Outsourcing der Beschaffungslogistik bei der Schiesser AG

20. octobre 2004



Die Schiesser AG mit Sitz in Radolfzell ist der führende deutsche Wäschespezialist und auf dem Weg zum internationalen Marktführer im textilen „close to skin“ – Produkt-Bereich. Schiesser lagerte das Management des Beschaffungsprozesses von der Bestellung bis zur Anlieferung im Werk komplett an den Logistikdienstleister Gebrüder Weiss aus. Die Einführung einer Informationslogistiklösung erlaubt es dabei, entstehende Informationen (z.B. Bestellung, Transportstatus) zeitnah an die jeweiligen Empfänger in der Lieferkette zuzuleiten. Die Auslagerung von Logistikaufgaben unterstützt die Verkürzung der Prozesszeiten und die Reduktion von Prozesskosten. Die Einrichtung eines Supply-Chain-Leitstandes, in dem alle relevanten Informationen zusammenfliessen, ermöglicht eine effizientere Transportabwicklung und einen reduzierten Aufwand für Schiesser.


1. Unternehmen

Überblick. Die Schiesser AG mit Sitz in Radolfzell ist der führende deutsche Wäschespezialist im textilen „close to skin“ - Produkt-Bereich. Neben der eigenen Produktion der Marke SCHIESSER ist die Schiesser AG zukünftig auch verstärkt in der Auftragsproduktion für andere Marken (Private Label Geschäft) tätig.

Tabelle 1-1: Kurzportrait der Schiesser AG


Tabelle 1-1: Kurzportrait der Schiesser AG

Herausforderung im Wettbewerb. Die Produkte der Textilindustrie werden massgeblich durch kurzlebige Modetrends beeinflusst. Die Kunden eines Markenherstellers wie Schiesser legen neben der Produktqualität einen besonderen Wert auf Lieferpünktlichkeit, um die Nachfrage des Endverbrauchers schnell bedienen zu können. Zeit ist deshalb ein wesentlicher Faktor. Dies bedeutet für den Einkauf die pünktliche und kostengünstige Versorgung aller Produktionsstandorte mit den benötigten Rohmaterialien. Problembehaftete Lieferungen (z.B. verspätet, nicht in der erforderlichen Menge und Qualität etc.) können bei Schiesser Produktionsverzögerungen hervorrufen und infolgedessen die Liefertreue beeinträchtigen.

Im Rahmen des Beschaffungsprozesses werden deshalb zunächst die Lieferanten nach Produktionsgrösse, Lieferumfang und Qualität ausgewählt. Schiesser kauft Rohmaterial und textiles Zubehör aus ganz Europa ein. Das Gros der Zulieferer ist allerdings im süddeutschen Raum angesiedelt. Der Transport der Waren zu den Produktionsstandorten in Tschechien, der Slowakei und Bulgarien inklusive der Verzollung ist ein wesentlicher Bestandteil des Beschaffungsprozesses.


2. Ausgangssituation

Strategie. Schiesser plante Produktion und Einkauf zentral. Die Rohmaterialien wurden bei einer Vielzahl von Lieferanten eingekauft (Anzahl im Jahr 2000: ca. 600), von denen jeweils nur ein Teil aktiv war.

Abbildung 2-1: Kurzcharakteristik des ursprünglichen Beschaffungsprozesses


Abbildung 2-1: Kurzcharakteristik des ursprünglichen Beschaffungsprozesses

Prozess. Die Lieferanten belieferten die Produktionsstätten zum Teil direkt frei Haus (1. Prozessvariante „Direktlieferung“). Etwa 70% der Waren erhielt zunächst das zentrale Beschaffungszentrum in Radolfszell (2. Prozessvariante „Zentrales Beschaffungszentrum“). Schiesser teilte dort die Lieferungen auf die verschiedenen Produktionsstätten auf und versandte sie neu gebündelt mit unterschiedlichen Spediteuren an die einzelnen Werke. Die Zentrale bezahlte zunächst die Rechnungen der Lieferanten und verrechnete sie anschliessend mit den Töchtern. Abbildung 4-3 bildet die Prozessvariante „Zentrales Beschaffungszentrum“ ab.

Systeme. Für den Beschaffungsprozess existierte keine spezielle Systemunterstützung. Bei Schiesser hatten die einzelnen Tochterunternehmen zwar SAP R/3 Systeme, diese waren jedoch nicht miteinander verbunden. Die Beteiligten nutzten deshalb Telefon und Fax als wesentliche Kommunikationsmedien.

Abbildung 2-2: Bisheriger Beschaffungsprozess bei Schiesser vor Optimierung des Einkaufsprozesses (Prozessvariante „Zentrales Beschaffungszentrum“)


Abbildung 2-2: Bisheriger Beschaffungsprozess bei Schiesser vor Optimierung des Einkaufsprozesses (Prozessvariante „Zentrales Beschaffungszentrum“)

Leidensdruck. Der Beschaffungsprozess war zeitaufwendig und teuer:

  • Da die Ware frei Haus nach Radolfszell bzw. direkt in die Werke geliefert wurde, beauftragten die Lieferanten eine Vielzahl unterschiedlicher Transportlogistikdienstleister. Die Disposition lag bei Schiesser. Sie beinhaltete unter anderem die laufende Ãœberprüfung, ob die Lieferungen rechtzeitig zum Bedarfszeitpunkt im Werk sein konnten. Die Transportkosten lagen höher als bei einer Konzentration auf weniger Transporteure mit grossen Transportmengen, weil mögliche Mengenrabatte nicht realisiert werden konnten.
  • Schiesser behandelte die Einkaufswaren zolltechnisch. Die ins Beschaffungszentrum nach Radolfszell gelieferten Waren mussten vor ihrem Versand in die Nicht-EU-Produktionsstätten teilweise mehrfach zolltechnisch behandelt werden. Dazu gehörte auch die Erstellung von pro-forma-Rechnungen.
  • Die Lieferpünktlichkeit entsprach nicht den Anforderungen. Hohe Sicherheitsbestände in den Werken waren die Folge.
  • Die Waren- und Rechnungskontrolle lag bei unterschiedlichen Unternehmen. Die Folge war eine zeitaufwendige Abgleichung von Unstimmigkeiten.

3. Schritt 1: Reorganisation des Einkaufs

Strategie. Im Zuge einer Reorganisation des Einkaufs wurde die Bestellverantwortung zunächst auf die Produktionsstätten ausgelagert. Die Absatzpläne wurden weiterhin zentral erstellt. Der „Zentrale Einkauf“ handelte Rahmenverträge mit den Lieferanten aus. Dadurch blieben Mengenaggregationen für die Preisverhandlungen möglich.

Abbildung 3-1: Kurzcharakteristik des Beschaffungsprozesses nach Reorganisation des Einkaufs


Abbildung 3-1: Kurzcharakteristik des Beschaffungsprozesses nach Reorganisation des Einkaufs

Prozess. Der in Abbildung 3-2 dargestellte Beschaffungsprozess sah vor, dass die Produktionswerke selbst beim Lieferanten bestellten. Sie erhielten die Ware direkt geliefert, bekamen sie in Rechnung gestellt und verzollten sie. Dadurch war eine Waren- und Rechnungskontrolle vor Ort möglich. Für die Sendungsverfolgung waren die Werke selbst verantwortlich.

Schiesser verlangte von seinen Lieferanten die Erstellung der Ausfuhrdokumente. Dabei handelte es sich entweder um den sogenannten „EUR-1 Präferenznachweis“ oder um eine Ausfuhrerklärung. Diese Arbeitsschritte sind abhängig von der Dokumentenart mit einem Zeitaufwand von 10 bis 30 Minuten verbunden.

Abbildung 3-2: Beschaffungsprozess bei Schiesser nach Optimierung des Einkaufsprozesses


Abbildung 3-2: Beschaffungsprozess bei Schiesser nach Optimierung des Einkaufsprozesses

Systeme. Eine dedizierte systemtechnische Unterstützung fand zunächst nicht statt.

Leidensdruck. Trotz der beschriebenen Vorteile war insbesondere die Transportlogistik des neuen Einkaufsprozesses ineffizient:

  • Da jedes Werk die benötigten Einkaufsmaterialien selbst bestellte und direkt angeliefert bekam, fand eine Aufteilung der bisherigen Transporteinheiten (Full-Truckload-Lieferungen) in viele (teurere) Kleinsttransporte statt.
  • Durch den Wegfall der zentrale Bündelung der Lieferung an die Produktionsstätten hatten diese nun anstelle der wöchentlich 2-3 Grosslieferungen in Spitzenzeiten 10-20 Fahrzeuge pro Tag an der Rampe abzufertigen.
  • Die dezentrale Kompetenzerweiterung führte de facto zu einer Erhöhung der Speditionsbeziehungen und damit zu einem hohen Verrechnungsaufwand.
  • Da die Disposition weiterhin in den Händen von Schiesser lag, konnte der Koordinationsaufwand des „Zentralen Einkaufs“ gegenüber dem alten Prozess nicht signifikant verringert werden. Zwischen dem Zentralen Einkauf und den Produktionsstätten kam es insbesondere bei Bestellüberwachung und Sendungsverfolgung zu „Ping-pong-Effekten“ aufgrund überschneidender Aufgaben und Kompetenzen. Die fehlende systemtechnische Unterstützung führte auch weiterhin dazu, dass der von einem Lieferanten für eine konkrete Lieferung ausgewählte Spediteur vielfach erst durch telefonische Nachfragen beim Lieferanten und/oder den üblicherweise von ihm beauftragten Spediteuren ermittelt werden konnte.
  • Durch fehlende Transparenz in der Lieferkette war Schiesser nicht in der Lage, die Anzahl und Gründe problembehafteter Lieferungen zu benennen und die Lieferpünktlichkeit entscheidend zu verbessern.


Im Ergebnis blieben die Verbesserungen in der Beschaffungslogistik deutlich hinter den Möglichkeiten zurück.


4. Projekt Reorganisation der Transportlogistik

Ziele. Schiesser entschied sich aufgrund der Transportineffizienzen, die aufgezeigten Vorteile des neuen Beschaffungsprozesses mit den Vorteilen eines zentral koordinierten Transportprozesses zu kombinieren. Ziele des Optimierungsprojektes waren:

  • die pünktliche Versorgung der Produktionsstätten mit Einkaufsgütern,
  • die Reduktion von Personalkosten durch die Auslagerung der Aufgaben aus den Bereichen Transport und Zoll,
  • die Schaffung einer zentralen Anlaufstelle („single point of contact“) für alle Beteiligten in der Lieferkette,
  • eine gebündelte Abholung der Ware beim Lieferanten und ein gebündeltes Zustellen des Einkaufsmaterials an die Produktionsstandorte zur Reduktion von Transportkosten, Zollpapieren sowie der LKW-Frequenz beim Wareneingang (durch ein sog. Transshipment),
  • reduzierte Transportkosten durch Sammeltransporte und Frankaturumstellung (neu ab Werk statt frei Haus - ausser für Garne) sowie Einsparung der bislang an die Transportdienstleister zu zahlenden Nebenspesen,
  • die vereinfachte Verrechnung von Transportkosten.


Zur Realisierung dieser Ziele entschied sich Schiesser, das Management des Beschaffungsprozesses von der Bestellung bis zur Anlieferung im Werk komplett auszulagern. Die Verantwortlichen wählten dafür den Logistikdienstleister Gebrüder Weiss, vornehmlich wegen dessen Stärke im Osteuropageschäft. Die Transparenz der Lieferkette wollte Schiesser zudem mit Unterstützung einer Softwarelösung erhöhen.

Durchführung. Das Projekt „Transportlogistik-Optimierung“ startete im August 2001. Schiesser übertrug die eigentliche Projektsteuerung den externen Experten von Gebrüder Weiss, die über das notwendige logistische Know-how verfügten. Sie konnten die Strukturen bei Schiesser objektiv beurteilen und fachkundig Sinn und Notwendigkeit von Prozessveränderungen aufzeigen.

Auf Seiten von Schiesser gehörten dem Projektteam neben Norbert Adrian, Managing Director Procurement der Schiesser AG, eine Assistentin und der Verantwortliche für den Bereich Zoll/Transport an. Daneben wirkten Experten von Gebrüder Weiss und des Softwareanbieters inet-logistics am Projekt mit. Für die Schiesser-Mitarbeiter gehörte die Projektbelastung zum normalen Tagesgeschäft und wurde nicht einzeln erfasst.

Prozessanpassungen wurden sukzessive während der Projektlaufzeit vorgenommen. Die ausgewählte Softwarelösung des Application Service Providers (ASP) inet-logistics ging im Herbst 2002 mit zwei Pilotlieferanten in den Probebetrieb. Anschliessend sollen von den derzeit aktiven 68 Lieferanten zunächst die 30 strategisch wichtigsten Lieferanten eingebunden werden.

Kritische Erfolgsfaktoren. Als wesentlichen Erfolgsfaktor nennt Herr Adrian die rechtzeitige Kommunikation an die Betroffenen und ihre Einbindung in die Projektarbeit. Das steigert die Motivation und die Identifikation mit dem Projekt. Diesem Umstand ist seiner Ansicht nach die vorzeitige Projektumsetzung zu verdanken. In diesem Zusammenhang hält er es für unerlässlich, Projektmitarbeiter aus der Zeiterfassung herauszunehmen und mit vorher definierten Anreizen (z.B. finanzieller Bonus, Sonderurlaub) für den Projekterfolg zu belohnen.

Als problematisch erweist sich die angestrebte Einbindung aller Mitarbeiter, wenn, wie in diesem Fall, Personalabbau angestrebt wird. Die Art und Weise, wie diese Veränderung an die Mitarbeiter kommuniziert wird, ist wichtig für Unternehmensklima und Mitarbeitermotivation. Herr Adrian empfiehlt die Kommunikation zu beginnen, wenn ca. 80% des Projektes abgeschlossen sind. Gleichzeitig wurden im beschriebenen Fall bereits frühzeitig Aufgaben in andere Prozesse ausgelagert.

Gerade wegen der zeitlichen Mehrbelastung der Projektmitarbeiter sollten Projekte nach Ansicht von Herrn Adrian einen Zeitraum von ca. einem Jahr nicht überschreiten. Für eine realistische Zeitplanung ist es wichtig, die Komplexität des Projektes nicht zu unterschätzen und die Schnittstellen zu anderen Prozessen zu berücksichtigen. Schnittstellen können zur Blockade durch andere Abteilungen führen, wenn deren Verantwortliche nicht oder nicht rechtzeitig in das Projekt eingebunden werden.

Anton Hagg, Prokurist bei Gebrüder Weiss und hier für die Implementierung des kooperativen Beschaffungsprozesses verantwortlich, verweist zusätzlich auf die Bedeutung vertrauensbildender Massnahmen bei Anbahnung derartiger Kooperationen. Beim Kooperationspartner müssen rechtzeitig alle Betroffenen identifiziert werden und nach dem Entscheid der Verantwortlichen in die Zusammenarbeit eingebunden werden.


5. Beschaffung nach dem Outsourcing der Beschaffungslogistik

Strategie. Schiesser überträgt den Teilprozess Beschaffungslogistik an den international tätigen österreichischen Logistikkonzern „Gebrüder Weiss“. Als sog. „Third Party“-Logistikdienstleister (vgl. z.B. [Skjoett-Larsen 2000], [Bolumole 2001]) übernehmen Gebrüder Weiss neben der operativen Steuerung der Supply Chain das Zusammenfassen (Transshipment) der Lieferungen und die Verzollung der Waren. Der Logistiker, der vorher nur sporadisch als Transportdienstleister für Schiesser tätig war, übernimmt darüber hinaus mit seinen Partnern den kompletten Gütertransport.

Die zentrale Absatz- und Produktionsplanung bleibt weiterhin bestehen, ebenso die Bestellverantwortung der Produktionswerke.

Abbildung 5-1: Kurzcharakteristik


Abbildung 5-1: Kurzcharakteristik

Prozess. Ein Mitarbeiter von Gebrüder Weiss steuert und überwacht die Bestell- und Transportaufträge der Schiesser AG und fungiert als Auskunftsstelle für alle Beteiligten („Supply Chain Captain“). Die Verknüpfung der Bedarfszeitpunkte der Werke mit den Transport- und Umschlagszeiten erlaubt es, den Abholzeitpunkt beim Lieferanten exakt zu berechnen und damit die Lieferpünktlichkeit zu erhöhen. Durch die Prozesstransparenz können die Beteiligten frühzeitig auf Probleme in der Logistikkette reagieren. Eine Prozessübersicht liefert Abbildung 5-2.
Die Bestellungen werden den Lieferanten von Schiesser elektronisch über eine gemeinsame Arbeitsplattform zugestellt, die durch den Application Service Provider (ASP) inet-logistics bereitgestellt wird. Zusätzlich erhalten die Lieferanten auch proaktiv per e-Mail eine Nachricht über den Eingang neuer Bestellungen. Der Lieferant hat nun die Möglichkeit, die Bestellung anzunehmen bzw. abzulehnen und in einem definierten Rahmen Teillieferungen vorzunehmen sowie Lieferzeitpunkte zu verschieben.

Gebrüder Weiss transportieren die bestellten Waren nach ihrer Bereitstellung durch die Lieferanten zu ihrem zentralen „Transshipment-Point“ in Memmingen und stellen dort die Sendungen für die einzelnen Produktionswerke zusammen. Diese Sendungen gehen an festen Lieferterminen mehrmals wöchentlich zu den Werken ab und werden dort vom Logistikdienstleister verzollt. Wesentliche Aktivitäten des Beschaffungsprozesses laufen nun computergestützt und zum Teil vollautomatisiert abgearbeitet werden.

Abbildung 5-2: Neuer Beschaffungsprozess bei Schiesser nach Reorganisation


Abbildung 5-2: Neuer Beschaffungsprozess bei Schiesser nach Reorganisation

der Transportlogistik


Die Beteiligten erhalten jederzeit aktuelle Statusinformationen. Das Eintreten vordefinierter Ereignisse (z.B. keine Auftragsbestätigung innerhalb von 48 Stunden) stösst proaktiv einen Eskalationsmechanismus durch Benachrichtigung des „Supply Chain Captains“ bei Gebrüder Weiss an. Dieser versucht im Rahmen seines Dispositionsspielraums eine termingerechte Warenlieferung sicherzustellen. Schiesser wird aufgrund der Informationen aus dem System nur noch dann selbst aktiv werden müssen, wenn die Ware nicht mehr zum Bedarfszeitpunkt im Werk sein kann.

Systeme. Für die Steuerung der Supply Chain kommt die Informationslogistik-Lösung der Firma inet-logistics zum Einsatz. Inet-logistics stellt die Lösung als Application Service Provider zur Verfügung. Für die Auswahl der Softwarelösung spielte es nach Aussagen von Herrn Adrian nur eine untergeordnete Rolle, dass inet-logistics ein Tochterunternehmen von Gebrüder Weiss ist. Die alternativ evaluierte Lösung KNlog des weltweit tätigen Logistikunternehmens Kühne&Nagel [s. Kühne&Nagel 2003] erwies sich für einen Mittelständler wie Schiesser als zu aufwendig und teuer. Für den Service von inet-logistis sprachen hingegen die günstige Kostenstruktur, einmalige Projektkosten für den Aufbau der Schnittstelle zur elektronischen Kommunikationsplattform, die dem Logistikdienstleister in Rechnung gestellt werden, und die Verfügbarkeit des Services für alle Beteiligten über das Internet.

Abbildung 5-3: Funktionsweise des Supply-Chain-Cockpits


Abbildung 5-3: Funktionsweise des Supply-Chain-Cockpits

Die Bestellaufträge von Schiesser werden direkt aus den SAP-Systemen auf eine elektronische Plattform („logistics server®“) übertragen. Zur Anwendung kommt hierbei der SAP Business Connector, der Bestellungen aus dem SAP R/3 in die Datenbeschreibungssprache XML (Extensible Markup Language) konvertiert und über das Internet versendet. Der Lieferant greift webbasiert auf die dort für ihn abgelegten Bestellungen zu. Er wird automatisch per e-Mail informiert, dass Bestellungen eingegangen sind. Hat der Lieferant die Bestellung abgearbeitet, kann er die zugehörigen Transportaufträge generieren. Weitere Funktionen erlauben die Auswahl von Spediteuren und den Druck von Transportetiketten.

Ist die Ladung versandbereit, wird mit dem Setzen des entsprechenden Status die jeweilige Lieferung automatisch einer Ladeliste zugeordnet. Mit der endgültigen Freigabe der Ladeliste wird der Transportauftrag elektronisch an den Transportdienstleister übermittelt. Die Informationen der Transportdienstleister für die Sendungsverfolgung (Tracking und Tracing) werden ebenfalls auf den „logistics server®“ übernommen. Dadurch können sowohl der „Supply Chain Captain“ bei Gebrüder Weiss als auch Schiesser selbst alle Bestell- und Transportaufträge inklusive ihrer aktuellen Status abrufen. Auf der Kommunikationplattform werden die unterschiedlichen Formate der Transportdienstleister für Transportstatusinformationen (Tracking und Tracing) in ein einheitliches Format übersetzt.

Kosten und Nutzen. Schiesser reduziert durch die Umstellung der Transportlogistik die Personalkosten im diesem Bereich um 85%. Dafür werden Verzollung und Bestellüberwachung an den Logistiker Gebrüder Weiss ausgelagert. Die Transportkosten können durch Bündelung der Transporte und Frankaturumstellung um 65'000 EUR pro Jahr reduziert werden. Die Informationslogistiklösung des Application Service Providers inet-logistics erhöht die Transparenz der Lieferkette für alle Beteiligten. Pro Jahr werden etwa 12'000 Bestellungen und 3'800 Transporte mit 100 Lieferanten abgewickelt.

Die Gebrüder Weiss GmbH kann durch den elektronisch unterstützten Logistikprozess ebenfalls Kosten reduzieren. Die gesteigerte Transparenz in der Logistikkette spart jährlich etwa 50'000 EUR an Transportkosten ein. Die elektronische Transportbeauftragung durch die Lieferanten reduziert die Prozesskosten zusätzlich um 4'000 EUR p.a. Tabelle 5-1 liefert einen Überblick über Aufwand und realisierte Nutzenpotentiale.

Geplante Weiterentwicklungen. Bedingt durch die historisch gewachsene Organisationsstruktur hat Schiesser zunächst im Rahmen der Reorganisation des Einkaufs die Beschaffungslogistik umgestellt. Als weiteren Entwicklungsschritt sieht Schiesser die Übertragung des Konzeptes auf die Distributionslogistik. Hier denkt das Unternehmen auch an die Erweiterung des Serviceangebots für Kunden. Eine systemtechnische Integration von Materialnummern und Bestellnummern könnte dem Kunden beispielsweise erlauben, jederzeit den Status seiner Bestellung bei Schiesser über das Internet elektronisch abzufragen.

Tabelle 5-1: Outsourcing der Beschaffungslogistik bei Schiesser - Aufwand
Tabelle 5-1: Outsourcing der Beschaffungslogistik bei Schiesser - realisierter Nutzen


Tabelle 5-1: Outsourcing der Beschaffungslogistik bei Schiesser - Aufwand und realisierter Nutzen


6. Erkenntnisse

Schiesser gelang es durch die Reorganisation seiner Beschaffungslogistik, Transparenz und Geschwindigkeit in der Lieferkette zu erhöhen. Die Einführung einer Informationslogistiklösung erlaubt es, entstehende Informationen (z.B. Bestellung, Transportstatus) schnell an die jeweiligen Empfänger in der Lieferkette zuzuleiten. Die Auslagerung von Logistikaufgaben unterstützt die Verkürzung der Prozesszeiten und die Reduktion von Prozesskosten durch ein zentrales Transshipment der Waren, wodurch Skaleneffekte genutzt werden. Die Einrichtung eines Supply-Chain-Leitstandes, in dem alle Informationen zusammenfliessen, ermöglicht eine effizientere Transportabwicklung und einen reduzierten Aufwand für Schiesser.

Die dadurch erreichte Transparenz verbessert gleichzeitig die Prozessqualität, indem sie Schiesser eine frühzeitige Reaktion auf sich abzeichnende Lieferverzögerungen ermöglicht. Die Daten des Supply Chain Leitstandes können dabei adressatengerecht aggregiert und gefiltert werden, so dass Schiesser beispielsweise gezielt kritische Bestellungen und Transporte suchen kann.

Der Fall Schiesser zeichnet sich darüber hinaus durch folgende Besonderheiten aus:

  • Die Anzahl der Aufgabenträger im Prozess hat sich erhöht. Durch das Outsourcing des Logistikprozesses wird der „Supply Chain Leitstand“ von Gebrüder Weiss ein neuer Aufgabenträger. Dies erhöht zwar vordergründig die Anzahl der Schnittstellen im Prozess, führt aber insgesamt zu effizienteren Prozessen, weil sich Schiesser auf seine Kernkompetenzen konzentrieren kann.
  • Die Anzahl der Unternehmen, die als Aufgabenträger tätig sind, wurde drastisch verringert. Die gleichzeitige Reduktion der Anzahl von Lieferanten und Transportdienstleistern reduziert den Koordinationsaufwand. Zwischen den verbleibenden Unternehmen können die Aufgaben enger verzahnt und kooperative Prozesse definiert werden (z.B. Beschaffungslogistik gemeinsam mit Gebrüder Weiss, Aufwertung der Lieferanten zu Systemlieferanten).
  • Die Auslagerung der Beschaffungslogistik wurde von einer Reorganisation des Einkaufs getrieben. Die Distributionslogistik ist bisher noch nicht umgestellt worden, hier werden jedoch noch Potentiale gesehen.

 


Literatur

[Bolumole 2001]
Bolumole, Y.A., The supply chain role of third-party logistics providers, in: Inter-national Journal of Logistics Management, Jg. 12, 2001, Nr. 2, S. 87-102

[Kühne&Nagel 2003]
Kühne&Nagel, LeadLogistics Solutions, Kühne & Nagel International AG, http://www.kn-portal.com/supply/, 27.8.2003

[Skjoett-Larsen 2000]
Skjoett-Larsen, T., Third party logistics - from an interorganizational point of view, in: International Journal of Physical Distribution & Logistics Management, Jg. 30, 2000, Nr. 2, S. 112-127


Exploitant(s)

Schiesser AG
Nobert Adrian, Managing Director Procurement
Secteur: Production de biens de consommation
Taille de l'entreprise: Grande entrepriseSchiesser AG

Partenaire(s) solutions

Wolfgang Erhardt, eConsulting
inet-logistics GmbH
Anton Hagg
Gebrüder Weiss GmbH

Auteur(s) de l'étude de cas

Enrico Senger
Universität St. Gallen

20. octobre 2004
Senger; E.: Fallstudie Schiesser - Outsourcing der Beschaffungslogistik; in: IWI; Tuck: The Electronic Collaboration Database; Institut für Wirtschafsinformatik; Universität St. Gallen; Center for Digital Strategies at Tuck School of Business at Dartmouth; St. Gallen und Hanover (NH) 2004; http://cases.iwi.unisg.ch

Pour cette étude de cas, aucun attachement sont disponibles.
2065
schiesser-senger
https://www.experience-online.ch/de/9-case-study/2065-schiesser-senger
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