e+h Services AG: E-Business-Integration mittels Einführung eines zentralen ERP-Systems
Das Handelsunternehmen e + h Services AG spricht seine Kundengruppen (Detailhandel, Grosskunden, Handelsunternehmen) über verschiedene E-Business-Kanäle an. Die Kunden können Aufträge beispielsweise über den Webshop, einen elektronischen Marktplatz oder eine Barcode-Erfassung elektronisch an e+h übermitteln. Voraussetzung für die rentable Umsetzung dieser Multi-Kanal-Strategie ist ein integriertes ERP-System. Diese Fallstudie beschreibt, wie die Einführung des ERP-Systems Microsoft Dynamics AX (vormals Axapta) dem Unternehmen ermöglichte, den Prozess der Auftragsabwicklung effizient zu gestalten und auf zukünftige Anforderungen von Kunden und Geschäftspartnern hinsichtlich elektronischer Integration und Automatisierung flexibel reagieren zu können.
1. Das Unternehmen
Die e + h Services AG (e+h) ist das führende Handelsunternehmen der Schweiz für Markenartikel aus den Bereichen Haushalt und Werkzeug. e+h sieht sich an der Schnittstelle zwischen Produzent und Detailhandel.
Hintergrund, Branche, Produkt und Zielgruppe
Der Ursprung von e+h geht auf das Jahr 1931 zurück, als die EDE-Einkaufsgenossenschaft, eine Selbsthilfeorganisation des Schweizerischen Eisenwarenhandels, in Zürich gegründet wurde. Nach einer wechselvollen Geschichte führte Ende der 1990er Jahre ein Management Buy-Out zur Gründung der e + h Services AG. In den letzten Jahren wurde die Marktposition des in Däniken ansässigen Unternehmens durch den Ausbau des Leistungsangebots und durch strategische Partnerschaften gestärkt.
Als Handelsunternehmen für Markenprodukte aus den Bereichen Haushalt/Geschenke/Gartenmöbel sowie Werkzeug/Beschläge/Gartentechnik liegen die Kernleistungen der e+h in Produktmanagement, Logistik und Marketing. Der Fokus dieser Fallstudie liegt im Produktmanagement, besonders in der Bearbeitung von Kundenaufträgen und der Disposition.
Für über 800 Lieferanten und Markenproduzenten ist e+h als Generalvertretung oder Vertriebspartner für die Schweiz tätig. Beispiele für Partner im Bereich Haushalt sind blomus, LANDERT und RÖSLE; im Bereich Werkzeug können hierfür Alba, Huber und PB Baumann genannt werden. Die Kundenstruktur der e+h ist heterogen. Kundengruppen sind Detailhändler (z.B. Haushaltswarengeschäfte, Eisenwarenhändler, Möbelhäuser), Grosskunden (z.B. Coop, Migros, Jumbo) und andere Handelsunternehmen. Im Endkundengeschäft ist e+h nicht aktiv.
Die 155 Mitarbeitenden der e+h sind meist schon länger als 10 Jahre im Unternehmen tätig. Knapp die Hälfte der Mitarbeitenden arbeitet in der Logistik, die andere Hälfte ist in der Verwaltung tätig. Im Jahr 2005 hat e+h einen Umsatz von 170 Mio. CHF erwirtschaftet. Im Lager der e+h befinden sich durchschnittlich 40'000 Artikel.
Die Herausforderungen im Wettbewerb der e+h ähneln denen des Lebensmittelhandels [vgl. Lüthy 2005]. Globalisierung und zunehmende Konkurrenz aus dem Ausland verschärfen den Wettbewerb. Sinkende Margen sind die Folge. Ziel der Handelsunternehmen ist es, den steigenden Anforderungen der Kunden an eine effiziente und effektive Abwicklung der Bestell- und Logistikprozesse gerecht zu werden. In den Bereichen Haushalt und Werkzeug macht sich für e+h ausserdem die zunehmende Orientierung vieler Konsumenten hin zu Billigprodukten bemerkbar. Der Handel ist geprägt von kürzeren Produktinnovations-Zyklen und immer differenzierteren Produkten.
e+h begegnet diesen Herausforderungen durch eine konsequente Orientierung auf Marken und Qualitätsprodukte und will sich so bewusst von Billiganbietern abgrenzen. Durch ihr breites Sortiment kann e+h dem Wunsch der Kunden nach Konzentration auf wenige Lieferanten entgegenkommen. e+h unterstützt die Prozesse ihrer Kunden mit vielfältigen Services wie z.B. kundenindividuellen Logistikdienstleistungen, Erstellung von Medien (z.B. Kataloge, Prospekte) für Fachhändler und Unterstützung bei der Präsentation der Produkte im Geschäft.
Unternehmensvision
Die e + h Services AG setzt bewusst auf eine Markenstrategie und hat sich das Ziel der Qualitätsführerschaft gesetzt. Für das Unternehmen stehen Markenprodukte für Qualität und Nachhaltigkeit und unterstützen daher Vertrauen und Loyalität der Endkunden. e+h legt grossen Wert auf ihre Partner, was sich auch in den Leitgedanken widerspiegelt:
Der Name e+h steht als Gütesiegel zwischen Produktion und Handel und bietet Gewähr für Qualität, Verlässlichkeit und Professionalität. Wir handeln ausschliesslich Markenprodukte und übernehmen für unsere Partner die Beschaffung, logistische Abwicklung und das professionelle Marketing. Unsere Ziele sind Wirtschaftlichkeit, neue Märkte und Handlungsfelder.
Stellenwert von Informatik und E-Business
IT und E-Business haben einen sehr hohen Stellenwert bei e+h. Ohne IT-Unterstützung würde das Unternehmen schlichtweg nicht mehr funktionieren. (Informations-)Technologie hilft, Arbeitsabläufe effizienter zu gestalten. Ende der 1990er Jahre erkannte e+h, dass die Bedeutung der elektronischen Anbindung von Geschäftspartnern zukünftig steigen würde und begann die IT darauf vorzubereiten. Heute ist die Vision Realität und E-Business notwendig, um auf die Anforderungen von Kunden und Lieferanten nach mehr Automatisierung und Integration reagieren zu können. Zukünftig möchte e+h Lieferanten und Kunden auch aktiv auf die Möglichkeit der elektronischen Kooperation aufmerksam machen.
2. Der Auslöser des Projekts
Ausgangslage und Anstoss für das Projekt
Die bei e+h eingesetzten, selbst entwickelten IT-Anwendungen für Buchhaltung, Disposition, Logistik und Warenwirtschaft deckten die Anforderungen der Nutzer zu fast 100 % ab. Wenn eine neue Funktionalität benötigt wurde, implementierten die internen Programmierer diese. Zunehmend wurden jedoch die Nachteile der Individualsoftware augenscheinlich, vor allem im Hinblick auf fehlende Unterstützung der E-Business-Aktivitäten und mangelnde Flexibilität in Bezug auf neue Marktanforderungen. Die auf AS/400 basierte Lösung war technologisch veraltet, die einzelnen Module untereinander nicht integriert. Prozessineffizienzen, wie z.B. durch Medienbrüche verursachte lange Durchlaufzeiten, Fehleranfälligkeit und unnötige Doppelarbeiten, ein hoher Koordinationsaufwand sowie eine umständliche Informationsbeschaffung waren die Folge.
Die Geschäftsleitung entschied daher, ein neues, integriertes ERP-System einzuführen. Das Unternehmen erstellte einen Anforderungskatalog und evaluierte verschiedene Lösungen. Nach der Entscheidung für Microsoft Dynamics AX (das Produkt hiess bis Anfang 2006 Microsoft Axapta) vom Anbieter Microsoft Business Solutions wurden Ressourcen und Mittel für ein Implementierungsprojekt bereitgestellt.
Vorstellung der Geschäftspartner
Das Einführungsprojekt des ERP-Systems Microsoft Dynamics AX wurde in enger Zusammenarbeit mit der APOS Informatik AG durchgeführt.
APOS Informatik AG, Implementierungspartner
Die APOS Informatik AG (Däniken, Schweiz) ist Microsoft Business Solutions Certified Partner und realisiert auf Basis von Microsoft Dynamics AX (vormals Axapta) massgeschneiderte, betriebswirtschaftliche Informatiklösungen für mittelständische Unternehmen. APOS wurde 1981 gegründet. Die mehr als 150 Kunden werden von 20 zertifizierten Beratern und Softwareentwicklern betreut. Das hier vorgestellte Projekt wurde im Geschäftsfeld Business Solutions realisiert, welches sämtliche Dienstleistungen rund um die Implementierung und Betreuung von Microsoft Dynamics AX anbietet. APOS hat für e+h bereits vor dem Projekt Dienstleistungen im Bereich Hardwaresupport erbracht.
3. Abwicklung von Kundenaufträgen mit Microsoft Dynamics AX
Die e + h Services AG agiert als Intermediär zwischen Produzent und Detailhandel. Nachfolgend werden primär die kundenseitigen Geschäftsbeziehungen beleuchtet.
Geschäftssicht und Ziele
Mit einem Grossteil ihrer Kunden schliesst e+h Rahmenverträge ab. Spätere Verhandlungen beziehen sich auf Änderungen des Sortiments, Sonderaktionen oder Saisonware. Die Kunden können ihre Bestellungen über verschiedene Kanäle übermitteln. Kleinere Kunden wählen den Weg der Faxbestellung oder rufen das Call Center an (ca. 60 % der Bestellungen). 40 % der Bestellungen (enthalten ca. 80 % der Bestellpositionen) gehen über einen der drei elektronischen Kanäle ein:
- Der eigene Webshop eh-live wird von kleinen und mittleren Kunden genutzt. e+h bietet hier hauptsächlich Haushaltsartikel an.
- nexMart ist ein Online-Marktplatz für den Fachhandel in den Bereichen Eisenwaren, Werkzeuge, Beschläge und Baustoffe. Vor allem Eisenwarenhändler nutzen nexMart zur Auftragsvergabe. Neben e+h bieten noch andere Handelsunternehmen und Markenlieferanten Produkte über nexMart an.
- Barcode-Erfassung. Mit DENSO-Lesegeräten lesen Fachhandelskunden den Barcode der zu bestellenden Ware ein, ergänzen die Bestellmenge und übermittelt die Aufträge elektronisch an e+h.
Elektronisch eingegangene Aufträge werden maschinell und die anderen manuell im ERP-System erfasst. Rund 600 Bestellungen gehen pro Tag bei e+h ein. Sind die Aufträge fehlerfrei, so wird eine Lagerbestandsprüfung durchgeführt. Dem Kunden wird der voraussichtliche Liefertermin in der Bestellbestätigung mitgeteilt. Ist die Ware am Lager, so wird sie für den Kunden reserviert. Andernfalls wird im Rahmen der Disposition eine Bestellung beim Produzenten ausgelöst.
Die meisten Kunden werden regelmässig bis zu zweimal pro Woche beliefert. Am Vortag der Lieferung wird die Ware im Lager kommissioniert und zu Sendungen zusammengestellt. Die eigentliche Auslieferung übernimmt in der Regel ein Logistikdienstleister. Bei dringenden oder ausserplanmässigen Bestellungen erfolgt der Versand auch über einen Paketdienst (ca. 150 Pakete pro Tag). Grosskunden werden entsprechend ihren speziellen Wünschen beliefert. Rechnungen an Kunden werden per Post versandt, auch Eingangsrechnungen sind immer papierbasiert.
Parallel zum Prozess der Auftragsabwicklung führt der Produktmanager die Bedarfsplanung durch. Nach dem Vergleich von Auftragsdaten, Reservationen und Lagerbestand und löst er ggf. Bestellungen aus. Diese werden überwiegend per Fax übermittelt. 20 % der Bestellungen (enthalten 70-80 % der Rechnungspositionen) gehen per E-Mail in proprietären Datenformaten an die Lieferanten.
Die folgenden Ausführungen beschreiben die elektronische Unterstützung des Prozesses zur Kundenauftragsabwicklung. Abb. 1 zeigt den Ablauf „typischer“ Geschäftsbeziehungen mit Detailhandelskunden.
Abb. 1: Abwicklung eines typischen Kundenauftrags
Angesichts immer kleiner werdender Margen stand bei e+h die Effizienz interner Geschäftsprozesse bei der Einführung von Microsoft Dynamics AX im Mittelpunkt. Daneben sollte eine moderne Plattform zur Unterstützung der E-Business-Aktivitäten geschaffen werden. Eine integrierte Abwicklung von Auftragsbearbeitung, Buchhaltung, Lagerbewirtschaftung und Logistik war das Ziel. Die Funktionalität des alten Systems sollte dabei so weit wie möglich erhalten bleiben. Für den Bereich der Lagerbewirtschaftung wurden zwei Add-On-Lösungen der Firma Inform eingeführt: add*ONE ist eine Applikation zur Disposition und Bestelloptimierung, INVENT rationalisiert die Inventur durch Stichprobenverfahren.
Prozesssicht
Der Prozess der Kundenauftragsbearbeitung [Auftrag] wird in Abb. 2 vorgestellt. Er zeigt auf, wie die neue ERP-Lösung e+h dabei unterstützt, möglichst viele Kunden elektronisch anzubinden und die internen Prozessabläufe effizient zu gestalten.
Abb. 2: Prozess Kundenauftragsbearbeitung bei e+h
Die elektronisch eingehenden Aufträge werden zunächst an eine Schnittstellenplattform bei e+h gesendet. Die Schnittstellenplattform konvertiert die heterogenen Auftragsformate in ein von Microsoft Dynamics AX verarbeitbares Datenformat und sendet sie realtime an das ERP-System. Dort werden sie automatisch erfasst. Alle anderen Aufträge (Fax, Telefon) werden im Call Center manuell erfasst. Microsoft Dynamics AX nimmt eine Prüfung der Aufträge vor und bucht fehlerfreie Aufträge ein. Bei ca. 5 bis 10 % der Aufträge ist aufgrund von Unstimmigkeiten ein manueller Eingriff erforderlich (z.B. wegen fehlgeschlagener Bonitätsprüfung oder falsch gewähltem Versandweg).
Der Produktmanager führt die Disposition mit add*ONE durch. Im Bedarfsfall löst er eine Bestellung beim Produzenten aus. Ist die Ware am Lager verfügbar, wird sie kommissioniert und zu Lieferungen zusammengestellt. Der Versand erfolgt durch einen Transportdienstleister. Anschliessend erfolgt die Fakturierung.
Anwendungssicht
Eine Vielzahl von Anwendungen ist aufgrund der bereitgestellten elektronischen Kanäle an der Auftragsabwicklung beteiligt (vgl. Abb. 3). Im Mittelpunkt steht das ERP-System Microsoft Dynamics AX. Es deckt alle Funktionen ab, die e+h zur Auftragsbearbeitung, Logistik und Buchhaltung benötigt. Microsoft Dynamics AX ist das Basissystem für Artikel-, Kunden-, Auftrags- und Lagerbestandsdaten. Auch die verschiedenen externen Schnittstellen werden darüber gesteuert.
Abb. 3: Anwendungslandschaft der e+h zur Unterstützung der Kundenauftragsbearbeitung
Kunden, die ihre Bestellungen über die Barcode-Erfassung aufgeben, verfügen über DENSO-Lesegeräte. Die im Lesegerät gespeicherten Informationen (Codes und Bestellmengen) werden am PC in eine spezielle Software eingelesen. Anschliessend überträgt der Benutzer die Bestelldaten über eine Modem-Modem-Verbindung an die Schnittstellenplattform bei e+h.
Der Webshop eh-live wird von einem Dienstleister betrieben. Wöchentlich werden die Artikelstammdaten aktualisiert, indem neue und veränderte Daten aus Microsoft Dynamics AX extrahiert und über eine Internetschnittstelle an den Webshop übermittelt werden. Die von den Kunden aufgegebenen Bestellungen werden per E-Mail realtime an die Schnittstellenplattform übertragen. Ähnlich funktioniert die Integration mit nexMart. Artikelstammdaten werden regelmässig an nexMart übertragen; die Bestellungen werden von der Schnittstellenplattform empfangen.
Bei der Schnittstellenplattform handelt es sich um eine von e+h auf Basis von Commerce Gateway entwickelte Anwendung. Sie ermöglicht, die verschiedenen Datenformate der eingehenden Kundenaufträge in ein einheitliches Format zu konvertieren. Die Aufträge werden in diesem Datenformat an Microsoft Dynamics AX gesendet und können dort weiterverarbeitet werden. Die Schnittstellenplattform dient ausserdem der Archivierung elektronischer Kundenaufträge.
Die Disposition wird in add*ONE durchgeführt. Basis für die Bedarfsplanung sind Kundenaufträge und andere relevante Bewegungsdaten, z.B. Lagerbewegungen, die jede Nacht von Microsoft Dynamics AX an add*ONE übertragen werden. Die Lieferantenbestellungen werden in add*ONE erstellt und an Microsoft Dynamics AX übermittelt, von wo die Bestellungen bei den Lieferanten ausgelöst werden.
Technische Sicht
Bei e+h sind die am Szenario beteiligten Systeme fast ausschliesslich über das Internet miteinander verbunden (vgl. Abb. 4). Über das Internet kommuniziert e+h mit dem Webshop und nexMart. Die Kunden greifen mit Hilfe eines Webbrowsers auf den Webshop und nexMart zu. DENSO-Kunden hingegen nutzen Modems zur Herstellung einer Dial-up Verbindung zu e+h.
Abb. 4: Technische Sicht auf die Auftragsbearbeitung
Die Microsoft Dynamics AX-Umgebung ist sowohl als 2-Tier als auch als 3-Tier-Client-Server Umgebung implementiert. Mitarbeitende, die nicht im Bürogebäude der e+h arbeiten (z.B. Lagermitarbeitende), greifen über so genannte Axapta Object Server (AOS) über einen Browser auf Microsoft Dynamics AX zu (3-Tier-Lösung). Alle anderen Mitarbeitenden greifen direkt über ihre PCs mit einem installierten Client auf die Businesslogik von Microsoft Dynamics AX zu.
4. Projektabwicklung und Betrieb
Projektmanagement und Changemanagement
Das Projekt zur Einführung einer integrierten ERP-Lösung wurde von der Geschäftsführung bei e+h initiiert. Am Projekt waren insgesamt ca. 15 Personen beteiligt. Die Verantwortung trugen je ein Projektleiter auf Seiten von APOS und e+h. Daneben waren IT-Mitarbeitende von e+h und APOS sowie pro Fachbereich (Finanzen, Vertrieb, Lager/Logistik und Einkauf) je ein „Key User“ von e+h und ein Modulexperte von APOS in das Projekt involviert.
Das Projekt begann im Januar 2003 und endete im Juni 2004 mit dem erfolgreichen Produktivstart von Microsoft Dynamics AX. Einen Überblick über die einzelnen Projektphasen gibt Tab. 2. Die Aufgaben waren zwischen den Projektmitgliedern von APOS und e+h aufgeteilt. APOS hat z.B. in der ersten Phase die Key User bei e+h geschult. Diese waren dann für die Erstellung der Anwenderdokumentation, die Schulungen in ihrem Fachbereich und einzelne Tests zuständig.
Tab. 1: Ãœberblick Projektphasen und Ergebnisse
Partnerwahl
e+h suchte mit Hilfe eines Anforderungskatalogs nach einer geeigneten ERP-Lösung und einem Partner, der die Implementierung unterstützen sollte. Das Unternehmen entschied sich für die APOS Informatik AG aufgrund deren Spezialisierung auf Logistik und Handel, sowie guter Erfahrungen mit den bisher erbrachten Dienstleistungen, enger persönlicher Beziehungen und der räumlichen Nähe.
Entstehung und Roll-out der Software-Lösung
Die APOS Informatik AG empfahl die Lösung Microsoft Dynamics AX. Die Hauptaufgabe des Projektteams bestand in der Anpassung und im Customizing der Standardsoftware, so dass die im Pflichtenheft definierten Anforderungen im ERP-System abgedeckt wurden. Nicht in Microsoft Dynamics AX verfügbare Funktionalität wurde von APOS programmiert.
Die Notwendigkeit einer Integration von Microsoft Dynamics AX in eine bestehende Applikationslandschaft bestand nicht, da das ERP-System das zentrale System bei e+h ist. Neue Applikationen wurden erst nach Projektende integriert, z.B. nexMart. Dafür wurde die Schnittstellenplattform geschaffen.
Der eigentliche Produktivstart war als „Big Bang“ konzipiert, d.h. alle Funktionen mit Wertschöpfungscharakter wurden auf einmal eingeführt, bei gleichzeitigem Abschalten der alten Systeme. Für die Migration der Altdaten (Stammdaten, Stichtagsinformation) wurden Migrationsprogramme geschrieben. Langfristige Aufträge wurden schon vor Produktivstart im neuen System eingepflegt. Bewegungsdaten (offene Posten) mussten von den Mitarbeitenden manuell eingepflegt werden.
Laufender Unterhalt
Der laufende Betrieb der Infrastruktur inkl. Wartung, Support und Sicherheit wird durch den IT-Dienstleister Netree sichergestellt. Aufgrund der hohen Bedeutung von Microsoft Dynamics AX für die betrieblichen Abläufe bei e+h wurden Vorkehrungen getroffen, um eine durchgängige Verfügbarkeit der Lösung zu gewährleisten. Tritt z.B. ein Problem auf, so wird automatisch eine SMS an die Verantwortlichen bei e+h und Netree versendet.
Im Bedarfsfall können neue Funktionalitäten in Zusammenarbeit mit APOS realisiert werden, ohne den Standardcode von Microsoft Dynamics AX zu verändern. Aktuell laufende Projekte beziehen sich z.B. auf die Realisierung des EDI-Datenaustauschs mit Grosskunden und Lieferanten und der direkten Integration von Microsoft Dynamics AX mit nexMart, um Kunden eine Echtzeit-Verfügbarkeitsprüfung pro Artikel zu ermöglichen. Für derartige Projekte steht in Microsoft Dynamics AX eine Entwicklungs- und Testumgebung zur Verfügung.
5. Erfahrungen
Nutzerakzeptanz
Microsoft Dynamics AX ist seit zwei Jahren erfolgreich bei e+h im Einsatz. Die Zufriedenheit der Nutzer (ca. die Hälfte der Belegschaft) ist nach einer kurzen Eingewöhnungsphase sehr hoch. Anfängliche Performanceprobleme konnten durch Modifikationen der Software schnell verbessert werden. Dispositionen werden nun in add*ONE durchgeführt, welches die gesamte bei e+h benötigte Funktionalität abdeckt.
Bei der alten Lösung wurden alle Anforderungen der Nutzer berücksichtigt und implementiert. Um einen erneuten Wildwuchs und eine Entfernung vom Standard zu vermeiden, wird bei Microsoft Dynamics AX bewusst nicht so verfahren. Daran mussten sich die Nutzer erst gewöhnen und so wurde die Lösung anfangs in ihren Augen teilweise auch als „Rückschritt“ betrachtet. Dafür besteht nun die Möglichkeit, Abfragen und Auswertungen auf die Datenbestände in Microsoft Dynamics AX ohne Programmierkenntnisse schnell und einfach selbständig zu realisieren.
Zielerreichung und bewirkte Veränderungen
Die Ausgangssituation liess e+h praktisch keine andere Möglichkeit, als ein integriertes ERP-System einzuführen. Die Ziele Effizienzsteigerung interner Prozesse und verbesserte elektronische Integration der Geschäftspartner konnten mit Microsoft Dynamics AX erreicht werden. Die Vorgabe, bisher unterstützte Funktionalität und Prozesse möglichst vollständig auf Microsoft Dynamics AX zu übertragen, wurde nicht realisiert. Ursprünglich sollten auch unrentable, kaum genutzte Funktionen auf das ERP-System übertragen werden, wodurch sich die e+h Implementierung weit vom Standard entfernt hätte. e+h versuchte, die von Microsoft Dynamics AX vorgegebenen Standardprozesse so weit wie möglich umzusetzen und nicht alle Sonderfälle zu implementieren.
Veränderungen
Vor allem die Integration der Buchhaltung mit Logistik und Warenwirtschaft hat zur Steigerung der Effizienz beigetragen. Mitarbeitende im Call Center haben die Möglichkeit, noch während des Kundenkontakts aktuelle Lagerbestände abzurufen und so z.B. Auskunft über den wahrscheinlichen Liefertermin zu geben. Die Möglichkeit, ad-hoc-Auswertungen auf Basis aktueller Daten zu erstellen, wird vor allem vom Management geschätzt. Die Verbesserung der Dispositionsfunktion resultiert in einer geringeren Kapitalbindung im Lager und weniger Out-of-Stock-Situationen.
Microsoft Dynamics AX wird e+h den künftigen Ausbau von E-Business-Aktivitäten erleichtern, z.B. EDI-Anbindung, elektronische Rechnungsabwicklung, Erstellung und Austausch von kundenspezifischen Auswertungen und Vendor Managed Inventory (VMI) mit Grosskunden. Auch eher intern gerichtete Projekte wie die Einführung einer Prozesskostenrechnung und eines Data Warehouses für das Management Reporting sowie die Bildung einer medienneutralen Datenbank zur Erstellung von Katalogen werden mit Microsoft Dynamics AX möglich sein.
Investitionen, Rentabilität und Kennzahlen
Die Rentabilität im Sinne eines rein monetären Kosten-Nutzen-Vergleichs stand nicht im Vordergrund des Projektes. Zur Ablösung des alten Systems gab es keine Alternative. Die verfolgten Ziele wurden erreicht und die dargestellten Veränderungen rechtfertigen die Investition aus Sicht des Unternehmens.
Aus strategischer Sicht kann als grösster Nutzen die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit gesehen werden, z.B. indem auf den Wunsch vieler Kunden nach intensiverer elektronischer Kooperation eingegangen werden kann. Ausserdem wurden zeitliche Einsparungen im Prozessablauf sowie Qualitätsverbesserungen erreicht. Eine unkontrolliert gewachsene Individualsoftware mit hohem internen Betreuungs- und Wartungsaufwand konnte durch eine flexible Standardlösung, für deren Support und Wartung viel externes Know-how verfügbar ist, ersetzt werden.
Das Gesamtprojekt hat e+h 1.6 Mio. CHF gekostet. In dieser Summe sind die Kosten für Hardware, Software und Lizenzen sowie die in Anspruch genommenen Dienstleistungen enthalten. Geht man von einer Anzahl von ca. 80 Nutzern aus, so wurden ca. 20'000.- CHF pro Nutzer investiert. Nicht eingerechnet ist die intern aufgewendete Zeit. Das Projektkernteam, bestehend aus fünf Personen, war während der 15 Monate Laufzeit zu fast 100 % mit dem Projekt beschäftigt.
6. Erfolgsfaktoren
Spezialitäten der Lösung
Durch das neue, integrierte ERP-System werden interne Prozesse effizienter abgewickelt. Es befähigt e+h zudem, auf Anforderungen der Geschäftspartner zum elektronischen Geschäftsverkehr reagieren zu können. Die laufenden Projekte zeigen, dass e+h die dargebotenen Möglichkeiten nutzt, ausbaut und die Voraussetzungen für eine langfristige E-Business-Kompetenz geschaffen hat. Der Multi-Kanal-Ansatz wird durch die Standardisierung der internen Prozessabläufe, unabhängig vom Kanal des Auftragseingangs, konsequent unterstützt.
Reflexion der „Prozessexzellenz“
Durch die Orientierung am Kundennutzen will sich e+h im Wettbewerb differenzieren. Das Interessante an dem vorgestellten Fall ist die Art und Weise, wie dies mit Hilfe eines IT-Systems realisiert wird. Kagermann und Österle [2006] identifizieren das Angebot umfassender Dienstleistungen für den individuellen Kundenprozess als ein Konzept zur langfristigen Sicherung des Markterfolgs. e+h liefert viele solche Dienstleistungen: die Etikettierung der Ware mit Logo und Preis des Kunden, die Kennzeichnung von Paletten mit SSCC-Etiketten (weltweit eindeutiger Identifikationscode für Transporteinheiten, vgl. Fallstudie MIFA) und das Erstellen von elektronischen Auswertungen über die Bestellhistorie für die Kunden. Damit tritt e+h nicht nur als reines Handelsunternehmen, sondern als Lösungsanbieterin auf. Die Voraussetzung, um diese Dienstleistungen rationell anbieten zu können, besteht in intern durchgängig integrierten Prozessen, wie sie durch das ERP-System ermöglicht werden. Die IT-Unterstützung der Kooperationsprozesse schafft zusätzlichen Wert und hilft, die Kundenbindung zu erhöhen.
Prozessverbesserungen ergaben sich bei e+h durch die Einführung von Microsoft Dynamics AX und den Add-Ons add*ONE und INVENT auch in anderen Bereichen des Supply Chain Managements. Zu nennen ist hier die verbesserte Lagerbewirtschaftung durch die Unterstützung von Disposition und Inventur.
Lessons Learned
Mit der Einführung eines integrierten ERP-Systems hat e+h die Voraussetzung geschaffen, auch zukünftig flexibel auf Marktanforderungen zu reagieren. Hervorzuheben ist hierbei die Möglichkeit, für spezifische Anforderungen geeignete Applikationen zu verwenden und diese einfach in die bestehende Systemlandschaft zu integrieren, ohne erneut Inseln zu schaffen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Integration externer Anwendungen von Geschäftspartnern.
Die Einführung einer zentralisierten Datenhaltung in Form von einem integrierten ERP-System wird häufig zum Anlass genommen, bestehende Prozesse zu hinterfragen und im Sinne eines Business Process Reengineering (BPR) neu zu gestalten [vgl. Alt 2004]. Diese Chance hat e+h anfänglich nicht genutzt, da der Fokus des Projektes zu stark auf das IT-System gerichtet war. In zukünftigen Projekten kann der Mehraufwand für ein nachträgliches Prozess-Redesign durch einen umfassenderen Ansatz [vgl. Business Engineering, Österle 1995] vermieden werden.
Als Erfolgsfaktor für derartige Projekte werden die frühzeitige Einbindung der Benutzer aus den Fachbereichen und die transparente Kommunikation des Nutzens angesehen. Dadurch kann späteren Problemen mit der Nutzerakzeptanz vorgebeugt werden. Die Wahl des IT-Dienstleisters APOS ist aufgrund der räumlichen Nähe und der Vertrautheit für das Projekt von Vorteil gewesen.