Vier Erfolgsprinzipien im Usable Interface Design

25. November 2008



Swiss Re ist ein globaler Rückversicherer mit 79 Standorten. Für seine Kunden entwickelt er verlässliche und integrierte Lösungen für alle Risikoabdeckungsbedürfnisse. Zu diesem Zweck arbeitet der Rückversicherer eng mit seinen Kunden zusammen, um deren Bedürfnisse zu verstehen und Lösungen zu entwickeln, die deren Geschäftserfolg unterstützen. Diese Fallstudie beschreibt, wie die Swiss Re gemeinsam mit der ergonomie & technologie (e&t) GmbH und der digvis GmbH ein zentrales Client Information System entwickelt hat, das die Kundenbetreuung nachhaltig unterstützt, indem es die Informationsbeschaffung für Swiss Re’s Markt- und Kundenorganisation signifikant vereinfacht.


1. Swiss Re: Erste Anlaufstelle für alle versicherbaren Risiken

Swiss Re ist ein globaler Rückversicherer mit 79 Standorten. Seit der Gründung im Jahr 1863 bietet das Unternehmen seinen Kunden Lösungen für Risiko- und Kapitalmanagement. Zur Kundenbasis zählen führende Versicherer, Unternehmen der Fortune-Global-500-Liste sowie Regierungen und Nichtregierungsorganisationen aus 160 Ländern. Swiss Re ist mit 31,7 Milliarden Schweizer Franken Prämienvolumen (Jahr 2007) der global führende Rückversicherer. Die Strategie der Swiss Re ist es, erste Anlaufstelle (Port of Call) der Kunden und Broker für alle versicherbaren Risiken zu sein. Für seine Kunden entwickelt der Rückversicherer verlässliche und integrierte Lösungen für alle Risikoabdeckungsbedürfnisse. Zu diesem Zweck arbeitet er eng mit seinen Kunden zusammen, um deren Bedürfnisse zu verstehen und Lösungen zu entwickeln, die deren Geschäftserfolg unterstützen.

„Wir wollen für unsere Kunden der „Port of Call“ sein. Um ihnen individuelle und integrierte Lösungen zu bieten, müssen wir als Unternehmen ihre Herausforderungen und Bedürfnisse kennen und verstehen. Genau diesen Anspruch haben wir auch gegenüber
den Benutzern unserer Applikationen.“
Marcel Guyer


Diese Fallstudie beschreibt, wie die Swiss Re gemeinsam mit der ergonomie & technologie (e&t) GmbH und der digvis GmbH ein zentrales Client Information System entwickelt hat. Im Konzeptionsprozess wurden die verschiedenen Anspruchsgruppen – von den zukünftigen Benutzern über die IT bis zum Management – stetig involviert. Das Ziel war, gemeinsam eine Lösung zu schaffen, welche die Kundenbetreuung der Swiss Re nachhaltig unterstützt, indem die Informationsbeschaffung für Client Markets (Swiss Re’s Markt- und Kundenorganisation) signifikant vereinfacht wird.


2. Zentrales Client Information System

“We listen to our clients, working with them closely to design solutions that keep them ahead of the field.”1) Um diesem Grundsatz gerecht zu werden, betreuen die Client Manager der Swiss Re ihre Kunden kompetent, flexibel und individuell. Voraussetzung dafür ist, dass sie den Kunden und seine geschäftlichen Herausforderungen verstehen und Entwicklungen auf der Kundenseite antizipieren.

Die Informationen über einen Kunden waren in der Vergangenheit in mehreren Applikationen und Datenbanken über Regionen und Geschäftssparten hinweg verteilt: Kundenverträge, Swiss Re’s interne finanzielle Kundenbewertung, Aktienkurse, Nachrichten und Pressemitteilungen, Planungen, Agenden und Protokolle von Sitzungen musste der Client Manager aus bis zu zwanzig verschiedenen Quellen zusammenstellen, um sich ein vollständiges Bild über seinen Kunden zu verschaffen. Diese Informationsbeschaffung konnte mehrere Tage in Anspruch nehmen.

Für die ideale Unterstützung der Client Manager bei der Kundenbetreuung entwickelte die Swiss Re zusammen mit e&t (Usability, GUI-Design) und digvis (webbasiertes Prototyping) ein Client Information System (CIS). Das CIS konsolidiert alle Informationen zu einem Kunden an einem Ort. Als reines „read-only“ System stellt es Informationen aus verschiedensten internen und externen Kernapplikationen und -datenbanken (vgl. Abbildung 1) dar.

Abb. 1: Zentrales Client Information System


Abb. 1: Zentrales Client Information System


3. Usable Interface Design

Unterschiedliche Anspruchsgruppen
Eine grosse Herausforderung bei der Entwicklung des CIS waren die unterschiedlichen Bedürfnisse der involvierten Parteien:

  • Die Client Manager als zukünftige Benutzer des CIS erwarteten ein Arbeitsinstrument, das die Informationsbeschaffung vereinfacht und einen schnellen Zugriff auf die für sie relevanten Kundeninformationen bietet.
  • Die IT-Abteilung stellte die Verknüpfung zu den bestehenden Systemen sicher und war interessiert, möglichst mit den bestehenden Datenquellen zu arbeiten und keine Redundanzen zu schaffen.
  • Die Firma C.T.Co in Lettland entwickelte das CIS im Nearshoring. Die Techniker brauchten eine klare und möglichst stabile Definition der Anforderungen, um das CIS rasch entwickeln zu können.
  • Das Management wollte sicherstellen, dass das Projekt in der vorgegebenen Zeit mit den definierten Mitteln erfolgreich realisiert wird.


Vier Erfolgsprinzipien
Um die Bedürfnisse der unterschiedlichen Anspruchsgruppen sicherzustellen, richtete die Swiss Re die Projektorganisation und den Konzeptionsprozess nach vier Prinzipien aus:

  • Klare Projekt Governance: Die gut strukturierte Projektorganisation stellte die Unterstützung des Managements sicher und sorgte für die zielorientierte Ausrichtung des Projekts auf die Bedürfnisse der zukünftigen Nutzer.
  • Benutzerzentrierte, iterative Entwicklung: Der iterative Konzeptions- und Entwicklungsprozess (User Centered Design) stellte sicher, dass das Kernteam flexibel auf die Bedürfnisse der Benutzer reagieren und während der gesamten Konzeptionsphase neue Anforderungen einfliessen lassen konnte. Der frühzeitige Einbezug des Entwicklungsteams in Lettland sorgte für eine laufende Bewertung der technischen Machbarkeit.
  • Vollständige Transparenz durch Prototyping: Der funktionale Prototyp von e&t und digvis sorgte während des ganzen Projekts für Transparenz bezüglich den vorgesehenen Funktionalitäten.
  • Anwendungszentrierte Einführung: Bei den Trainings- und Supportmassnahmen stand die inhaltliche Nutzung des CIS im jeweiligen Arbeitskontext im Zentrum. Dazu wurden auch Handbücher, Trainingsunterlagen und eine Quickanleitung (von e&t) sowie ein interaktives Tutorial (von digvis) erstellt.



Klare Projekt Governance
Das Kernteam, bestehend aus Repräsentanten aus dem Business und der IT, leitete das Projekt und agierte als Schnittstelle zwischen der IT und den Benutzern. Für das Involvement des Managements und der zukünftigen Benutzer involvierte das Kernteam zwei Gremien:
Das Involvement der Geschäftsleitung wurde über das Market Advisory Panel (MAP) sichergestellt. Das MAP ist ein globaler Projektausschuss für operative Belange des Swiss Re Client Markets. Das Commitment der Geschäftsleitung signalisierte allen Beteiligten, dass es sich bei dem Projekt um ein strategisches Vorhaben handelt. Gleichzeitig wurde das Projekt in diesem Gremium durch die Geschäftsleitung überwacht. Die Mitglieder des MAP waren für das Projektcontrolling in Bezug auf die Einhaltung zeitlicher und finanzieller Ressourcen verantwortlich.

Das sogenannte Sounding Board begleitete das Projekt inhaltlich: Dieser Projektausschuss unterstand dem MAP und setzte sich aus Swiss Re-Vertretern verschiedener Segmente, Regionen und Funktionen zusammen. Das Sounding Board vertrat die Bedürfnisse der zukünftigen Benutzer. Die Mitglieder waren zuständig für die inhaltliche Abnahme der Projektspezifikationen, wobei der Prototyp von e&t und digvis ein erfolgskritisches Kommunikationsinstrument darstellte.

Zur Erarbeitung der Business Requirements bezog das Kernteam einzelne Vertreter aus der Reihe der Client Manager, d.h. aus der zukünftigen Benutzergruppe („Information Demand“) sowie Vertreter aus den verschiedenen Fachbereichen der „Informationslieferanten“ („Supply“) als Consulted Stakeholders in das Projekt ein.

Abb. 2: Projektorganisation (vereinfacht)


Abb. 2: Projektorganisation (vereinfacht)

Benutzerzentrierte, iterative Entwicklung: Usability
Um die Bedürfnisse der zukünftigen Benutzer zu einem möglichst hohen Grad zu befriedigen, setzte die Swiss Re auf User Centered Design (vgl. Abbildung 3).

In Kick-Off-Workshops mit den Consulted Stakeholders der Nachfrager-Seite (Client Manager) erhob das Kernteam Wünsche und Ideen zum CIS. Die entstandene „Wunschliste“ konsolidierte das Kernteam in separaten Folge-Workshops sowie bilateralen Gesprächen. Es prüfte sie zusammen mit den Consulted Stakeholders der Informationslieferanten auf ihre Machbarkeit und arbeitete anschliessend realistische Business Requirements aus.

Alle Business Requirements wurden laufend in einen funktionalen Prototyp umgesetzt: e&t gestaltete die Benutzungsoberfläche (Graphical User Interface, GUI) nach Usability-Kriterien; digvis entwickelte auf der Basis der Screens den Prototyp als Webapplikation. Auf diese Weise konnten alle involvierten Parteien auf den aktuellen Umsetzungsstand zugreifen. Insbesondere wurden mit dem Prototyp regelmässig Usability-Tests durchgeführt. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse wurden laufend im Prototyp umgesetzt. So unterstützte e&t den gesamten Entwicklungsprozess und stellte mit ihrer Expertise sicher, dass die Lösung einfach (be-)nutzbar ist.

Abb. 3: Iterativer Prozess zwischen allen Stakeholdern


Abb. 3: Iterativer Prozess zwischen allen Stakeholdern 2)

Das Kernteam prüfte den Prototyp laufend auf seine Nützlichkeit (Utility). Schliesslich wurden dem Sounding Board anhand des Prototyps die Inhalte über mehrere Sitzungen hinweg vorgestellt und nach nötigen Anpassungen inhaltlich genehmigt.

Anhand der konsolidierten Business Requirements schrieb die IT erste Use Cases. Die Use Cases definierten die wichtigsten Interaktionen zwischen Client Managern und CIS.
Bereits den ersten funktionalen Prototyp prüften die Entwickler in Lettland auf die Umsetzbarkeit des Konzepts im vorgesehenen Framework.

Mit der Abnahme des finalen Prototyps erfolgte die Übergabe an die Entwickler in Lettland. Zusammen mit den Use Cases und einem Style Guide erhielten sie ein klares Zielbild der Lösung und somit eine stabile Basis, um mit der technischen Umsetzung des CIS zu beginnen.

Vollständige Transparenz durch Prototyping
Der Prototyp war stets online einsehbar. Dies schaffte Transparenz im gesamten Entwicklungsprozess. Der Prototyp wurde zum „Kommunikationsvehikel“, das die Umsetzung der Business Requirements nachvollziehbar aufzeigte. Damit schaffte die Swiss Re ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten über den Umfang und die Reichweite des Projekts und lieferte die Grundlage für eine konstruktive Diskussion und Weiterentwicklung der Lösung.

“Einer der zentralen Erfolgsfaktoren im Projekt war die konsequente
Benutzerorientierung. e&t und digvis haben mit ihrer Expertise stark zur
hohen Akzeptanz des CIS beigetragen.“
Aleksander Cetkovic


Anwendungszentrierte Einführung
Im Februar 2008 wurde das neue CIS weltweit bei den Client Managern eingeführt. Damit die Endbenutzer sich rasch zurechtfinden und ihre Arbeitsprozesse vereinfachen konnten, ergriff Swiss Re verschiedene Einführungsmassnahmen. Dabei stand stets die Anwendung des Systems im Arbeitskontext im Vordergrund und nicht die technische Funktionalität:

  • Das Endbenutzer-Handbuch sowie ein Quick Reference Guide, beide von e&t konzipiert und umgesetzt, dienen als Nachschlagewerk für die Client Manager. Sie beschreiben primär die Inhalte und den Nutzen des CIS und nur zweitrangig die Funktionalitäten des Systems.
  • Eine E-Learning-Umgebung zum CIS ist in Arbeit. Sie wird die wichtigsten Arbeitsschritte im CIS illustrieren und basiert auf dem interaktiven Tutorial, das von digvis umgesetzt wurde.
  • In Schulungen vor Ort lernten die Client Manager die wichtigsten Inhalte des CIS kennen. Die Trainer- und Schulungsunterlagen wurden ebenfalls von e&t erarbeitet.
  • Hilfetexte im CIS bieten inhaltliche Anleitungen. Sie liefern beispielsweise Angaben zur Aktualität der jeweiligen Information oder zeigen, welche Wechselkurse bei der Berechnung von Finanzkennzahlen verwendet werden.
  • Neben der üblichen Swiss Re internen IT-Hotline baute das Kernteam ein Netzwerk von rund 30 Power Usern auf, die weltweit über die verschiedenen Standorte verteilt sind. Sie unterstützen als Second Level Support ihre Kollegen vor Ort bei der Nutzung des CIS. Ein spezifisch auf diese Power User zugeschnittenes Handbuch, das ebenfalls von e&t erarbeitet wurde, dient dabei als Nachschlagewerk. In zweiwöchentlichen Telefonkonferenzen tauschen sich die Power User weltweit gegenseitig über Herausforderungen und Lösungsansätze aus.
  • In der IT-Abteilung wurde ein Second Level Support für anspruchsvollere technische Problemstellungen aufgebaut.

4. Anwenderakzeptanz und Produktivitätssteigerung

Dank des ganzheitlichen Einbezugs aller Anspruchsgruppen auf der strategischen, der organisatorischen, der Prozess- und der technischen Ebene konnten Überraschungen bei der Einführung vermieden werden. Die Anwenderakzeptanz ist sehr hoch, weil die Nutzer in die Entwicklung miteinbezogen waren und diese nach ihren Bedürfnissen steuern konnten.

Das Arbeiten mit dem Prototyp als „Kommunikationsvehikel“ für das gesamte Projekt erleichterte die Verständigung mit allen Beteiligten in allen Phasen. Die Umsetzung der Business Requirements in Form des Prototyps machten die Ideen nicht nur verständlich, sondern auch erfahrbar. Dies stimulierte die Diskussion und produzierte konstruktive Rückmeldungen der Anspruchsgruppen. Falsche oder unrealistische Erwartungshaltungen wurden vermieden und Missverständnisse konnten minimiert werden. Dies gab der IT-Abteilung und den Softwareentwicklern in Lettland Sicherheit und minderte das Risiko von Zeitverzögerungen. Der Benutzer war nicht mehr länger nur eine Kontrollinstanz, sondern Projektteammitglied und trug somit auch eine gewisse Verantwortung.

„Der funktionale Prototyp war unser Kommunikationsvehikel. Alle
Anspruchsgruppen - die Client Manager, die IT, die internen
„Informationslieferanten“, die Entwickler und das Management - hatten
ein gemeinsames Verständnis des Projektumfangs und wir konnten uns
konstruktiv der inhaltlichen Gestaltung des CIS widmen.“
Peter Füllemann


Durch den direkten Kontakt zu den weltweiten Benutzern stellte Swiss Re den kontinuierlichen Wissenstransfer sicher und demonstrierte mit dieser Massnahme, dass man die Benutzer ernst nahm. Da neben der Nützlichkeit auch die Benutzerfreundlichkeit der Lösung ex ante getestet werden konnte, wurde der bei der Einführung neuer Systeme oft festgestellte Produktivitätseinbruch vermieden. Das Produktivitätspotenzial der neuen Lösung konnte von Anfang an ausgeschöpft werden.

 







1) Mission gemäss Webseite www.swissre.com
2) In Anlehnung an eine Visualisierung von Christopher Müller, e&t und den User Centered Design Prozess (ISO 13407)


Betreiber der Lösung

Swiss Re
Marcel Guyer, Vice-President, Head Client & Business Intelligence, PM Cllient Information System
Branche: Banken/Versicherungen/Allfinanz, Globaler Rückversicherer, Lösungen für Risiko- und Kapitalmanagement
Unternehmensgrösse: GrossunternehmenSwiss Re

Lösungspartner

Christopher H. Müller, Geschäftsführer
ergonomie & technologie
Andy Disler
digvis GmbH

Autoren der Fallstudie

Nicole Scheidegger, Valerie Sticher
Sieber & Partners

25. November 2008
Nicole Scheidegger; Norman Briner; Valerie Sticher; Pascal Sieber; Marc André Hahn; Alfred Bertschinger; Gerrit Taaks (2008): Die Organisation des E-Business VIII. Knowledge Economy: Fallstudien über die Bedeutung der Informatik und Telekommunikation zur Steigerung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit. Dr. Pascal Sieber & Partners AG; Bern. ISBN 978-3-033-01798-6

Zu dieser Fallstudie sind keine Anhänge verfügbar.
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swissre-digvis
https://www.experience-online.ch/de/9-case-study/2184-swissre-digvis
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