Die virtuelle Schreinerei (Koncraft-Manufakturen)

15. September 2002



Unter dem Projektnamen Koncraft-Manufakturen haben sich vier Schreinereien aus Baden-Württemberg zusammengeschlossen. Wir verpflichten uns, unsere Planungen nach einem gemeinsamen Standard durchzuführen und uns diese Daten gegenseitig zur Verfügung zu stellen. Wir nutzen das Internet zur Kommunikation, zum Datenaustausch und zur gemeinsamen Ablage der Daten. Das Internet soll möglichst effizient genutzt werden um den gemeinsamen Geschäftserfolg sicherzustellen.


1. Hintergrund

Der Marktdruck zwingt Handwerksbetriebe dazu, die ausgesprochen zeitintensive Planung und Fertigung individueller Kundenlösungen zu optimieren. Jeden Tag wird in Schreinereien teure Planungsarbeit geleistet, die nicht im angemessenen Verhältnis zum Produktionsaufwand und Ertrag steht. Bei der nächsten Aufgabenstellung sind u.U. völlig neue Lösungen gefragt, die wiederum aufwändig erarbeitet werden. Um sich dem Preisdruck zu entziehen, sind neben individuellen Lösungen auch höchste Qualitätsmassstäbe zu erfüllen. Die dazu nötigen Maschinen erfordern hohe Investitionen. Um diese wirtschaftlich einsetzen zu können, ist eine hohe Auslastung erforderlich. Diese ist, bedingt durch die Größe der Betriebe, nicht zu erzielen. Das Wissen wird ein immer bedeutenderer Faktor für eine erfolgreiche Betriebsführung. Neue Materialien, Halbfertigprodukte, Erkenntnisse und Lösungsansätze kommen in immer kürzeren Zeitintervallen auf den Markt. Es ist für einen Kleinbetrieb schwierig alle diese Daten zusammenzutragen und effizient zu verwalten.


2. Lösungsansatz: Kooperation

Wir sind bei der Gründung der Koncraft-Manufakturen von folgenden Überlegungen ausgegangen:


Ein Produkt, das individuell geplant und gefertigt wurde, wiederholt sich in ähnlicher Form im Laufe eines Arbeitslebens. Wenn man die Planungsunterlagen von mehreren Betrieben zusammenlegt und sich diese gegenseitig zur Verfügung stellt, wächst die Wahrscheinlichkeit, bei einem neuen Auftrag auf eine erprobte Planung zurückgreifen zu können.


Wenn sich mehrere Betriebe beim Einkauf von Produktionsmitteln miteinander absprechen und diese gemeinsam nutzen, kann die Auslastung verbessert und der Investitionsbedarf gesenkt werden. Durch die Spezialisierung auf bestimmte Produktionsverfahren kann die Fertigkeit gesteigert werden.


In einer Kooperation haben die Betriebe unterschiedliche Interessensschwerpunkte.
Wenn die Beteiligten bereit sind, ihr Wissen den anderen zur Verfügung zu stellen,
entsteht ein Wissenspool, den weder ein Mitarbeiter noch ein Betrieb zusammentragen könnte.


Durch die räumliche Entfernung der Betriebe ist eine Kooperation auf hohem Niveau möglich, da zwischen den Beteiligten keine Konkurrenzsituation besteht. Die Entfernungen spielen dank Internet eine untergeordnete Rolle.


3. Entwicklung

Konstruktionskriterien:
Zuerst wurden die Konstruktionskriterien für Möbel angeglichen und ein gemeinsamer Konstruktionsstandard entwickelt, der die Produktion erleichtert und vereinheitlicht, ohne die gestalterischen Freiheiten einzuschränken. Schon die Umsetzung dieser optimierten Konstruktionsstandards führte innerhalb der Betriebe zu einer erheblichen Verbesserung der Leistungsfähigkeit und zur Reduzierung der Einzelstückkosten.


Beschläge- und Material-Standards:
Die Festlegung auf Beschläge- und Material-Standards ermöglichte den gemeinsamen Auftritt gegenüber Lieferanten mit erheblichen Preisvorteilen.


Software:
In einem zweiten Schritt wurden die "Planungs- und Konstruktions-Werkzeuge" d.h. Hardware und Software (bis hin zu den Versionsnummer.) angeglichen, bzw. in einigen Betrieben erst eingeführt. Dies ist vor allem für den reibungslosen Austausch der Daten unabdingbar.


Interne Schulungen:
Interne Schulungen in der Anwendung der Programme wurden und werden von den jeweiligen "Spezialisten" innerhalb der "virtuellen Schreinerei" durchgeführt. Die "Spezialisten" stehen auch als "interne hotline" im Alltag zur Verfügung. Seit Januar 2002 wird eine E-Learning Plattform gemeinsam genutzt. Dies ermöglicht uns, die Programme anschaulich für jeden ablaufen zu lassen, die Fragen in Echtzeit visuell und akustisch zu beantworten. Zudem hat es den Vorteil, dass die Schulungen sehr spontan und kurzfristig eingesetzt werden können. Die ansonsten anfallenden Fahrtzeiten und Kosten entfallen, was zur erheblichen Kostenreduzierung führt.


Gemeinsames Büro im Internet:
Um einen effektiven Austausch der Daten gewährleisten zu können, wurde eine gemeinsame Ablage, in Form eines Extranets geschaffen, "unser gemeinsames Büro im Internet". Damit war gewährleistet, dass jeder Beteiligte zu jeder Zeit an jedem Ort auf die gemeinsamen Daten Zugriff hat und diese benutzen bzw. ergänzen kann. Einzige Voraussetzung ist ein Internetzugang sowie ein gewöhnlicher Internet Browser.


4. Nutzen für die Beteiligten und Kunden

Der Nutzen lässt sich schon in den Betriebszahlen ablesen. Alle vier Betriebe konnten den Umsatz pro Mitarbeiter steigern. Es gibt noch Unterschiede, die aber auf den unterschiedlichen Ausgangspositionen beruhen. Wir gehen davon aus, dass sich der Rationalisierungseffekt noch steigern lässt.


Gemeinsame Planung:
Durch die gegenseitige Nutzung bereits geleisteter Planungsarbeit in den Partnerbetrieben und durch die Aufgabenteilung zwischen den Betrieben, ist es möglich geworden, innerhalb der "virtuellen Schreinerei" Projekte umzusetzen, die von einzelnen Betrieben dieser Grössenordnung nicht zu leisten wären. Ein Beispiel dafür ist die Erarbeitung eines eigenen Küchenprogramms, der Koncraft Küche®: Für eine optimale Küchenplanung und Arbeitsvorbereitung braucht man folgende Werkzeuge: 3D Software/Präsentationszeichnung für den Kunden, CAD/Fertigungszeichnung, CNC-Programme, um die Maschinen zu steuern, Stücklistenprogramm mit Zuschnittoptimierung für Zuschnitt und Bestellung.


Um diese Werkzeuge optimal zu nutzen, bedarf es umfangreicher Bibliotheken. Innerhalb von Koncraft wurde die Arbeit geteilt. Die jeweiligen Spezialisten erstellten ihre Bibliotheken. Die Daten wurden auf unserem Internetserver zusammengetragen. So entstand innerhalb eines Jahres eine komplette Küchenbibliothek, die von der Planung bis zur Fertigung alle Schritte umfasst. Die Bibliothek beinhaltet das Wissen und die Erfahrung mehrerer Betriebe mit teilweise 20-jähriger Praxis im Küchenbau, und sie wächst täglich weiter. Jedes neue Möbelstück, das entworfen wird, wird vom Planer auf dem Server abgelegt und den anderen zur Verfügung gestelt. Die Bibliothek umfasst eine grössere Modellvielfalt als die meisten Industrieküchen anbieten.


Gemeinsames Marketing:
Mit dem gemeinsamen Marketing für diese Küche soll sie als eigene "Marke" installiert werden. Gemeinsame Messeauftritte erhöhen den Effekt und mindern den Aufwand für den Einzelnen.
(Gemeinsam wurden Ausstellungsküchen und Ausstellungssystem gefertigt und genutzt). Terminabstimmung/Belegungsplan erfolgt mittels eines Ressourcenkalenders über das Internet. Gemeinsame Homepage, auf welcher der Name und die Marke vorgestellt und Kommunikation angeboten wird.


Internet als Werbeplattform:
Neben der Standard-Werbemöglichkeiten des Internets in Form einer Web-Seite, nützen die Koncraft Betriebe weitere Möglichkeiten. Zum Beispiel können sich die Kunden auf dem Rechner des jeweiligen Planers einloggen und gemeinsam mit ihm die Küche planen. Dazu werden zwei verschiedene Software-Versionen benutzt: die einfache Variante ist ein Freeware-Programm, das ursprünglich zum Fernsteuern von Computern entwickelt wurde. Der Kunde braucht lediglich einen Internet-Browser sowie eine freie Telefonleitung zum Kommunizieren.


Die andere Variante ist die E-Learning Software. Diese Möglichkeit ist komfortabler, da der Kunde visuell und akustisch über Internet kommunizieren kann. Der Nachteil ist, dass ein Client heruntergeladen werden muss. Diese Variante hat den Vorteil, dass mehrere Personen gleichzeitig miteinander die Planung anschauen und in diese eingreifen können.


Einige Koncraft Mitglieder bieten ihren Kunden die Möglichkeit, den Produktionsablauf ihres Auftrags via Internet anschauen zu können. Dies hat sich als ein sehr einfaches und doch effizientes Werbemittel erwiesen.


Umsetzung von Ideen:
Auch die Entwicklung neuer Teile, bzw. die Umsetzung von Ideen wird beschleunigt. Ideen werden oft aus Mangel an Erfahrung, an Kapazität oder an Zeit, nicht umgesetzt. In der Kooperation kommt es vor, dass Ideen, die der eine äussert von anderen kommentiert werden mit: "Das hab ich schon probiert, so funktioniert das nicht" oder: "das ist eine gute Idee. Ich habe Zeit und kann das gleich mal ausprobieren". Beides kann die Umsetzung einer Idee beschleunigen. Dadurch, dass die Umsetzung der Ideen in jedem Stadium der Entwicklung von den anderen via Internet eingesehen werden kann, werden oft Fehlentwicklungen vermieden.


Einkaufskonditionen:
Durch die gemeinsamen Beschläge und Materialstandards kann jeweils der Umsatzstärkste mit den jeweiligen Lieferanten für die ganze Gruppe verhandeln und so gute Einkaufskonditionen für alle erreichen.


Interne Fortbildung und der Austausch von know-how:
Die interne Fortbildung und der Austausch von Know-how ermöglichen auf sehr günstige Weise einen schnellen Wissenszuwachs in der ganzen Gruppe.

  • An Schulungstagen haben diejenigen, die sich mit einem der gemeinsam gewählten Softwareprogramme auskannten, die anderen damit vertraut gemacht und unterstützen sie darin im Alltag als "hotline".
  • Die Kenntnisse im CNC-Bereich, die bei einem Betrieb vorhanden waren, konnten als Unterstützung dienen, um bei einem zweiten Betrieb die CNC-Technik einzuführen.


Gegenseitige Kapazitätsauslastung:
Auch Möglichkeiten der gegenseitigen Kapazitätsauslastung werden rege genutzt. Betriebe ohne CNC-Maschine lassen, bei eigener guter Auslastung, die Teile der Küchen auf der CNC-Maschine des anderen Betriebs fräsen. Auch ganze Aufträge werden bei zu grosser Auslastung eines Betriebs an einen mit weniger Auslastung weitergegeben. Sondermaschinen wie Vakuumpresse werden in Abstimmung gekauft und gemeinsam genutzt. Die Zeitplanung, Austausch der auftragsrelevanten Daten, Belegung der Maschinen und der Stand der Bearbeitung werden über unsere internetbasierte Datenbank abgewickelt.


Grosse Aufträge, die einen Einzelbetrieb überfordern würden, werden gemeinsam abgewickelt.


Flexible Arbeitsplatzwahl:
Zum Teil wird das Internet dazu benutzt, um von zu Hause die Arbeit im Büro zu erledigen. Als Beispiel ermöglichte dies einem Geschäftsführer der Freien Holzwerkstatt, ein Jahr lang die Erziehung seines Kindes zu übernehmen und trotzdem wichtige Planungsarbeit für den Betrieb zu leisten. Dafür wurde der Betrieb mit dem Bundespreis familienfreundlicher Betrieb ausgezeichnet.


Kundennutzen:
Der Kunde bekommt so:

  • Ein sehr durchdachtes und ausgereiftes Küchen- und Schranksystem, in das das Know-how von 5 Schreinereien eingeflossen ist.
  • Individuell geplante und gefertigte Küchen und Möbel mit einem hervorragenden Preis-Leistungsverhältnis und Design
  • Einen "Produktpass" mit Volldeklaration der verwendeten Materialien
  • Ein gemeinsames Qualitätsmanagement und Qualitätsversprechen
  • Eine absolute Termintreue
  • In Notfällen extrem kurze Lieferfristen

5. Technik (Aufwand)

Als Server wurde ein Rechner mit 256MB RAM und einem Celeron Prozessor mit 400 Mhz eingesetzt. Auf dem Server ist das Betriebssystem Microsoft Windows NT4 installiert. Folgende weitere Kosten fielen an:

  • Anbindung an das Internet duch die Firma Equinoxe Freiburg: 125,-- EUR/Monat (beinhaltet auch die Platzierung eigener Webadressen z.B. Koncraft.de, Rumpf.de)
  • Datenbank: Intrex von United Planet Freiburg: 1000,-- EUR für 20 gleichzeitige Benutzer. Auf der Benutzerseite ist nur ein normaler Internet Browser notwendig.
  • Servenbetreuung via Internet und Planung mit Kunden: Programm VNC, Freeware.
  • E-Learning und Planung mit Kunden: CENTRA SYMPOSIUM, Abrechnung nach Benutzungsdauer.



Bei der Umsetzung wurde darauf geachtet, dass die Komponenten einfach zu bedienen sowie stabil und kostengünstig sind. Es wurden verschiedene Lösungsansätze ausprobiert. Die von uns gewählten zeichnen sich durch die oben genannten drei Eigenschaften aus. Wir sind der Ansicht, dass jeder Handwerker mit etwas Computer-Basiswissen, ein solches System erstellen kann.


6. Bedeutung des Projektes für die Branche und den Markt

Zieht man das öffentliche, Branchen-, Medien- oder"Handwerks"-Interesse als Indiz für die Bedeutung unseres Projektes heran, dann kann man nur zu dem Schluss kommen, dass unser Vorgehen, unsere Ergebnisse und unsere Visionen für das Handwerk, die Schreinerbranche und deren Märkte im Besonderen, aber auch für den allgemeineren Bereich kleine Unternehmen und I&K Technologien Vorbildcharakter hat. Es steht völlig ausser Frage, dass die wertvollsten Ressourcen in einem Unternehmen, und gerade in einem kleinen Handwerksbetrieb, immer mehr die "verfügbare Zeit", das Wissen und die Erfahrung sind, deshalb so wertvoll, weil nicht beliebig vermehrbar. In unserem Projekt ist es nun gelungen, genau diese Ressourcen bezogen auf den Einzelbetrieb deutlich zu steigern - mit überwältigendem Erfolg (In der Sprache der Industrie würde man unser Projekt Koncraft-Manufakturen als eine strategische Allianz bezeichnen). Die Übertragbarkeit auf unsere Branche, aber auch auf viele andere Handwerksgewerke ist gegeben, wenn die Grundvoraussetzungen Kooperationsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit gegeben sind. Die neuen I&K Technologien erweitern das Spektrum von Kooperationen ungemein. Unser Herzstück, die zentrale internetbasierte Datenbank wäre bis vor kurzem unter vertretbaren ökonomischen Bedingungen nicht möglich gewesen. Das Hauptproblem bei Branchenkooperationen, die Konkurrenzsituation der Partner untereinander, ist durch die geografische Unabhängigkeit durch die I&K Technologien kein Thema mehr, sondern kehrt sich durch eine gemeinsame Marktbearbeitung in das Gegenteil um. Unser Projekt kann zu einem Beispiel dafür werden, wie durch die Ressourcen Wissen, unternehmerische Kreativität und ein über den Tellerrand und das Betriebstor Hinausschauen gerade kleine dezentrale mitarbeiterorientierte Unternehmen zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.


Owner/s of the solution

Koncraft Manufakturen
Hartmut Lempp, Mitinitiator und Geschäftsführer der Freien Holzwerkstatt
Industry: Wood processing/Paper and cardboard
Company size: Medium-sized enterpriseKoncraft Manufakturen

Solution partner/s

Wolfgang Schuler, Geschäftsführer Equinoxe
Equinoxe Internet Galerie GmbH
United Planet GmbH
United Planet GmbH
Bechtle direkt GmbH, Intranet und Schulungen
Bechtle direkt GmbH

Case study author/s

Hartmut Lempp
Freie Holzwerkstadt
Josef Rumpf
Holzwerkstätte Rumpf

15. September 2002
Erstpublikation

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1780
koncraft
https://www.experience-online.ch/de/9-case-study/1780-koncraft
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