Die Suva vernetzt das Gesundheitswesen

01. August 2003



Die Fallstudie zeigt, wie mit modernen Hilfsmitteln im Netzwerk von Unternehmen der Suva Effizienzsteigerungen möglich werden. Die Suva tritt in diesem Netzwerk als Organisator auf, der gezielt in die Vernetzung der Abläufe zwischen den Marktteilnehmern investiert.


1. Die Suva

Die Suva (Schweizerische Unfallversicherungsanstalt) versichert Betriebe vor allem aus dem zweiten Wirtschaftssektor[2] gegen die Folgen von Berufs und Freizeitunfällen sowie Berufskrankheiten. Sie erbringt Leistungen in der Prävention, der Versicherung und der Rehabilitation als selbständiges Unternehmen des öffentlichen Rechts.


„Die Suva fördert proaktiv den elektronischen Datenaustausch
zwischen den Teilnehmern im Gesundheitswesen.“

(Beat Arnet, Bereichsleiter Distribution, Suva) [1]


Die Einnahmen der Suva stammen aus Versicherungsprämien und Kapitalanlagen. Im Betriebsjahr 2002 erwirtschaftete die Suva 5,2 Milliarden Franken mit 2'450 Mitarbeitern in 20 Agenturen. Sie versichert knapp 110'000 Betriebe mit 1,8 Millionen Arbeitnehmern.


2. Das Netzwerk

Drei Prozesse prägen die Suva:

  • Prävention (SuvaPro): Die Betriebe wollen den Ausfall von Arbeitskräften in Folge von Betriebs- und Nichtbetriebsunfällen senken. Dazu entwickelt und pflegt SuvaPro Massnahmen zur Unfallverhütung und zum Gesundheitsschutz in den Betrieben. SuvaPro senkt Nichtbetriebsunfälle durch Kampagnen, Beratung und durch Ausbildung von Sicherheitsbeauftragten.
  • Versicherung (SuvaRisk): SuvaRisk versichert die Betriebe und bewirtschaftet die Anlagen.
  • Unfallerledigung (SuvaCare): SuvaCare begleitet den Patienten ab der Unfallmeldung bis zur Rehabilitation. Die Suva koordiniert die unfallmedizinische Betreuung der Leistungserbringer. Für die Rehabilitation besitzt die Suva zwei eigene Kliniken.

In allen drei Prozessen arbeitet die Suva mit Dritten zusammen. In jedem Fall tritt sie als Market Maker auf. Sie investiert gezielt in die Vernetzung der Prozesspartner, um die Effizienz insgesamt zu verbessern.

Abbildung 1 zeigt am Beispiel SuvaCare, wie viele Partner im Netzwerk vertreten sind. Veränderungen in den Geschäftsprozessen zwischen den Partnern müssen immer die wirtschaftlichen Bedürfnisse aller berücksichtigen. Diese Herausforderung hat die Suva angenommen.


Abbildung 1: Netzwerk der Suva am Beispiel der SuvaCare.


Abbildung 1: Netzwerk der Suva am Beispiel der SuvaCare.



3. Klare interne Verantwortung und Koordination

Innerhalb der Suva werden unter E-Business alle Datenflüsse zu und von den Partnern und Kunden verstanden. Die Organisation dieser Datenflüsse ist sowohl zentral als auch dezentral verankert:

  • Zentral: Der Bereich Distribution im Führungs- und Supportprozess erbringt unter der Leitung von Beat Arnet Dienstleistungen für die Kernprozesse. Dazu sind fünf Personen angestellt. Sie koordinieren alle E-Business-Aktivitäten in der Suva. Der Bereich Distribution ist für die Vorgabe der prozessübergreifenden Rahmenbedingungen verantwortlich. In prozessübergreifenden Projekten übernimmt der Bereich Distribution die Projektleitung.
  • Dezentral: Die Internetprojekte der Suva sind mehrheitlich von den Prozessverantwortlichen angestossen. Entsprechend sind auch die Verantwortlichkeiten für die meisten E-Business-Aktivitäten dezentral geregelt.


In der Vergangenheit haben die Projektverantwortlichen externe Dienstleister beauftragt, um schnell Einzellösungen aufbauen zu können. Heute ist genauer bekannt, welche Anwendungen von Bedeutung sind, so dass diese Insellösungen jetzt integriert werden. Dazu entwickelte Beat Arnet zwei Massnahmen: Einerseits wird die Zahl der Lieferanten reduziert, gleichzeitig übernimmt die interne Informatik vermehrt Aufgaben bei der Applikationsentwicklung.

Der Bereich Distribution berät im Zuge dieser Integration die Projektverantwortlichen: Als Koordinator, um Synergien zu schaffen, und als Impulsgeber und Technology Scout, um auch in Zukunft als Market Maker ernst genommen zu werden.

Mit folgenden drei Massnahmen will die Suva die Investitionen strategisch und operativ absichern:

a. Die Informatikkommission verwaltet ein Budget von 70 Millionen Franken für Entwicklung und Betrieb der Informatikinfrastruktur (inkl. Personalkosten). Sie priorisiert unter der Leitung des Geschäftsleitungsvorsitzenden alle Informatikprojekte. Damit wird ein zielkonformer Einsatz der Mittel sichergestellt.

b. In Koordinationssitzungen mit den Projektverantwortlichen werden ungefähr dreimonatlich die Aktivitäten untereinander abgestimmt. Dadurch sollen Doppelspurigkeiten vermieden werden.

c. Die CMS-Benutzergruppe ist für die Koordination der Redaktoren und die Erfassung der Inhalte auf der Website zuständig. Damit wird die Wiederverwendbarkeit der Inhalte sichergestellt und die Kommunikation auf dem Web an der Strategie der Suva ausgerichtet.


4. Die Suva als treibende Kraft im Netzwerk

Zwischen den Netzwerkpartnern kann die Suva weniger mit Koordinationssitzungen und Top-Down-Management für die effiziente E-Business-Nutzung sorgen. Sie muss vielmehr über den wirtschaftlichen Nutzen der Anwendungen für die Partner argumentieren, um sie zu überzeugen. Die Vernetzung im Gesundheitswesen ist besonders schwierig. Ärzte, Spitäler, Krankenkassen und Betriebe nutzen neue Informations- und Kommunikationssysteme unterschiedlich intensiv. Um diese Barriere zu überwinden, standardisiert die Suva den zwischenbetrieblichen Datenaustausch. Während sie ihre internen Prozesse bereits weitgehend rationalisiert hat, sind zwischen den beteiligten Organisationen noch Medienbrüche vorhanden.

Als First Mover hat die Suva die Chance, einen Industriestandard zu setzen. Um die Partner zur Teilnahme zu motivieren, ergreift sie verschiedene Massnahmen:

  • Sie stellt die Software den Software-Häusern zur Integration zur Verfügung, damit diese sie in die Software für Leistungserbringer integrieren können.
  • Sie lizenziert Software zur Integration an verschiedene Krankenkassen.
  • In vielen persönlichen Gesprächen überzeugt die Suva ihre Partner vom gemeinsamen Erfolg der Massnahmen.

5. E-Business lohnt sich

Bevor die Suva in Software zur Unterstützung der zwischenbetrieblichen Geschäftsprozesse investiert, analysiert sie die Prozesse eingehend. Das grösste Rationalisierungspotential wird dort vermutet, wo am meisten Daten anfallen. Deshalb analysierte die Suva in jedem Prozess den Datenanfall. Die Analyse zeigte das grösste Potential bei den Heilkostenrechnungen und den Unfallmeldungen im Prozess SuvaCare. Beide Prozesse werden nicht nur auf Seiten der Suva integriert sondern auch bei den Prozesspartnern.

1,5 Millionen Heilkostenrechnungen

20'000 Leistungserbringer stellten der Suva früher Rechnung auf Papier. Dies erforderte bei der Suva eine manuelle Erfassung der Rechnungen. Auslöser für die elektronische Rechnungsübermittlung war die Einführung der neuen Tarifstruktur TARMED . Die 4'600 Leistungspositionen des TARMED[3] waren für die Ärzte nicht mehr zu bewältigen. Deshalb stellt die Suva den Ärzten die Applikation Sumex I zur elektronischen Rechnungsstellung zur Verfügung. Sie dient der Validierung der Rechnungsstellung gemäss Tarmed und der Weiterleitung der Rechnung an die Suva. Damit fällt die manuelle Erfassung bei der Suva weg und Fehler werden reduziert. Sumex I wird kostenlos an Softwarehäuser geliefert, die Arztsoftware herstellen. Damit wird die Integration in die bestehende Office-Automation des Arztes sichergestellt. Gleichzeitig stellt das Modul Sumex II die Integration auf Seiten der Suva sicher. Dieses Modul wurde auch an andere Krankenversicherer lizenziert. Mit diesem Projekt hat sich die Suva als First Mover für die Standardisierung des Datenaustauschs zwischen Leistungserbringer und Versicherer positioniert. Durch die Lizenzierung an andere Krankenversicherer hat sich der Standard rasch verbreitet.

470'000 Unfallmeldungen

Früher bestellten die Betriebe die Unfallformulare bei der Suva. Die von Hand ausgefüllten Formulare stellten sie der Suva per Post zu. Die manuelle Erfassung der Unfallmeldungen beanspruchte viel Zeit bei der Suva. Heute stehen den Betrieben zwei Kanäle für die elektronische Unfallmeldung an die Suva zur Verfügung: Sunet als Client-Software und SunetWeb für die Unfallmeldung über das Internet. Dadurch kann der Medienbruch und die manuelle Datenerfassung umgangen werden.


6. Priorisieren der Projekte

Sobald gezeigt werden kann, dass ein Rationalisierungspotential vorliegt, werden Projektanträge formuliert. Vor der Investition bewertet die Informatikkommission jedes Projekt nach seinem „Beitrag zum Finanzergebnis“ und der „strategischen Position“.

Die Suva hat derzeit kaum ein Projekt, das sich durch eine hohe strategische Position und einen grossen Beitrag zum Finanzergebnis auszeichnet (Star). Beat Arnet stellt fest, dass E-Business nicht sofort den gewünschten Erfolg bringt: „Wir haben einige Produkte mit strategischer Bedeutung aber nur mässigem Beitrag zur Finanzlage (Sumex, elektronische Unfallmeldung). Nur drei Projekte sind Cash Cows.“ Das Problem sind die relativ hohen Kosten, die mit E-Business verbunden sind. [Projektportfolio]


Abbildung 2: Projektportfolio der Suva


Abbildung 2: Projektportfolio der Suva



7. Berechnen der Wirtschaftlichkeit

Die Komplexität der Berechnung der Wirtschaftlichkeit der E-Business-Projekte ist nicht zu unterschätzen. Bei der Suva wird jeweils eine Detailbetrachtung angestellt. Dies wird am Beispiel des Projekts Sunet dargestellt:

Die Suva kann durch die elektronische Übermittlung der Unfallmeldungen 15 Minuten pro Fall sparen. Durch Rückfragen bei Lücken oder bei Verständnisproblemen verringert sich diese Zeiteinsparung auf durchschnittlich sechs Minuten pro Fall. Zur Zeit werden 30% der 470'000 Unfälle elektronisch gemeldet. Dies ergibt 141'000 elektronische Unfallmeldungen. Dadurch spart die Suva 14'100 Stunden im Jahr, was neun Vollzeitstellen entspricht.

Mit der zu erwartenden Steigerung der Nutzungsrate von Sunet in den nächsten fünf Jahren wird auch der Rationalisierungseffekt wachsen.


Abbildung 3: Net Present Value (NPV) Sunet (Beträge in Tausend).

Abbildung 3: Net Present Value (NPV) "Sunet" (Beträge in Tausend).



Im ersten Jahr können durch die Automation 1,8 Mio. Franken gespart werden. Die Abbildung 3 zeigt die Berechnung des Net Present Values (NPV) des Projekts Sunet. Die Suva kann für dieses Projekt mit einem positiven NPV rechnen.

Durch das Projekt kann sich die Suva vermehrt auf die Erhöhung des Kundennutzens konzentrieren. Mit umfassenden Dienstleistungen im New Case Management betreut die Suva bspw. diejenigen Verunfallten besser, die eine intensive und umfassende Begleitung benötigen. Neben medizinischen Belangen unterstützt sie dabei auch die berufliche Wiedereingliederung.

Der Erfolg hängt wesentlich von der Nutzung durch die Partner ab. Mit den Sensibilisierungsmassnahmen und der Vergabe von Lizenzen sowie Gratissoftware will die Suva möglichst schnell eine grosse Durchdringung erreichen. Erst dann lohnen sich die Investitionen. Gleichzeitig verhilft die Suva aber damit der ganzen Branche zu einer neuen Kostenstruktur durch die effizientere Gestaltung des zwischenbetrieblichen Datenaustauschs. Dies stärkt die Position der Suva und der Partner im Markt.


8. Herausforderungen

Beat Arnet betont, dass sich die Suva nicht auf dem Erfolg ausruhen darf. Deshalb denkt er neben der Effizienzsteigerung durch die Vernetzung zwischen den Partnern auch über neue Dienstleistungen nach. Neue Dienstleistungen sollen wiederum der Suva und den Partnern Vorteile bringen.

Bereits kann über mobile Endgeräte und über das Internet der Standort von Leistungserbringern des Gesundheitswesens abgefragt werden. Innerhalb von Sekunden kann mit dieser Software (Sanday) die nächstgelegene Arztpraxis oder das nächstgelegene Spital ermittelt werden. Sanday wurde nur durch die Zusammenarbeit mit Verbänden und Standesorganisationen aus dem Gesundheitswesen möglich. Die Suva hat beispielsweise den Schweizerischen Apothekerverband, die schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft und die Gesellschaft Schweizer Tierärzte vom Sinn der Anwendung überzeugt.

Sanday dient auch als technisch-organisatorische Plattform für ein anderes Projekt, an dem Beat Arnet mitarbeitet: Die Zuteilung von Patienten an Spitäler wird durch das internetgestützte Bettenleitsystem des Kantons Bern wesentlich erleichtert. In den Spitälern wird die Anzahl freier Betten ermittelt. Die Ärzte und Ärztinnen können über die Sanitätsnotrufzentrale 144 des Kantons Bern, die auf diese Daten zugreift, das richtige Spital für ihre Patienten finden. Dadurch sparen sie Zeit und zwischen den Spitälern werden Kapazitäten besser abgeglichen. Beides spart Kosten.

Bei allen Projekten ist viel Überzeugungsarbeit zu leisten, damit die Partner mitmachen. Die Nutzungsrate der E-Produkte der Suva muss hoch sein, damit Skaleneffekte realisiert werden können.

Bei vielen Ideen gibt es aber auch eine technische Barriere: Die Sicherheit der Datenübermittlung und vor allem die Authentifikation der Partner ist wichtig. Um wechselseitig Informationen auszutauschen, bedarf es einer PKI . Weil im Moment von keiner öffentlichen Stelle Zertifikate ausgegeben werden, hat die Suva überlegt, eine eigene Zertifizierung aufzubauen. Sie hat nun aber entschieden, dies nicht selbst zu tun, weil die Investitionen zu gross und der Nutzen zu gering erscheint. Die Suva setzt auf kostengünstigere Lösungen bis eine öffentliche PKI verfügbar ist.


9. Fazit

Die Suva hat die Rolle des Netzwerkorganisators im Gesundheitswesen übernommen. Sie treibt die Vernetzung der Geschäftsprozesse mit ihren Partnern voran. Dabei ist sie Initiator verschiedener Gespräche über die Gestaltung der zwischenbetrieblichen Prozesse: Sie analysiert, welche Prozesse die grössten Effizienzsteigerungen durch die elektronische Unterstützung versprechen. Gemeinsam mit ihren Partnern diskutiert sie die Auswahl der Prozesse, die vernetzt werden. Durch die Wahl der Prozesse sind die Partner im Netzwerk bereits bestimmt. Anschliessend legen die Partner gemeinsam die Aufgaben- und Ressourcenteilung fest. Sie verteilen Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen im Netzwerk. Danach entwickeln die Partner Regeln, die die Zusammenarbeit erleichtern. Gemeinsam diskutieren sie über Anreizsysteme, die den langfristigen Einsatz für das Kollektiv entlöhnen. Unter Einbezug der Partner evaluiert die Suva den Nutzen für die einzelnen Partner.


[1] Diese Fallstudie basiert auf einem Gespräch zwischen Nicole Scheidegger und Beat Arnet vom 4. Juni 2003.
[2] Verarbeitendes Gewerbe, Industrie, sowie Hoch-, Tief- und Bergbau.
[3] TARMED ist der neue Einzelleistungstarif, der für sämtliche in der Schweiz erbrachten ambulanten ärztlichen Leistungen im Spital und in der freien Praxis Gültigkeit haben wird. Der Bundesrat hat im Jahr 2002 die Tarifstruktur TARMED 1.1r genehmigt. Am 1. Mai 2003 starteten die Unfall-, Militär- und Invalidenversicherer mit der Einführung von TARMED. Ab 1. Januar 2004 wird TARMED fläcchendeckend angewendet. Siehe www.tarmedsuisse.ch, 17.6.2003.


Owner/s of the solution

Suva
Industry: Public authorities/Social insurance/Police/Armed forces, compulsory accident insurance, occupational injuries and diseases, non-occupational accidents, security products
Company size: large-scale enterpriseSuva

Case study author/s

Pascal Sieber, Nicole Scheidegger
Sieber & Partners
Gerrit Taaks
Unic AG

01. August 2003
Scheidegger; N.; Sieber; P.: Die Organisation des E-Business III; Verlag Paul Haupt; Bern; Stuttgart; Wien 2003.

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https://www.experience-online.ch/de/9-case-study/1777-ps-suva
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