Customer Lifetime Value bei PostFinance

01. November 2007



PostFinance ist ein eigenständiges Finanzinstitut und ertragsstarker Geschäftsbereich der Schweizerischen Post. Sie entwickelt Lösungen für nahezu alle Geldangelegenheiten. Die Fallstudie beschreibt den Beitrag des Konzepts „Customer Lifetime Value“ zur präzisen Kundensegmentierung bei PostFinance. Der Customer Lifetime Value ist die abdiskontierte Rentabilität eines Kunden über den Zeitraum der gesamten Kundenbeziehung. Dieses Konzept, gemeinsam entwickelt mit rbc Solutions AG, erlaubt PostFinance, die Marketing-, Verkaufs- und Serviceressourcen auf die zukunftsträchtigsten Kunden auszurichten und das strategische Ziel, die drittgrösste Finanzdienstleisterin der Schweiz zu sein, zu erreichen.


1. PostFinance

PostFinance ist ein ertragsstarker Geschäftsbereich der Schweizerischen Post. Als eigenständiges Finanzinstitut entwickelt das Unternehmen Lösungen für nahezu alle Geldangelegenheiten. Im Jahr 2006 erwirtschaftete PostFinance mit rund 2’500 Mitarbeitenden einen Gewinn von 252 Mio. Franken. Über 3 Mio. Kunden-Konten führt sie für über 2 Mio. Privatkundinnen und Privatkunden sowie rund 300‘000 Unternehmen und öffentlich-rechtliche Körperschaften. Ihnen bietet sie standardisierte, modulare und innovative Dienstleistungen rund um die Themen Zahlungsverkehr, Geldanlage, Vorsorge und Finanzieren an.

PostFinance ist heute der fünftgrösste Finanzdienstleister in der Schweiz. Ihr Ziel ist es, bis 2013 der drittgrösste Finanzdienstleister zu werden. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, muss die Anzahl Kunden und vor allem die 40 Milliarden Franken an verwaltetem Vermögen stark gesteigert werden. Das Unternehmen besitzt keine Banklizenz und kann deshalb Anlage-, Finanzierungs- und Vorsorgeprodukte ausschliesslich in Kooperation mit Banken anbieten. Infolgedessen kann sie sich – bis zum Erhalt einer Banklizenz – weniger über die Produkte sondern vielmehr durch den Kundenservice differenzieren: „Erstens forcieren wir die Beratung für Kleinunternehmen, zweitens bauen wir die Filialen aus und stellen weitere mobile Berater ein (…) und drittens besteht seit Mai ein 7-Tage-24-Stunden-Kundendienst“(1) .


2. Kennzahlen für Unternehmensentwicklung

Für die strategische Entwicklung von PostFinance sind drei Teams der Stabstelle Unternehmensentwicklung zuständig:

  • Data Warehouse (DWH) und Data Mining
  • Marktforschung
  • Strategie und Kooperationen


Sie erarbeiten Wissen, Kennzahlen und Strategien, um PostFinance zum drittgrössten Finanzdienstleister in der Schweiz zu entwickeln. Die DWH und Data Mining-Abteilung hat den Auftrag, die Unternehmensentwicklung mit der Entwicklung und Bereitstellung von Kennzahlen zu unterstützen. Vor knapp zehn Jahren hat PostFinance mit dem Aufbau eines DWHs begonnen. In regelmässigen Abständen importiert die DWH und Data Mining-Abteilung Kennzahlen in das DWH, wie beispielsweise das verwaltete Vermögen. Vor dem Datenimport werden die Daten bereinigt, automatische Prüfungen decken falsche oder unvollständige Werte auf. Das DWH ist mit einem grossen und ordentlich aufgeräumten Lager zu vergleichen. Die Daten im DWH dienen der Abteilung zur automatischen Berechnung und Auslieferung von Kennzahlen (Routine-Kennzahlen).

Für vertiefte und / oder explorative Analysen setzt die Abteilung Data Mining ein. Data Mining nutzt verschiedene statistisch-mathematische Methoden, um Kennzahlen zu berechnen und Muster zu erkennen (Ad-hoc-Kennzahlen). Die Methoden des Data Mining sind rechenaufwändig, weshalb die Analysen in einer speziellen Data Mining-Datenbank durchgeführt werden. Die Data Mining-Datenbank beinhaltet einerseits nur die benötigten Informationen und andererseits sind die Informationen bereits aufbereitet. Beispielsweise errechnet die DWH und Data Mining-Abteilung aus den Daten des DWHs die Rentabilität pro Kunde und Monat und legt nur diese verdichtete Information in die Data Mining-Datenbank ab. Die Data Mining-Datenbank enthält höherwertige Informationen als das DWH und steigert so die Performance im Data Mining. Heute verfügt PostFinance unter anderem über Kennzahlen zur Rentabilität pro Kunde und Monat, zur Loyalität, zur Wahrscheinlichkeit eines Produkt- oder Dienstleistungskaufs oder ob PostFinance die Hauptbank des Kunden ist.


„Jede Kennzahl, die Sie in einem Marketinghandbuch beschrieben sehen, haben wir sicher bereits implementiert.“,
Thomas Meyer


Diese Kennzahlen unterstützen das Marketing bei der Segmentierung und Schwerpunktsetzung der Marketingaktivitäten, die Mitarbeitenden in den Filialen von PostFinance beim Service am Kunden und die Stabstellen der Unternehmensentwicklung (vgl. Abbildung 1).

Abb. 1: Prozess der Kennzahlenerarbeitung


Abb. 1: Prozess der Kennzahlenerarbeitung


3. Customer Lifetime Value

Die zukunftsgerichtete Perspektive des Customer Lifetime Value
Bis vor zwei Jahren standen PostFinance vor allem vergangenheitsorientierte Kennzahlen zur Verfügung. Solche vergangenheitsorientierten Kennzahlen verbessern einerseits das Kunden- und Geschäftsverständnis und dienen der Erfolgskontrolle. Andererseits sind diese Kennzahlen für zukunftsgerichtete Investitionsentscheide aber weniger hilfreich. Aus diesem Grund wurde vor zwei Jahren mit der Entwicklung der Kennzahl „Customer Lifetime Value“ begonnen [Kundenmanagement]. Der Customer Lifetime Value (CLV) ist die abdiskontierte Rentabilität eines Kunden über den Zeitraum der gesamten Kundenbeziehung. Der CLV ist also der heutige Barwert eines Kunden, in den die gesamte zukünftige Rendite bis zum Ende der Kundenbeziehung einberechnet ist, wobei die zukünftigen Renditen auf den heutigen Zeitpunkt abdiskontiert werden.

Mit dem CLV steht pro Kunde eine Kennzahl zur Verfügung, die auf der zukünftigen Entwicklung des Vermögens basiert. PostFinance erreicht ihr Ziel, zur drittgrössten Finanzdienstleisterin aufzusteigen, wenn der CLV aller Kunden gesteigert werden kann. PostFinance unterstützt mit dem CLV:

  • Entscheide zur Unternehmensstrategie und
  • zu den strategischen Kooperationen, wie auch
  • die strategischen und operativen Marketingentscheide und –kontrollen,
  • die strategischen und operativen Verkaufsentscheide und -kontrollen, sowie
  • die strategischen und operativen Entscheide bei der Serviceleistungserbringung.


Der CLV kann in Strategieszenarien eingesetzt werden, oder Marketingmassnahmen lassen sich auf die zukunftsträchtigen Kundensegmente gemäss CLV ausrichten. Auch operative Entscheide profitieren vom CLV. Beispielsweise können Entscheidungen, für oder gegen eine kulante Handhabung, vom zukünftigen Wert der Kundenbeziehung abhängig gemacht werden.

Berechnung des CLV bei PostFinance
Thomas Meyer, David Wyder und Dr. Olga Krischik von PostFinance haben zusammen mit Dr. Christiane Okonek von rbc Solutions AG die CLV-Berechnung entwickelt. Obwohl die Faktoren eines CLVs in vielen Sachbüchern beschrieben werden, ist die Berechnung im konkreten Fall an die damit verfolgten Ziele, an die Eigenheiten der Branche und die vorhandenen Daten anzupassen. Für die Berechnung muss daher einerseits eine gute Kenntnis der vorhandenen Kennzahlen (und der dahinter verborgenen Rohdaten) vorhanden sein, andererseits verkürzen Erfahrung und eine neutrale Aussensicht, wie sie rbc Solutions einbringen konnte, die Entwicklungsarbeit stark.

In die CLV-Berechnungen fliessen heute vor allem folgende Faktoren ein, die in der Data Mining-Datenbank enthalten sind:

  • Basisfaktoren:
    • Rentabilität
    • Produktnutzen
    • Vermögen des Kunden
  • Entwicklungsfaktoren:
    • Soziodemographische Daten der Privatkunden
    • Loyalität des Kunden
    • Share of Wallet
    • Cross Selling-Potential des Kunden




Auf Grund der Basisfaktoren wird die zukünftige Rentabilität mittels einer Zeitreihenanalyse geschätzt. Bei einer Zeitreihenanalyse wird die zukünftige Entwicklung mittels eines mathematischen Algorithmus aus der bisherigen Entwicklung extrapoliert. Auf der Basis der individuellen Rentabilitätswerte pro Monat errechnet die Data Mining-Lösung die Entwicklung der individuellen Rentabilität. Die Berechnung der zukünftigen Rentabilität der Kunden ist umso genauer, je präziser die Vergangenheitsdaten abgebildet werden können.

Die eingesetzte Data Mining-Software ermittelt automatisch unter mehreren Algorithmen, welcher am besten zu den individuellen Rentabilitätswerten aus der Vergangenheit passt und nutzt diesen Algorithmus zur Prognose der zukünftigen Rentabilität. Dieses Zwischenresultat wird anschliessend durch die Entwicklungsfaktoren gewichtet (siehe Abbildung 2).

Abb. 2: Einflussgrössen für die Berechnung des Customer Lifetime Value (vereinfacht)


Abb. 2: Einflussgrössen für die Berechnung des Customer Lifetime Value (vereinfacht)


4. Erkenntnisgewinne und Einsatzbereiche

Mit der Berechnung des CLV hat PostFinance verschiedene Erkenntnisse gewonnen:

  • Mit dem CLV wurde das erste Mal eine Grössenordnung für den Wert des Kundenstamms von PostFinance erarbeitet. Die Kommunikation dieser Grössenordung wie auch ihrer Veränderungen helfen, die Anstrengungen im Marketing, in den Filialen und im Kundenservice sichtbar zu machen.
  • Die Faktoren, die in den CLV einfliessen, zeigen, welche Veränderungen des CLV mit einer Investition in einen der Faktoren erreicht werden können. Je genauer die Prognose des CLV zutrifft, desto besser weiss PostFinance, welche Faktoren sie operativ beeinflussen müssen, damit eine maximale Steigerung des CLV eintritt.


PostFinance setzt den CLV heute und in Zukunft in den folgenden Fachbereichen ein:

  • Das Marketing nutzt den CLV zur Verfeinerung der bestehenden Kundensegmentierung, die bisher auf soziodemographischen Kriterien und vergangenheitsorientierten Kennzahlen beruhte. Das Marketing erhält eine Kennzahl, um seine Aktivitäten auf die einträglichsten Kunden zu konzentrieren. Zukünftig wird der CLV Bestandteil der Erfolgsrechnung im Marketing. Erfolgreiche Marketingaktivitäten bewirken eine Steigerung des CLVs.
  • Die Filialen arbeiten in der Beratung vor allem mit den Produktescores, welche die Kaufwahrscheinlichkeiten für Produkte angeben. Der CLV dokumentiert die Verkaufsanstrengungen der Mitarbeitenden langfristig und umfassend und dient den Filialen somit zur Kontrolle ihrer Beratungs- und Verkaufsleistung. Der kurzfristigen Steigerung der Verkäufe auf Kosten der Beratung und der Kundenbeziehung wirkt der CLV entgegen.
  • In der Unternehmensentwicklung nutzen die Abteilung Strategie und Kooperationen den CLV für Szenarien, die Kennzahl fliesst in die Balanced Scorecard der PostFinance ein und der CLV der bestehenden Kunden hilft der Marktforschung, sich auf potentielle Kunden zu konzentrieren, die den bestehenden Kunden mit hohen CLVs ähnlich sind.


Der Beitrag des CLVs zum Aufstieg zur drittgrössten Finanzdienstleisterin lässt sich auf Grund der unzähligen Einflussfaktoren auf diese Ziel kaum messen. Der Erkenntnisgewinn sowie die Messbarkeit der zukünftigen Kundenrentabilität sind in einem informations- und wissensintensiven Wettbewerbumfeld aber zweifellos von grossem Nutzen.


„Mit dem CLV haben wir eine zukunftsgerichtete Kennzahl, die die strategischen Entscheide unterstützt und die Auswirkungen operativer Massnahmen dokumentiert.“
Thomas Meyer





(1) Interview mit PostFinance-Leiter Jürg Bucher in Finanz&Wirtschaftk, 23.06.2007


Owner/s of the solution

PostFinance AG
Thomas Meyer, Leiter DWH und Data Mining
Industry: Banks/Insurance companies/Full-service finance
Company size: large-scale enterprisePostFinance AG

Solution partner/s

Christiane Okonek, Head of Analytics
rbc Solutions AG

Case study author/s

Norman Briner
Sieber & Partners

01. November 2007
Nicole Scheidegger; Pascal Sieber; Marc André Hahn; Norman Briner; Alfred Bertschinger; Gerrit Taaks: Die Organisation des E-Business VII: Reengineering the Value Chain; Fallstudien über den Einsatz der Informatik und der Telekommunikation zur Neugestaltung der Business Value Chain. Dr. Pascal Sieber & Partners AG; Bern 2007

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1754
postfinance-rbc
https://www.experience-online.ch/de/9-case-study/1754-postfinance-rbc
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