mövenpick.


5. Die Entscheidung hat sich gelohnt

  • Die Benutzerfreundlichkeit steigt

Mit der Vereinheitlichung der Markenkommunikation wurde die Nutzung von Synergien sichergestellt. Sie fördert die Kundengewinnung und Kundenbindung über die verschiedenen Unternehmensbereiche hinweg. Der Kunde muss sich nicht immer wieder neu auf einer Mövenpick-Website orientieren. Die Differenzierung der Websites der Unternehmensbereiche geschieht nun über die Inhalte und die Applikationen.

  • Grund- und situative Kommunikation werden integriert

Mit dem Slotprinzip schuf die aseantic AG die Möglichkeit, die situative Kommunikation von Promotionen in die Grundkommunikation des Internets einzubauen. Auf seiner Startseite hat jeder Unternehmensbereich mehrere Slots zur Verfügung, die er mit Inhalten füllen kann. Damit können Kunden auf aktuelle Angebote aufmerksam gemacht werden. Das Slotprinzip schafft ausserdem die Möglichkeit, eine aktuelle Promotion des Weinshops beispielsweise auf der Startseite von Hotels & Resorts zu platzieren. Dies fördert die Attraktivität der Websites. Gleichzeitig wird damit Cross-Selling-Potenzial freigesetzt, ohne das Brandingkonzept zu verletzen. Die Unternehmensbereiche können informell untereinander über die Platzierung von Slots verhandeln.

Abbildung 3: Slotprinzip bei Mövenpick.


Abbildung 3: Slotprinzip bei Mövenpick.

Trotzdem bleibt Lilly Frei diesbezüglich realistisch: „Synergieeffekte sind zwar erwünscht, aber wir streben nicht in erster Linie danach. Die Märkte und damit die Kundenbeziehungen, die in den einzelnen Unternehmensbereichen vorherrschen, sind zu unterschiedlich.“ Seit dem Redesign der Website stellt Mövenpick jedoch einen erhöhten internen Verkehr auf der Website fest. Ein grosser Teil der Besucher kommt über die Homepage der Mövenpick-Gruppe und entscheidet sich dort für einen der Unternehmensbereiche. Die Besucher wechseln anschliessend nur selten zwischen den Unternehmensbereichen. Trotzdem besteht das Potenzial, dass sie auf der Startseite, angelockt durch das einheitliche Design, auf einen anderen Unternehmensbereich von Mövenpick aufmerksam werden.


„Synergieeffekte sind zwar erwünscht, aber wir streben nicht unbedingt danach. Die Märkte und die Kundenbeziehungen, die in den einzelnen Unternehmensbereichen spielen, sind zu unterschiedlich.“
(Lilly Frei, Mövenpick Gruppe)


Zusammenfassend lässt sich die folgende Wirkung nachweisen:

  • Gemäss einer Kundenbefragung wird Mövenpick heute ein höherer Grad an Professionalität und Qualität zugestanden.
  • Das gleiche Design und die gleiche Struktur stärken die Dachmarke und bringen ein Maximum an Benutzerfreundlichkeit.
  • Das Slotprinzip ermöglicht die individuelle Ergänzung der Grundkommunikation mit Elementen der situativen Kommunikation.

Betreiber der Lösung

Mövenpick Group
Florence Mayor, Kommunikation
Lilly Frei, Head of Corporate Communications
Branche: Sonstige Dienstleistungen, Hospitality-Geschäft, Gastronomie, Hotellerie und Weinhandel
Unternehmensgrösse: GrossunternehmenMövenpick Group

Lösungspartner

Gian-Franco Salvato, Geschäftsführer
aseantic AG

Autoren der Fallstudie

Nicole Scheidegger
Sieber & Partners
Gerrit Taaks
Unic AG
Pascal Sieber
Sieber & Partners

01. Mai 2004
Nicole Scheidegger; Pascal Sieber; Gerrit Taaks: Die Organisation des E-Business IV - The Success of Remote Customer Interaction: Fallstudien über die erfolgreiche Kundenbetreuung und Kundengewinnung durch den Einsatz des Internets und der Mobilkommunikation; Haupt Verlag; Bern; Stuttgart; Wien 2004

Zu dieser Fallstudie sind keine Anhänge verfügbar.
1763
ps-moevenpick
https://www.experience-online.ch/de/9-case-study/1763-ps-moevenpick
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